Ein Hyundai als Genisa

Haifa, 8. Oktober 2018, 18:03 | von Paco

Absolut herrlicher Oktobervibe in Haifa, ich sitze zum Frühstück im Garten des »Fattoush« in der deutschen Kolonie am Fuß des Bergs Karmel, um zum Tagesauftakt eine Schakschuka zu verspeisen und einen Hafuch zu trinken. Gesagt, getan. Irgendwann trifft Yael ein und dann fahren wir zusammen in ihrem alten Hyundai zur Konferenz am Port Campus.

Der Zustand ihres Wagens ist ihr etwas peinlich. Die ganze Rückbank ist zugemüllt mit Bergen loser Buchseiten, zehntausende müssen das sein, auch auf dem Beifahrersitz fliegen ein paar herum. Ihr sei vor ein paar Wochen der riesige Karton mit den Seiten drin umgekippt, und jetzt sei das eben so der Zustand ihres Autos.

Zuvor hatte sie die Bücher in eine Druckerei gebracht und um Benutzung des Schneidegeräts gebeten. Hart hatte sie kämpfen müssen, um die skeptischen Ladenbetreiber davon zu überzeugen, dass sie eine treue Kämpferin für das gedruckte Wort sei, dass sie aber diese Bücher zerschneiden müsse, um sie automatisiert scannen und digital beforschen zu können. Die zerschnittenen Exemplare hatte sie alle wieder im Karton abgelegt und diesen auf die Rückbank ihres Autos gestellt, bis er dann eben umgekippt ist.

Soweit ihre Erzählung, die ich erst mal einfach so hinnahm, bis mir während der Konferenz plötzlich einleuchtete, warum die Seiten da jetzt noch so rumliegen und Yael mit dieser Situation ganz zufrieden ist, auch wenn sie dadurch ihren Viersitzer zum Zweisitzer degradiert.

Denn die Konferenz drehte sich um die jahrtausendealten Schriftrollen aus den Höhlen von Qumran, nach dem Zweiten Weltkrieg dort entdeckt und zu Weltruhm gelangt.

Althebräische Handschriften, die den Namen Gottes enthielten, durften nicht einfach so entsorgt werden, auch wenn sie nicht mehr benutzt wurden. Sie wurden in Genisas aufbewahrt, zugemauerten Hohlräumen, und haben so oft die Zeiten überdauert. Als eine Art Genisa haben also auch die Qumranhöhlen gedient.

Die Konferenz dauerte schon eine Weile, Forscher und Forscherinnen aus aller Welt, aus Hinz- und Kunzistan sozusagen, problematisierten alte und feierten neue Erkenntnisse und plötzlich wurde mir alles klar. Yaels Auto ist eine Genisa. Sie will die geliebten Buchstaben nicht vernichten, und so überdauern sie nun auf der Rückbank ihres Hyundai bis zum jüngsten Tag. Ich schaute kurz zu ihr hinüber, treue Kämpferin für das gedruckte Wort, und sie schaute zurück, und ich wusste, dass es so war.
 

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