100-Seiten-Bücher – Teil 174
Hedwig Dohm: »Werde, die du bist« (1894)
München, 8. Oktober 2019, 10:10 | von Josik
Es ist kaum zu glauben, wie fetzig Hedwig Dohm bereits 1894 über ein Thema geschrieben hat, das gesellschaftlich selbst heute noch relativ tabu ist, nämlich über die Liebe einer älteren Frau zu einem erheblich jüngeren Mann (hier trägt die ältere Frau den bezeichnenden Allerweltsnamen Agnes Schmidt). Diese superste Novelle wurde immer wieder aufgelegt und kursiert in den unterschiedlichsten Buchausgaben. Mir fiel jene Ausgabe in die Hände, die Berta Rahm besorgt hat, und das ist deswegen so interessant, weil nicht nur die Novelle selbst, sondern auch das von Berta Rahm verfasste, exakt drei Seiten lange Nachwort bleibende Eindrücke hinterlässt. »als ich die geschichte der Agnes Schmidt […] gesetzt hatte«, so geht dieses Nachwort los, »blieben (bei 6 bogen) 3 seiten leer. womit sollte ich sie füllen? / es war ein sonniger tag im märz. ich fuhr in den schwarzwald, kaufte DIE ZEIT (nr. 11) und las (EXTRA, S. 49–55 […]), was vor 50 jahren geschah […]. ›Der Marktführer setzt Maßstäbe‹, steht in der ZEIT-EXTRA im inserat daneben […]. nach der ZEIT-EXTRA-lektüre machte ich langlauf im weichen schnee. weil es aussah, als könnten wolken die sonne überziehen, setzte ich mich auf eine bank am waldrand um noch die warmen strahlen zu geniessen. / eine spaziergängerin liess sich auch nieder […]. ich fragte sie, ob sie die novelle von Hedwig Dohm kenne. nein. sie ging weiter dem wald entlang und ich wieder auf die loipe« (S. 93–95). Und damit der Kurzweil auf Erden kein Ende sei, ergeht hiermit folgender flammender Appell an die Weltöffentlichkeit: Wenn Ihr mal ein Buch herausbringt und am Ende bleiben noch drei Seiten leer: Füllt sie einfach!