100-Seiten-Bücher – Teil 216
Yasmina Reza: »Eine Verzweiflung« (1999)
München, 27. Dezember 2020, 09:40 | von Josik
In diesem Roman sagt der Ich-Erzähler über seinen Schwiegersohn, dass er ihm »alles verzeihe, weil er Apotheker ist« (S. 55). Okay, Leute, machen wir einen Test.
In ihrer 1810 veröffentlichten Biografie von Carl Ludwig Fernow berichtet Johanna Schopenhauer folgendes: Mit 14 Jahren habe Fernow in Anklam eine Apothekerlehre begonnen. »Ein benachbarter Edelmann«, schreibt sie, »schickte wöchentlich seinen Jäger in die Stadt, Arzeneien zu holen; Fernow kannte diesen Jäger sehr wohl, und hatte ihn gern als einen flinken Burschen, mit dem er oft im Scherz sich herumbalgte und schäkerte. Eines Morgens wie außer Fernow, der eben mit Kräuter-Auslesen beschäftigt war, nur noch einer seiner Mitlehrlinge sich in der Apotheke befand, kommt der Jäger wie gewöhnlich. Fernow verläßt seine Arbeit, nimmt im Scherz des Jägers Gewehr, legt auf ihn an, der Schuß geht los, und der Unglückliche sinkt ohne einen Laut, ohne eine Bewegung, auf der Stelle todt nieder, die Kugel war gerade durch’s Herz gegangen.«
Also noch einmal langsam: Der Apothekerazubi Fernow hat aus Jux und Dollerei versehentlich seinen Buddy erschossen – das ist kein Märchen, sondern das ist vor noch nicht einmal dreihundert Jahren wirklich passiert! Und nun, Leute, beantwortet bitte die Testfrage: Verzeiht ihr ihm?