Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 21):
»Günter Grass. Unerbittliche Freunde« (2002)
Hamburg, 21. Dezember 2013, 08:15 | von Maltus
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 100)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
Wieder einmal habe ich es nicht geschafft, frühmorgens das Hamburger Holthusenbad zu besuchen, um dort im Außenbecken Fritz J. Raddatz seine Kreise ziehen zu sehen. Klar, in einem Bad soll man Linien ziehen, sonst fängt man sich von deutschen Bademeisterinnen und ‑meistern, die darin viel mit deutschen Literaturkritikern und ‑kritikerinnen gemein haben, schnell einen Rüffel ein.
Im Vergleich jedenfalls zu den ganzen Leichtmatrosen im Außenbecken des Literaturbetriebs entspricht der Jahrhundertfeuilletonist FJR mit seinem mächtigen Bart einem Walfisch, der die See nach Krill durchsiebt und nur ab und zu noch einmal an die Wasseroberfläche steigt, um dort die gelangweilten Passagiere von Kreuzfahrtschiffen mit seinen lustigen Sprüngen zu erheitern.
Womit wir beim einzigen Thema wären, das Raddatz und Günter Grass noch verbindet: Beide sind jahrzehntelange Bartträger. Das war’s dann aber auch schon. Sie waren mal »unerbittliche Freunde«, so der schöne Untertitel, den Raddatz für seine schmale Sammlung von Texten zu Grass gefunden hat. Eine lebenslange literarische Liebe und doch, wie soll es im Literaturbetrieb anders sein, immer von Verletzlichkeiten hier, Eitelkeiten da gebrochen.
Am Ende des 2002 bei Arche erschienenen Bändchens scheint noch Hoffnung, da druckt Raddatz zwei Briefe ab: Im ersten beschwert er sich bei Grass, der ihn aus dem Hinterhalt in einem Interview als »rechtsgebeugt« (S. 137) bezeichnet habe. Raddatz tief verletzt. Grass antwortet, sich keiner Schuld bewusst. Schuld sei der Journalist. Nie käme er auf die Idee, den lieben Fritz unter dem Sammelbegriff ›rechtsgebeugt‹ in die Gesellschaft von Botho Strauß zu bringen. »Und doch bleibt am Ende ein Rest, für den ich mich nicht entschuldigen und den ich nicht erklären kann« (S. 141).
Es waren Raddatz‘ später erschienene Tagebücher, diese champagnertrunkenen Sudelbücher aus dem Literaturbetrieb, die Grass endgültig vergrätzten. Als ich ihn vor einigen Monaten interviewte, sprach er bereitwillig über alles. Nur Raddatz war ihm am Ende keine Silbe wert, der musste rausgestrichen werden.