Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 13):
»Pyrenäenreise im Herbst« (1985)

Berlin, 13. Dezember 2013, 08:10 | von Cetrois

(= 100-Seiten-Bücher – Teil 92)

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(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)

Sehr pragmatisch findet man Fritz J. Raddatz’ »Pyrenäenreise im Herbst« im Regal der Kreuzberger Amerika-Gedenkbibliothek eingeordnet zwischen dem Vorbild von 1927, Kurt Tucholskys »Pyrenäenbuch«, und Jürgen Engels »Mit dem Wohnmobil durch die Pyrenäen«, das 2007 bereits in dritter Auflage erschienen ist. Engel verspricht im Klappentext »Burgen, Gletscher, Höhlen und Schluchten« und, etwas mysteriös, »genaue Hinweise auf Ver- und Entsorgungs­möglichkeiten«; Raddatz verspricht im Untertitel eine Reise »auf den Spuren Kurt Tucholskys«.

Indes muss er, um dieses Versprechen einzulösen, sich gleich zu Anfang ein wenig sputen, denn während Tucholsky schon zum Stierkampf in Bayonne weilt, beginnt Raddatz’ Roadtrip, spätsommer­lich elegisch, natürlich auf Sylt. Und während Tucholsky sich aus den Absurditäten des Pass- und Grenzregimes zu einer ätzenden Kritik des Nationalstaats als Ersatzreligion aufschwingt, ist Raddatz erst einmal froh, dass die »Säsong« vorbei ist, in der »die Düsseldorfer Gebrauchtwagenhändler Grillparties mit Sekkkt feiern« (S. 9).

Allein, vor den geschmacklichen Todsünden der nouveaux riches aller Epochen ist Raddatz auch im französisch-spanischen Baskenborder­land nicht gefeit. Was ihn dann immer wieder, und besonders bei der Besichtigung von Heinrichs IV. Château de Pau, schockiert: der frappante »Unterschied der ästhetischen Sensibilität« (S. 13) – zwischen seiner und der Tucholskys nämlich, dem es in Pau offenbar gar nicht schlecht gefiel. Vor allem aber plagt Raddatz »das eisern durchgehaltene Ritual« der Franzosen: »zwei Stunden Mittagessen« (S. 55) – eine Raddatz verhasste Mahlzeit, die in seinem eigenen, delikat ritualisierten Tagesablauf niemals vorkommt, ja, die er nach eigenem Bekunden (zuletzt im großen Stil-Interview in der FAZ) nicht einmal kennt.

Länge des Buches: ca. 142.000 Zeichen. – Ausgaben:

Fritz J. Raddatz: Pyrenäenreise im Herbst. Auf den Spuren Kurt Tucholskys. Mit Zeichnungen von Hans-Georg Rauch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985. S. 3–122 (= 120 Textseiten).

Fritz J. Raddatz: Pyrenäenreise im Herbst. Auf den Spuren Kurt Tucholskys. In: Unterwegs. Literarische Reiseessays. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991. S. 7–75 (= 69 Textseiten).

(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)

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