Tag in Tula
Moskau, 21. März 2018, 22:54 | von PacoSamstagmorgen, der Tag vor der Präsidentschaftswahl, und wir fuhren mit der Lastotschka nach Tula. Das dauert von Moskau aus nur zwei Stunden und schon ist man im gefährlichen Tula, denn es ist Eiszapfensaison und, anders als in Moskau, waren noch nicht alle Eiszapfen kontrolliert abgeschmolzen oder abgedroschen worden. An die Häuser waren A4-Zettel mit Warnungen geklebt: Achtung vor dem Eiszapfen! Zehn-Kilo-Eispickel hingen tropfend von maroden Dachrinnen und es war nur eine Frage der Zeit, bis.
Im Beloussow-Park fuhren wir eine Weile Ski, vielleicht die letzte ordentliche Skifahrt diesen Winter, und in der parkeigenen Brasserie »Pjotr Petrowitsch«, benannt nach dem Parkgründer, gab es dann lauter gute Sachen zur Erfrischung.
Um etwas Zeit zu überbrücken, gingen wir ins »Eremitage« geheißene Theater. Dort gab es einen Tschechow-Abend, und gerade, als wir verspätet hineinschneiten, begann die Aufführung der Zwei-Seiten-Erzählung »Datschniki«, die von ungebetenen Gästen handelt, und die von der Truppe irgendwie auf 20 Minuten gestreckt wurde.
Es war aber noch mehr los im Haus. In der Etage drüber gab es ein Jazzkonzert, und die Band stand vor einer frühneuzeitlichen Weltkarte, und zwar der doppelhemisphärischen von Claes Janszoon Visscher, Mitte 17. Jahrhundert, die durch den Jazz hindurch zu mir herüberschimmerte. Nach dem Konzert trat ich näher heran, die Weltkarte stellte sich als riesiges Puzzlespiel heraus, das irgendjemand erfolgreich zusammengesteckt und dann aufgeklebt, eingerahmt und mit Glasscheibe versehen hatte.
Dann wurde es Zeit, schließlich war Salsa Night in der »Stetschkin«-Bar, die benannt ist nach dem berühmten, in Tula ansässig gewesenen Waffenkonstrukteur Igor Jakowlewitsch Stetschkin. Wir trafen einige Leute, die uns unter anderem kopfschüttelnd erzählen hörten, dass wir »in diesem bescheuerten Theater« gewesen seien, aber uns hatte es dort ja gefallen.
Die Salsa Night selber kann man jetzt schlecht beschreiben, jedenfalls waren wir wie geplant um 3 Uhr morgens wieder am Bahnhof und nahmen den Zug zurück nach Moskau, und unterwegs las ich hot-off-the-presses die krasse Berghain-Story im aktuellen »Spiegel«: »Tod in Berlin«, unheimlich aufgeschrieben von Alexander Osang, bleibt erst mal im Hirn wie ein Fincher-Film.
In Moskau angekommen war alles beim Alten und wir schliefen in den späten Nachmittag hinein, um uns von dem Ausflug nach Tula zu erholen.