GKM
São Paulo, 9. September 2014, 12:34 | von DiqueGKM, Gerhard Kurt Müller, ist ein Maler und Bildhauer aus Leipzig. Er war auch Professor an der dortigen Hochschule für Grafik und Buchkunst.
Die schönen Wörter Bildhauer und Maler passen besser zur Kunst von GKM, als ihn einfach als Künstler zu bezeichnen. Das ist zu leise für seine Skulpturen und Bilder. Sie verlangen nach Hauen und nach echtem Farbauftrag. Das heißt nicht, dass ihnen Feinheit oder Fragilität fehlen.
GKM ist weit über 80 Jahre alt. Noch immer verschwindet er jeden Tag in seinem Atelier und arbeitet. Seine Kunst ist groß, auch physisch. Die Skulpturen schwer und mächtig, die Gemälde dicht und voll, gewaltige Textur, kein filigraner Einhaarpinsel, aber auch keine einfallslose breite Bürste, die nur an einer aufregenden Oberfläche interessiert ist. Die Farbe wird mit Kraft aufgetragen und verteilt, bei aller Mächtigkeit bleiben die gründlich durchdachten Sujets aber elegant und figürlich. Keine Nuance ist Zufall.
Ich hatte das Glück, GKM zweimal in den Räumen der Gerhard-Kurt-Müller-Stiftung in Leipzig zu treffen. Beide Gespräche waren reine Inspiration für mich, wie solche Momente im Schatten einer großen Energiequelle eben sind, unbesiegbar erscheinender Eifer ist ansteckend. Beide Male verließ ich die Räume voller Tatendrang und Schaffenskraft und voller neuer Perspektive, mit dem Wunsch nach Gestaltung und Perfektion.
Die Arbeitsweise von GKM ist dem Erfolg nicht immer zuträglich, aber er trennt sich auch nicht gern von seinen Werken. Verkauft wird selten. Deshalb sieht man seine Werke auch nicht so oft, ein paar Museen haben Exemplare, aber man muss schon das Glück haben, eine Ausstellung oder Retrospektive zu erwischen oder einen seltenen Moment, wenn die Stiftungsräume anlassweise zu besuchen sind.
Ich will diesem Antikommerziellen aber nicht den Charme eines idealisierten Gegenpols entgegenstellen, der sich diametral von der Flamboyanz eines Image- oder Medienkünstlers unterschiede. Schließlich bin ich auch Riesenfan von Selbstdarstellern wie Jeff Koons und Damien Hirst. Die Begeisterung für GKM ist einfach eine andere. Seine Werke sind genauso zeitgenössische und in jeder Hinsicht modern und Kinder ihrer Zeit. Vielleicht sieht das GKM selbst nicht so. Er ist ein Verarbeiter, unschwer zu erkennen, er ist ein Kind des Krieges. Es ist für mich unbegreiflich, wie ein Mensch über so viele Jahre so intensiv um ein Thema kreisen kann. Es ist eben nie vorbei.
Ich erschließe mir Kunstwerke, auch die von GKM, weniger über die Inhalte, eher über die Ästhetik, über Farbe und Form und über die Textur. Die Oberfläche spielt eine große Rolle bei ihm, es geht nicht nur um visuelle Effekte, sondern auch um Haptik. Man möchte die Bronzen berühren, da ergeht es einem so wie vor einem der Vögel von Brâncuși. Das gilt auch für die Gemälde, schon nach kurzem Hinsehen verspürt man den Drang, die Leinwand anfühlen zu wollen, mit der Hand dem Brushstroke zu folgen.
Diagnostizierte Abhängigkeiten sind für jeden lebenden Künstler meist ein Grauen. Ich stelle es mir jedenfalls schlimm vor, wenn ich mir anhören müsste, dass meine Werke so aussehen wie von X, in der Tradition von Y stehen und die Farben von Z verwenden. Andererseits funktioniert Kunstgeschichte ja genau so. In Pontormo erkennt man seinen Lehrer del Sarto, in Bronzino wiederum Pontormo, aber irgendwie auch noch einen Hauch von del Sarto. Bei GKM dachte ich wegen seiner Skulpturen anfangs schnell an Käthe Kollwitz und Ernst Barlach, auf den zweiten Blick aber auch an Brâncuși, bei den Bildern an eine sehr eigene Fortsetzung des italienischen Futurismus, als wäre Boccioni 1916 nicht vom Pferd gefallen, aber auch an den manieristischen Teil der Renaissance, überlängte Gliedmaßen, das kalkweiße Hellblau von Bronzinos »Allegorie der Liebe« aus der Londoner National Gallery. Aber es geht noch weiter zurück, die genaue Abgemessenheit in den Gemälden des Mathematikers/Malers Piero della Francesca kommt mir in den Sinn und natürlich Jean Fouquet, besonders seine Madonna mit Kind aus dem Königlichen Museum in Antwerpen. Von letzterer weiß ich mittlerweile, dass sie für GKM von besonderer Bedeutung ist.
GKM ist auch ein großer Zeichner und Holzschneider. Bei meinem letzten Besuch Mitte dieses Jahres konnte ich mir die 44 Zeichnungen ansehen, die von dem Roman von Henri Barbusse »Das Feuer. Tagebuch einer Korporalschaft« inspiriert wurden und die er über einen Zeitraum von über zehn Jahren geschaffen hat. Sie sind im Frühjahr im Leipziger Passage-Verlag auch als Buch erschienen:
Er verwendete für die Zeichnungen eine seltene Technik, die Aquarell und Wachsmalstift kombiniert, sehr ähnlich der, die Henry Moore für seine Shelter Drawings benutzt hat. Wieder eine dieser wilden Assoziationen, aber diese wurde mir von GKM selbst zugespielt, als ich ihn fragte, wie er denn solche Effekte in diese wunderbaren Zeichnungen bekommen hat.