100-Seiten-Bücher – Teil 136
Gertrud von le Fort: »Die Letzte am Schafott« (1931)
München, 31. Dezember 2018, 13:23 | von Josik
Gertrud von le Forts katholische Splatternovelle »Die Letzte am Schafott« ist die ideale Lektüre für Silvester, denn gleich eingangs kommt die Rede auf »die bekannte Feuerwerk-Katastrophe bei der Vermählung Ludwigs XVI., d.h. des damaligen Dauphin mit der österreichischen Kaisertochter« (S. 11). Innerlich konnte ich diesen Satz zuerst nur schwer akzeptieren, denn diese Feuerwerk-Katastrophe war mir bis dato leider durchaus unbekannt. Es ist aber tatsächlich historisch verbürgt, dass bei diesem anfänglich schönen Feuerwerk sehr viele Raketen versehentlich mitten in der Menschenmenge explodierten, wobei nach offiziellen Angaben 135 Menschen ums Leben kamen. Diese Schilderung wird z.B. auch von der »Chronik der Geschichte des Feuerlösch- und Rettungswesens = Band 2004/2 der Diskussionspapiere der Fachhochschule Kehl« bestätigt. Sollten bei einer Silvesterparty also wieder einmal alle über das Feuerwerk-Unwesen klagen, werde ich in Zukunft mit historischem Spezialwissen glänzen und auf die bekannte Feuerwerk-Katastrophe bei der Vermählung Ludwigs XVI. mit Marie Antoinette rekurrieren.
Der Hauptteil unserer Geschichte spielt sich aber 24 Jahre nach der explodierten Vermählung ab, also schon mitten in der Französischen Revolution, und zwar in einem Karmelitinnenkloster. Eine der Nonnen ist ganz scharf darauf, für den Christkönig am Schafott zu sterben, und hofft darauf, dass die Revolution ihr eine gute Gelegenheit dazu bieten werde. Die anderen Nonnen sind nicht ganz so scharf darauf, lassen sich aber nach und nach dann doch von der Vorzüglichkeit dieser Idee überzeugen. »Nur die kleine naive Constance de Saint Denis gestand halb weinend, daß sie sich sehr fürchten werde, die Letzte auf dem Schafott zu sein. Marie de l’Incarnation empfand dies Bekenntnis als peinliche Entgleisung. ›Aber in Ordensgemeinschaften geht doch nicht die Jüngste, sondern die Älteste zuletzt‹, sagte sie« (S. 86). In dem fürchterlichen Chaos der Revolution, das hier geschildert wird (S. 94: »Ich taumelte von Leiche zu Leiche«), wirkt es irgendwie beruhigend, dass wenigstens beim Schlangestehen vor dem Schafott noch Disziplin gewahrt wird und gemäß der internen Ordensrichtlinien die Schwestern sich da schön nach Alter aufreihen.