Spex, Intro, Musikexpress
Jahresrückblickiana 2014
Bonn, 29. März 2015, 00:30 | von Katana
»2014 – Ein Scheißjahr geht zu Ende«. Really, »Spex«?
Der Jahresrückblick, gern auch: Popjahresrückblick, ist ein so wunderschönes wie absolut crazy und hilarious Genre des schönen Journalismus, das immer zu wenig gewürdigt wird. Und deshalb, jetzt und hier, Frühlingsanfang und so, die Jahresrückblickiana 2014, fein säuberlich getrennt und geordnet, wie es sich gehört.
Fangen wir also mit der »Spex« an, »Scheißjahr 2014«, fantastischer Titel, will ich sofort lesen, denn das fand ich irgendwie ja auch, aber: why? Zudem, natürlich: Pharrell auf dem Cover, mit Hut und dem Ratespiel, welchen Fotolichtfilter die Designer hier gewählt haben werden, vielleicht Sierra.
Ok, seit der ehemalige »Rolling Stone«-Mann Torsten Groß die Chefredaktion übernommen hat, steht auch immer die Frage im Raum, wieviel Popdiskurs in der »Spex« noch möglich oder nötig ist und, ganz entscheidend, wie relevant das überhaupt ist. Umso entscheidender natürlich: Der Jahresrückblick, die geballte Relevanzwalze.
Also, Themen: Erst mal ein schönes Understatement-Interview mit Pharrell, der wirklich sympathisch entspannt daher kommt, sophisticated überrascht vom eigenen Erfolg. Zum Glück keine Fragen zum Popjahr oder gar zur politischen Weltlage. Dann eine kleine Schnapsidee, den Jahresrückblick anhand der sieben Todsünden aufzuziehen. Ziemlich forced in meinen Augen, trägt auch nicht so recht, wenngleich toll ist, dass der erste (!) Beitrag dann von Morrissey und seinen verbalen und monetären Ausfällen erzählt unter dem Stichpunkt »Superbia«, wobei natürlich das eigentlich tolle Morrissey-Album »World Peace Is None of Your Business« gleich mit runtergezogen wird. Misanthropie wird heute halt sehr unterschätzt.
Dann was zu Normcore und »Sneakerisierung«, na ja, selbstverständlich einen Kübel Häme für das plumpe U2-Release auf iTunes, Flüchtlinge, Drogen, Rassismus, den angeblichen Pop-Appeal des sogenannten »IS« und Essen und ganz lustig ziellose Essayrudimente über Pop und Kritik, die den Zustand dieses Themas quasi in actu bebildern. Highlight auf jeden Fall, und darauf wird zurückzukommen sein, der Artikel »Ist Pop am Arsch?« von Sonja Eismann über das wirklich von so gut wie allen Jahresrückblicken festgestellte Hoch des Hinterteils im Popdiskurs.
Nachrufe: Philip Seymour Hoffman und Robin Williams, fair enough. Soweit kann man sagen: Pflicht erfüllt, Jahr gepackt, war halt langweilig. Aber das eigentliche Kerngeschäft sind nun mal die Listen. Das Tolle an den Jahresrückblicken der »Spex« ist auf jeden Fall, dass sich die Redaktions- und die Lesercharts dieselbe Ausgabe teilen, woanders muss man immer auf ein Gewinnspiel und die nächste Ausgabe warten, nicht hier, hier läuft der direkte Vergleich, was natürlich redaktionell den Stress auslöst, sich nicht zu sehr anzubiedern und auch nicht zu sehr zu distanzieren vom Geschmack der eigenen Leserschaft, also mal sehen, wie das 2014 gelungen ist:
Ganz demokratisch fangen die Lesercharts den Listenreigen an, und wenn hier irgendjemand Leser der »Spex« wäre, dann würde der wahrscheinlich das sehr gewollt poppige Album »Libertatia« von Ja, Panik, den ganz unmöglichen und doch absolut fantastischen Hit »Can’t Do Without You« von Caribou, Wes Andersons filmgewordene Hochzeitstorte »Grand Budapest Hotel«, den HBO-»Kracher« »True Detective«, DAS Buch »Der Circle« von Dave Eggers, das angenehm unauffällige Modelabel »Carhartt« und den Titel der Nationalelf bei der WM in Brasilien für die Größten und Besten in 2014 halten. Und natürlich die »Spex« mitsamt www.spex.de, noch vor dem »Intro« und Hypeschleudern wie »Pitchfork«, versteht sich von selbst.
