Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 11):
»Warum« (1982)
Berlin, 11. Dezember 2013, 08:00 | von Josik
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 90)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
Diese Kolumne, die über ein Jahr lang in einer renommierten Hamburger Wochenzeitung erschien, begann immer mit dem W-Wort »Warum«; doch wollte Raddatz hier die dargebotenen Fragen nicht eigentlich beantworten, sondern nur stellen, in seinem ganz eigenen kulturkritisch-ironischen Stil, dessen Ironie er oft so ausnehmend gut verborgen hat, dass nur er selbst sie zu finden in der Lage ist: »Warum ergötzen Menschen sich so lustvoll am Unglück anderer?« (S. 32) »Warum drängeln Menschen sich vor, auch dort, wo es gar keinen Sinn gibt?« (S. 40) »Warum betrügen Menschen – sich oder andere?« (S. 44) »Warum lassen Menschen neuerdings Konventionen so leicht außer acht?« (S. 62) »Warum gehen Menschen auseinander, die ihren Weg gemeinsam gehen wollten?« (S. 64) »Warum scheuen Menschen sich, den eigenen Tod in ihr Leben mit einzudenken?« (S. 68) »Warum haben Menschen so weitgehend die Fähigkeit zur Anteilnahme verloren, zu Erbarmen – gar Barmherzigkeit?« (S. 116) »Warum scheuen Menschen Verantwortung?« (S. 122)
Hier schrieb der Girolamo Savonarola des 20. Jahrhunderts, ja mehr noch, hier schrieb der Peter Hahne des 20. Jahrhunderts; immer auf dem hohen stilistischen Niveau einer oberkonsistorialrätlichen Gewissenserforschung. Hans Magnus Enzensberger, so berichtet Fritz J. Raddatz im Nachklapp, habe diese Kolumne »eine der amüsantesten Rubriken der ZEIT« (S. 133f.) genannt, und Irenäus Eibl-Eibesfeldt habe »einen kleinen Widerlegungsessay« geschickt, »auf imposantem Briefbogen« (S. 134). Schade, dass dieser Widerlegungsessay nicht mit abgedruckt ist; man wüsste doch gerne, wie etwa die seit jeher unwiderlegbar richtige Beobachtung, dass Menschen neuerdings Konventionen so leicht außer acht lassen, widerlegt worden sein soll.