100-Seiten-Bücher – Teil 80
Ilija Trojanow: »Der überflüssige Mensch« (2013)
Solingen, 8. Oktober 2013, 17:10 | von Bonaventura
Es ist natürlich eine hübsche Sache, dass Ilija Trojanow, auf dessen Anwesenheit nach der Auffassung US-amerikanischen Sicherheitsorgane beruhigt verzichtet werden kann, kurz zuvor ein Buch mit dem Titel »Der überflüssige Mensch« veröffentlicht hat. Allerdings geht es in dem Büchlein weniger um den Autor als um die Frage, wie der Reichtum in der Welt gerechterweise zu verteilen sei.
»Gerechtigkeit«, sagt Sancho Pansa, »ist etwas so Gutes, dass sie sogar unter den Spitzbuben notwendig ist.« Kein Wunder also, dass die Verteilungsgerechtigkeit – eines der Hauptprobleme jeder Räuberbande, also auch der, deren Mitglieder wir sind – seit 2.500 Jahren auf der Agenda der kleinen und großen Philosophen zu finden ist. Eigentlich sollte dies Problem in der sogenannten christlich-abendländischen Kultur allein aufgrund der Tatsache, dass am Grunde der christlichen Ideologie eine solide Verachtung jeglichen weltlichen Besitzes zu finden ist, durch die umfassende Armut aller ihrer Mitglieder gelöst sein. Ist es aber nicht.
Da das Christentum unserer Räuberbande also nicht zur inneren und äußeren Gerechtigkeit verholfen hat, hat vor etwa 150 Jahren ein Mann aus Trier eine Theorie zur Umverteilung allen Kapitals entwickelt. Auf der Basis dieser Theorie wurde vor etwa hundert Jahren ein praktischer Versuch gestartet, der, wahrscheinlich bedingt durch anthropologische Schwächen der Theorie, musterhaft gescheitert ist. Seitdem ist der Name des Trierers zum Tabuwort und kein neuer Großversuch einer Theorie der Verteilungsgerechtigkeit bekannt geworden. Und wo es keine Lösung gibt, bleibt nur das Klagen. Das tut Trojanow denn auch.
(Ausführliche Besprechung des Buches hier.)
Am 9. Oktober 2013 um 09:26 Uhr
Sehr witzig auf den Punkt gebracht, finde ich. Christus, Marx, das Scheitern der großen Ideologien und dann kommen wir und klagen. Mehr braucht man nicht zu wissen.
Aber ein Tabuwort ist er eigentlich nicht mehr, oder?! Er kommt doch gerade wieder. Zurück an die Universitäten, zurück in die intellektuellen Diskurse, oder täusche ich mich?
Am 9. Oktober 2013 um 10:02 Uhr
Trojanow wenigstens vermeidet strikt, ihn zu erwähnen, auch dort, wo er offensichtlich Elemente seiner Theorie benutzt. Und er scheint mir da nicht der einzige zu sein.
Am 11. Oktober 2013 um 09:14 Uhr
Das ist interessant! Es könnte auch bedeuten, dass sich Trojanow ihm unbefangen nähern will. Ohne damit in eine bestimmte Schublade zu kommen. Insofern also vielleicht ein Tabu, dass man es nicht zugeben darf, Marx zu lesen, obwohl er längst wieder gelesen wird.
Am 11. Oktober 2013 um 09:59 Uhr
Es geht wohl weniger darum, ihn zu lesen, als sich argumentativ auf seine Theorien zu stützen.