100-Seiten-Bücher – Teil 186
Urs Widmer: »Der Geliebte der Mutter« (2000)
Moskau, 26. November 2019, 09:20 | von Paco
Die Landung auf dem Edward-Snowden-Flughafen Scheremetjewo war etwas ruppig, der Kapitän musste scharf bremsen, um den Jet in ruhiges Rollen zu bringen. Auf meinem Nebensitz lag der Roman, den ich zwischen Berlin und Moskau zu Ende gelesen hatte. Durch den Bremsruck rutschte das Buch vom Sitz und segelte unter mehreren Reihen hindurch nach vorn.
Als in der Kabine das Licht anging, hatte ich mir schon den Satz zurechtgelegt, mit dem ich gleich die Sitzreihen vor mir abschreiten wollte: »Entschuldigen Sie bitte, ist bei Ihnen vielleicht das Buch des berühmten Schweizer Autors Urs Widmer gelandet? Es handelt sich um den Kurzroman ›Der Geliebte der Mutter‹ und er gehört mir.«
Ich musste gar nicht weit gehen. Schon zwei Reihen vor mir hielt eine junge Frau das Buch hoch und war außer sich. Ich bedeutete ihr, dass das mein Buch sei, und sah plötzlich, worüber sie so in Wallung geraten war. Auf ihrem Schoß lag ein anderes Buch des Diogenes-Verlags, ebenfalls Urs Widmer, »Der blaue Siphon«. Und sie schrie mir begeistert entgegen, dass sie den »Geliebten der Mutter« gerade gelesen habe, und das verblüffte mich nun natürlich auch ziemlich.
»There you go, young man!«, sagte sie, als sie mir das Buch zurückgab, einen Satz der Mutter aufnehmend, den diese sich für ihren Besuch in New York zurechtgelegt hatte (S. 122).
Und wenn mich nicht alles täuscht, so war dieser Aeroflot-Flug die Geburtsstunde des »Urs Widmer Bookclub Moskau«.