Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 5):
»Georg Lukács« (1972)
New Haven, 5. Dezember 2013, 08:10 | von Srifo
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 86)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
Rauschhaft versetzt einen das Cover sofort in die 70er-Jahre zurück: der stumpenhaltende Lukács im bourgeoisen Tweedjacket, ganz in Ro-Ro-Rot gefärbt. Im Text selbst geht’s dann noch weiter zurück – alles zentrifugiert um und auf das im Thomas-Mann-Style verfasste Kapitel »Naphta im Exil« zu (S. 52ff.). Schon im Kick-off-Abschnitt »Budapest als geistige Lebensform« (S. 7ff.) surrt uns feinster Castorp um die Ohren. Raddatz beginnt seine Erzählung nicht etwa mit Lukács‘ Kinderjahren, sondern mit Lukács‘ Tod. An den Zeilenlängen der Nekrologe liest er die Wirkmächtigkeit des Verstorbenen wie auch glatte Weltpolitik ab (bitte Wort- und Ziffernwahl der Zahlenmystik beachten!):
»Die ›Prawda‹ brachte auf Seite 4 eine Fünf-Zeilen-Notiz, das ›Neue Deutschland‹ versteckte die Nachricht in elf Klein-Zeilen; ›Le Monde‹ dagegen druckte eine Seite, in ›L’Humanité‹ schrieb der französische Schriftsteller André Wurmser seine Würdigung auf Seite 1, alle deutschsprachigen Zeitungen des Westens widmeten dem Ereignis ganzseitige Artikel […]: des sechsundachtzigjährigen Georg Lukács‘ Tod am 4. Juni 1971 war nicht nur das Ende einer (theoretischen) Kunstperiode, sondern gab auch, auf verquere Weise, die Summe eines Lebens: Akklamation und Würdigung in der alten Welt, deren Ende er hatte mit herbeiführen wollen.« (S. 7)
Zu konstatieren, der Autor sei in »Höchstform«, ist nach dieser Lektüre des vierten von über zwei Dutzend Hundertseitern keinesfalls vorschnell: Angesichts der Erscheinung, die FJR darstellt, müssen wir schon jetzt erkennen, dass es offenkundig die Möglichkeit gibt, sich im permanenten stilistischen Superlativzustand zu befinden.