Wie leer und unsinnig das Popjahr 2014 war, weiß allerdings nur die »Spex«-Redaktion, indem sie nämlich genialerweise das absolute Nonsense-Album »Asiatisch« von Fatima Al Qadiri, eine, laut Redaktion »faszinierende Feier von Sein und Schein im Post-Internet Zeitalter«, zum Album des Jahres auswählt. Soviel Hang zu Humor hatte ich denen gar nicht zugetraut, aber dann ist es doch erfrischend, wie trocken hier die eigenen Diskursansprüche persifliert werden, absolut hilarious!
Ansonsten in den Top-10 Angel Olsen, Neneh Cherry (!), St. Vincent, die unvermeidliche FKA Twigs, Mutter, Damon Albarn (?), Parquet Courts, absolut verdientermaßen auch mal die tollen Warpaint und, okay, Sleaford Mods, for the masses and the taste halt. Wenn man nur die Hälfte davon selber in Erwägung gezogen hat, sollte man das Magazin wechseln, denn belehren und unterlaufen lassen muss man sich von der »Spex« schließlich immer, das gehört zum guten Ton. Niedlich immer auch die folgenden Listen der Redaktion, wenn man wissen möchte, wie heterogen und bescheidgewusst es dort zuging. Und warum außer Klaus Walter und Thomas Venker niemand »Asiatisch« persönlich als bestes Album gewählt hätte.
Thomas Venker, der führt uns gleich zur »Intro«, das er sehr, sehr lange als Chefredakteur geführt hat und dessen persönliche Jahresbestenliste auch in deren Rückblickausgabe auftaucht, glücklicherweise komplett identisch mit der in der »Spex« abgedruckten, das spart philologische Kleinstarbeit. Das »Intro« wiederum wählt ein Cover antipodisch zur »Spex«, denn hier muss man sich nicht lange mit dem Gestern aufhalten, lieber schneller als die anderen ins Morgen. Und dann wird so ein dummes Ding wie der Fotoshoot mit den Falco-Epigonen Bilderbuch veranstaltet, die mit irgendwelchen Gesichtsausdrücken wenig ansehnliche Früchte ins Bild halten dürfen, überschrieben auch noch mit »So frisch wird 2015«, hab ich jetzt schon keine Lust drauf und ähnlich affirmativ wie die Musik der Band ist dann auch das Interview dazu.
Und dabei punktet das »Intro« thematisch gewaltiger als die »Spex«. Gut, auch hier etwas lässiger untergebracht: Normcore, »The Year in Butts« mit den üblichen Ärschen, Rassismus und die desolate politische Lage, dafür aber mit einem hingerotzten Leo-Fischer-Text, wie es 2014 nun mal verdient hat. Schöne Rubriken, das muss man sagen, kann das »Intro« aber wie niemand anderes: »Die Pop-Battles des Jahres«, alright! Oder, absolutes Highlight: »Das Jahr der schrägen Simulatoren« (Platz 1: »Goat Simulator«, noch vor »Rock Simulator« und »I Am Bread«!). Auch schön: »Die besten Musiker-Cameos in Serien« als Top-7, gewonnen von Sigur Rós in »Game of Thrones«.
Richtig wüst wird es bei »2014: Die Toten«, was fast schon despektierlich rüberkommt in der LSD-bunten Farbgebung des ganzen Rückblickdesigns. Fast schon anachronistisch: Beiträge zum »Tatort«, zur Sharing Economy und der Bedrohung der »Privatsphäre 3.0« (sic!). Aber auch hier steht das Kerngeschäft an, die Listen. Als erstes fällt auf, dass die Redaktion sich sozusagen dafür entschuldigt, mit »This Is All Yours« von Alt-J ein Konsensalbum an die Spitze gewählt zu haben (»Höre ich ein Gähnen?«). Bei der »Spex« undenkbar, sowohl Wahl als auch Entschuldigung!
