Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 8):
»Heine. Ein deutsches Märchen« (1977)
Freiburg, 8. Dezember 2013, 08:15 | von Mynaral
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 87)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
Mal wieder so einen längeren Essay von Fritz J. Raddatz zu lesen ist spätestens seit der Abrechnung von Hellmuth »Was kostet der Fisch?« Karasek ein lohnenswertes Wagnis. Und wer sich, jetzt wo die Tage wieder trüber geworden sind, auch ab und zu fragt, welche Augenfarbe Heinrich Heine eigentlich hatte, der kommt an Raddatz einfach nicht vorbei. Heine sei »von strahlender Blauäugigkeit und mit stechend schwarzem Semitenblick« (S. 10) gewesen, wird da zusammenzitiert, und seine Todesursache ist ebenso unumstritten: an Syphilis sei er gestorben, wie jeder halbwegs große Stilist eben.
So geht es weiter, so werden hundert Seiten herrlich runtergelabert, wobei – in Zeiten von Online-Praktikanten-Zwischen-Überschriften – die komplette Nichtstrukturierung des Textes besonders angenehm auffällt. Am schönsten ist es natürlich, wenn die Zusammenhänge komplett reißen, Raddatz eine Seite über das großartige Leben des patriarchalisch-sozialistischen Barthélemy Prosper Enfantin referiert oder der Proust’sche Swann von ihm für die Beschreibung des Heine’schen Ehelebens in Beschlag genommen und gute fünfzehn Zeilen später – mit einem »und auch wieder nicht« (S. 30) – schon wieder verworfen wird.
Noch schöner, wenn wir mit ihm kurz vom Sturz Napoleons »in die ferne Gegenwart schweifen« (S. 17), wenn er dann noch die interessante Information unterbringt, dass »ja ein Condom üblicherweise gerade gewisse Gefahren zu verhindern« (S. 26) pflege, und sogar »noch im Archivexemplar einer Dissertation« – in welcher die Benachteiligung der Juden nach den Freiheitskriegen geschildert wird – findet, »wie sich ein Anonymus unserer Tage mit einem Bleistift-Fragezeichen verewigt« hat (S. 17). Usw.
Fritz J. Raddatz: Heine. Ein deutsches Märchen. Essay. Hamburg: Hoffmann und Campe 1977.
Fritz J. Raddatz: Heine. Ein deutsches Märchen. Essay. Ungekürzte Ausgabe. Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1979. S. 3–135 (= 133 Textseiten).
Fritz J. Raddatz: Heine. Ein deutsches Märchen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1988.
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)