Crocket vs. Akzentologie

Oxford, 20. Juni 2013, 16:45 | von Baumanski

Dass die akademische Viertelstunde eine der besten Erfindungen überhaupt ist, habe ich ja schon immer geahnt. Und seit letztem Herbst habe ich tatsächlich Grund genug, ihr nachzutrauern. Denn aus unerfindlichen Gründen – it probably made sense in the 1200s – enden Vorlesungen in Oxford zur vollen Stunde und beginnen, nun ja, auch zur vollen Stunde.

Ich schleiche mich also einmal mehr fünf Minuten zu früh aus dem Vorlesungszimmer, jogge quer durch die Examination Schools, packe draussen mein Rad, fahre im Nieselregen die High Street hoch, dann rechts durch die Turl Street und am Ashmolean Museum vorbei zur Fakultät, stürme da die Treppe hoch und schaffe es tatsächlich fast rechtzeitig zum Vorlesungsbeginn, und der Dozent ist so nett, für mich noch einmal neu anzufangen.

Eine knappe Stunde später stehe ich in der Buttery an zum Essen fassen: irgendein fettiges Stück Fleisch mit Kartoffeln. Immerhin gibt es nach dem Dinner manchmal eine George-Orwell-Käseplatte (»I fancy that Stilton is the best cheese of its type in the world, with Wensleydale not far behind«), und dafür nimmt man dann auch mal das halbgare und ungesalzene Gemüse in Kauf.

Nach dem Essen trinken wir noch einen Kaffee, unterhalten uns jeweils circa zwei Minuten lang über Bertrand Russell, Arjen Robben und Peer Steinbrück, und jemand stellt in einem Nebensatz die These auf, dass Thomas Mann »einfach dumm« war.

Am Nachmittag ist es endlich mal wieder warm und sonnig. Ich habe die Wahl zwischen einer Partie Crocket auf dem College-Rasen und einem Traktat über das Akzentsystem des Urslawischen und entschliesse mich also dazu, endlich einmal den etwas vergessenen Oxford-Klassiker »Zuleika Dobson« zu Ende zu lesen. Der englische Satiriker Max Beerbohm hat das Buch 1911 geschrieben und die meisten seiner Aussagen über Oxford sind auch heute noch unverändert gültig. Zum Beispiel: »Oxford is a plexus of anomalies.« Oder: »Oxford never pretended to be strong in mathematics.« Oder: »Mainly architectural, the beauties of Oxford.«

Ausserdem enthält das Buch weitere zeitlose Weisheiten (»Death cancels all engagements«), sowie ortstypische Beleidigungen (»you, looking like nothing so much as a gargoyle hewn by a drunken stone-mason for the adornment of a Methodist Chapel in one of the vilest suburbs of Leeds or Wigan«), einen Gastauftritt von Frédéric Chopin und den vermutlich witzigsten Massensuizid der Literaturgeschichte.

Zwanzig Seiten vor dem Ende des Romans stehe ich auf, um zum Abendessen zu gehen, denn in der Kapelle des Merton College – wo auch Max Beerbohm studierte – wird später noch eine Mozart-Messe aufgeführt, und Mozart ist ja wohl der, hehe, meistunterschätzte Komponist.
 

Einen Kommentar schreiben