100-Seiten-Bücher – Teil 151
Assia Djebar: »Die Zweifelnden« (1957)
München, 7. März 2019, 10:15 | von Josik
Nadia, die Ich-Erzählerin in Assia Djebars superstem Roman »La soif« (in dieser Ausgabe hier sehr frei als »Die Zweifelnden«, in einer anderen deutschen Ausgabe korrekt als »Durst« übersetzt), besucht gerne die Kinos und Kasinos in Algier, hört Jazz, hält sich in lauten Cafés auf, mag Überraschungspartys und liebt es, an Autorennen teilzunehmen, bei denen sie ihre Haare im offenen Cabrio flattern lässt, sie ist jung und flippig. Umso mehr sticht ein einzelner Satz im sechsten Kapitel hervor, auf den im ganzen Roman weder davor noch danach wirklich Bezug genommen wird, und nun bitte ich alle, sich kurz hinzusetzen und sich gut festzuhalten, denn dieser Satz lautet also wie folgt: »Ich übersetzte beschwingt einen Aufsatz Senecas über die Mäßigung« (S. 53).
Nun kann man von Seneca ja halten, was man will, aber es steht fest, dass er durchaus zum Austicken neigte. So berichtet er in einem seiner Briefe (Epistulae morales, 56), wie er mal für kurze Zeit über einer Badeanstalt, also über einem römischen Fitnessstudio, gewohnt hat, und er ist sich tatsächlich nicht zu blöd, sich über den Lärm, den die dort herumturnenden Kraftprotze, Masseure, Saunierenden, Wasserplantscher, Kuchenbäcker, Würstelverkäufer, Ballspieler und Achselhaarausrupfer veranstalten, lang und breit zu mokieren. Nur, wo bitteschön sollen Kraftprotze sich denn sonst aufhalten, wenn nicht in einem Fitnessstudio? Seneca und Mäßigung, ach komm, hör mir auf.