Ansonsten gefeiert: FKA Twigs, die langweiligste Stilpolizei namens Metronomy, Kate Tempest (ganz toll!), die Tame Impala von 2014, Temples, die Doppelpack-Überschätzung Sleaford Mods und Mac DeMarco sowie das herzlich egale letzte Wye Oak-Album. Ganz okay: Den Büro-Insidergag »Pisse« von Schnipo Schranke zum Song des Jahres zu wählen, natürlich auch unter Insider-Gag-Rechtfertigungszwang. Auch netter Gag: Lana Del Rey aufzunehmen, darauf kommt keiner, und das natürlich unverdienterweise, sowie das furchtbar nervige »Bologna« der völlig nervigen Wanda, wiederum eine Ausgabe später auch von den Leser*innen als Song des Jahres goutiert, dazu »In Schwarz« von Kraftklub als Album des Jahres. Mehr dazu sagen muss man, glaube ich, nicht.
Bilderbuch und Wanda sind dann auch die Helden der Austropop-Story im »Musikexpress«, geschrieben von Linus Volkmann, die Story wiederum gehört allerdings gar nicht zum eigentlichen Jahresrückblick, der zumindest auf dem Cover lustigerweise Jan Böhmermann ins Zentrum von 2014 rückt. Auch witzigerweise mit drauf: Neneh Cherry, Blixa Bargeld, warum auch immer. Macht nix, denn der Jahresrückblick kommt irgendwie souveräner und vollständiger daher als alle anderen.
Klar, auch hier: Hinterteile, »IS«, Politik, U2, iTunes, Internet dabei, dafür aber schöne Kritiken am House-Trend, ein toller Essay darüber, warum niemand Diedrich Diederichsens »Über Popmusik« lesen und diskutieren wollte, eine wirklich witzige Statistik, welche Bands sich 2015 reuniten werden (The Smiths übrigens bei 0,2%). Ein paar einfache Ziele wie Campino, den angeblichen Pop-Feminismus (so 2010!), »Wetten, dass..?«, Selfies oder die Naivität von Haftbefehl auch dabei, schon okay, aber dafür auch mal das Gefühl: Ja, das war wirklich 2014, mit all diesem Unsinn! Und die Erkenntnis, dass man mit Oliver Polak nicht über Musik reden sollte.
Platte des Jahres auch ganz unspektakulär und völlig in Ordnung: »Our Love« von Caribou. Auch die einzige Liste mit »Present Tense« von Wild Beasts, sogar auf Platz 21, ansonsten ein völlig verschwiegenes Meisterwerk aus 2014. Gut, »Love Letters« von Metronomy ist und bleibt nicht der Song des Jahres (wenn schon Metronomy, dann »I’m Aquarius«!), dieser wirklich einfallslose Sixtiesnummer mit ihren enervierenden Harmonien fehlt dazu jegliche Klasse.
Aber auch hier bleibt es dabei, dass 2014 nun wirklich nichts Herausragendes zu bieten hatte, außer, wie es scheint, dem Hinterteilthema. Wo man sich woanders darüber halbwegs einig war, dass das zwar ordentliche, aber sicher wenig einschlägige zweite Run-the-Jewels-Album DIE Platte 2014 war, geht das Ganze hierzulande etwas unter (wobei ich jetzt gerade nicht genau weiß, wie die »Juice« das gesehen hat). Aber es ist auch egal, 2014 war als Popjahr egal, zumindest weitestgehend, davon legen die Jahresrückblicke erschreckendes Zeugnis ab.
Aber das ist nicht schlecht, ganz im Gegenteil! Sie können genauso gut »Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus« von Jens Friebe oder auch das sträflichst übersehene »Rave Tapes« von Mogwai oder noch besser deren wiederveröffentlichtes Überalbum »Come On Die Young«, das nun wirklich jeder besitzen sollte, besonders in der remasterten Version und mit dem grandiosen Bonusmaterial, das allein besser ist als vieles, was 2014 zeitgemäß war, zu den Platten des Jahres küren, es würde niemanden stören, da sie sich an nichts hätten messen müssen, was überragender gewesen wäre. Und so wird 2014 als das Popjahr in die Erinnerung eingehen, das jedermann vergessen oder für sich behalten kann, ganz wie gewünscht.
The Umblätterer’s Delight Series 2012–2015:
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