Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 18):
»Tucholsky. Ein Pseudonym« (1989)
Berlin, 18. Dezember 2013, 08:15 | von Josik
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 97)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
Der erste Satz ein Paukenschlag: »Das Lottchen heißt nicht Lottchen, Malzen nicht Malzen, Nuuna nicht Nuuna und Kurt Tucholsky nicht Kurt Tucholsky« (S. 7). Hatte man diesen Sound nicht schon mal irgendwo gehört? Ach ja richtig, der Raddatz-Hundertseiter »Heine. Ein deutsches Märchen« (1977) begann genauso: »Die Mouche hieß nicht Mouche, Mathilde nicht Mathilde, und Heinrich Heine hieß nicht Heinrich Heine.« (S. 7)
In diesem Pseudonymbuch also lüftet Fritz J. Raddatz das Geheimnis, warum Kurt Tucholsky – with all due respect und unbeschadet seiner sonstigen überragenden Leistungen auf allen anderen Gebieten – immer derart unterirdische, ja nachgerade minderbemittelte Literaturkritiken verfasst hat:
»Von Bertolt Brecht bis James Joyce hat Tucholsky große literarische Begabungen ganz früh erkannt, auch Franz Kafka oder Gottfried Benn. Befreundet war er mit keinem einzigen, die meisten kannte er persönlich gar nicht. Er hat George Grosz bewundert, Walter Mehring bejubelt, Erich Kästner reserviert respektiert, John Heartfield verehrt und Heinrich Mann hoch geachtet – mit keinem von ihnen hat er Umgang gepflegt. Brecht hat er einmal gesehen. Benn ist er flüchtig begegnet, Heinrich Mann wenige Male, den – ungeliebten – Thomas Mann sprach er ebenfalls nur ein einziges Mal (…). Erich Maria Remarque oder Ludwig Renn, Erwin Piscator oder Max Reinhardt, Friedrich Hollaender oder Hanns Eisler: nichts.« (S. 32)
Fritz J. Raddatz hingegen ist mit tout le monde bekannt und eben das verleiht seinen Kritiken ihren unermesslichen Wert. Da hält er es nämlich ganz mit Karl Kraus, der bekanntlich sagte: »Ein Gedicht ist so lange gut, bis man weiß, von wem es ist.« (Fackel Nr. 406–412, S. 131) In diesem Sinn ist Fritz J. Raddatz auch ein würdiger Preisträger des Karl Kraus-Preises 1986; vermutlich der einzige Preis in seinem Leben, den er nicht angenommen hat.
Fritz J. Raddatz: Tucholsky, ein Pseudonym. Essay. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1989. S. 3–155 (= 153 Textseiten).
Fritz J. Raddatz: Tucholsky, ein Pseudonym. Essay. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993.
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)