100-Seiten-Bücher – Teil 178
Patricia Grace: »Unter dem Manukabaum« (1975–1994)
München, 18. November 2019, 12:55 | von Josik
In diesem Band sind zehn Geschichten der Maori versammelt. Eine dieser zehn Geschichten geht so: Die Kinder schämen sich ganz entsetzlich für ihre Mutter, denn sie fährt ein uraltes Auto, das keine Bremsen mehr hat. Außerdem hat die Mutter keinen Führerschein. Das ist ihr aber wurst, und so fährt sie jeden Mittwoch einkaufen.
Sobald sie losfährt, fängt sie an zu hupen. Wenn sie hupend durch die Straßen fährt, laufen alle ihre Freundinnen und Bekannten aus ihren Häusern und schreien ihr zu, was sie gerne haben möchten: Kartoffeln, Brot, Hosen usw. Wenn die Mutter sich schließlich dem Laden nähert, fährt sie gegen den Rinnstein und zieht die Handbremse. Sie kauft alles ein, packt das Auto randvoll, fährt zurück und wirft die Sachen auf dem Rückweg aus dem Auto raus, natürlich immer die richtigen Sachen an der richtigen Stelle.
Auf diese Weise also verlaufen die Mittwoche. Und dann, eines Tages, passiert das Unglaubliche: Der Vater gewinnt 50.000 Dollar im Lotto. Von diesem Geld kauft er, versteht sich, u. a. ein neues Auto. Der alte Wagen wird verschrottet. Trotzdem ändert sich eigentlich nichts. Die Mutter fährt weiterhin jeden Mittwoch einkaufen. Manchmal vergisst sie, dass das neue Auto Bremsen hat. Und sie fährt weiterhin hupend durch die Straßen. Ende. Ach so, am Anfang dieses Textes wollte ich eigentlich schreiben: »Spoilerwarnung«, hab ich vergessen.
Patricia Grace: Unter dem Manukabaum. Geschichten der Maori. Aus dem Englischen von Christine Holliger. Zürich/Frauenfeld: Nagel & Kimche 1995. S. 3–123 (= 121 Textseiten). – Die Titel der Originalausgaben lauten: Waiariki, Erstveröffentlichung bei Longman Paul Ltd 1975, The Dream Sleepers, Logman Paul Ltd 1980, Electric City, Penguin Books Ltd 1987, The Sky People, Penguin Books Ltd 1994.
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)