Die großen Fritz-J.-Raddatz-Festwochen (Tag 29):
»Bestiarium der deutschen Literatur« (2012)
Jena, 29. Dezember 2013, 08:25 | von Montúfar
(= 100-Seiten-Bücher – Teil 105)
(Vorwort zur Festwoche hier. Inhaltsübersicht hier.)
In einem so auf Vollständigkeit angelegten Fortsetzungswerk wie diesem alphabetisch sortierten »Bestiarium der deutschen Literatur« (zauberhaft illustriert von Klaus Ensikat) darf natürlich der Verfasser selbst nicht fehlen. Während Uwe Johnson als »Pottwal« (S. 55) beschrieben und Juli Zeh synekdochisch ausgebaut wird zum »Rauhfußkauz« (S. 130), tituliert Raddatz sich selbst als »Prachtleierschwanz« (S. 133) und präsentiert sich als Ebenbild eines »sehr eitlen Tieres« (ebd.).
Der Prachtleierschwanz trägt seinen Namen, so erfahren wir, völlig zu Recht, denn es »stülpt der gerne vor spiegelndem Wasser Kokettierende den imposanten Sturz seines pfauenähnlichen Schwanzgefieders beim Kopulieren über seinen und des Weibchens gesamten Körper, was ein Forscher ›monströse Schönheit‹ nannte« (S. 133).
Peter Sloterdijk hat sich kürzlich ebenfalls treffend über sein Aussehen geäußert. In »Zeilen und Tage« beschrieb er sich als ›unfrisierbaren Oger‹. Das ist zwar monströs, aber nur bedingt schön. Und bekanntlich hatte Friedrich Engels seinerzeit in »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« über die materialistische Dialektik behauptet: »damit wurde die Hegelsche Dialektik auf den Kopf, oder vielmehr vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die Füße gestellt.«
Raddatz – so muss man schlussfolgern – stellt intelligente Literatur- und Literatenbetrachtung vom Kopf auf den Schwanz. Das ist definitiv unterhaltsamer, als grobschlächtige Riesen zu kämmen, und verdient vorbehaltlose Hochachtung. Aber es ist auch Vorsicht geboten, denn: »Diese ›Leierschwanz-Facetten‹ täuschen (…) darüber hinweg, daß das eigentlich scheue Tier gegen Feinde äußerst aggressiv ist, die es durch eine übelriechende Ausscheidung betäubt, um dann mit stolzgeschwungenen langen Schwanzfedern in Siegerpose den Kampfplatz zu verlassen.« (S. 135)