Besuch im Serienland #8:
Die 10 besten US-Serien der Saison 2012/13
Leipzig, 16. Juli 2013, 15:10 | von Paco
Navigare necesse est, und dasselbe gilt im ersten Sechstel des 21. Jahrhunderts auch immer noch für das Schauen von US-Serien. Die Luft ist zwar seit zwei, drei Jahren so ein bisschen raus, aber ein paar gute Sachen laufen eben noch, auch wenn von den derzeitigen Uberserien demnächst einige ihre Segel streichen: »Breaking Bad«, »Mad Men«, »Dexter«. »Doch dazu mehr an anderer Stelle.«
»House of Cards« zum Beispiel war auch nicht so schlecht. In der zugehörigen Berichterstattung wurde aber eigentlich nur hervorgehoben, dass die 13 Folgen der 1. Staffel gleich alle auf einen Schlag bei Netflix kuckbar waren. Was natürlich super ist. Frank Underwoods Zynismus nervt aber so arg, dass man lieber doch mindestens eine Woche Pause zwischen den Folgen lassen sollte, ganz zu schweigen von seinen okkasionellen Rendezvous mit der Vierten Wand, die viel zu unsystematisch sind, als dass sie als Stilmittel gerechtfertigt wären. Zum Überschuss an Vizepräsidenten im aktuellen US-Serienfernsehen siehe übrigens unten unter »Veep« und »Homeland«.
Der Serien-Rundown wird heuer zum achten Mal veranstaltet, die Charts der letzten Jahre sind hier: 2005/06, 2006/07, 2007/08, 2008/09, 2009/10, 2010/11, 2011/12.
Und hier die zehn Spitzenserien des Jahrgangs 2012/13:
1. Mad Men (6. Staffel, amc)
2. Breaking Bad (5. Staffel, erste Hälfte, amc)
3. Game of Thrones (3. Staffel, HBO)
4. Homeland (2. Staffel, Showtime)
5. Veep (2. Staffel, HBO)
6. The Office (9. und letzte Staffel, NBC)
7. Boardwalk Empire (3. Staffel, HBO)
8. The Simpsons (24. Staffel, Fox)
9. Dexter (7. Staffel, Showtime)
10. Girls (2. Staffel, HBO)
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Nach der Doppelfolge zu Beginn wollte ich erst gar nicht weiterkucken: zu langweilig. Dass sich Don Draper überlebt hat, will zwar auch die Serie irgendwie zeigen. Aber Jon Hamm mit seinem Mürbeteigblick, dem einzigen künstlerischen Ausdrucksmittel, das er hat, ist nur noch öde. Gegen Mitte der Staffel wird es wieder besser, der Merger mit den CGC-Leuten bringt Peggy zurück und Ted als neuen Ko-Chef, der erst mal von Don unter den Tisch getrunken wird. Und dann doch immer wieder: Diese herrliche Joan. Dieser herrliche Pete Campbell, eine Art Don-Draper-Schwundstufe. Dieser herrliche Roger Sterling. Und neu dabei der schlierige Bob Benson, eine schöne Ripley-Figur. In der letzten Folge gibt es genregemäß noch einen dicken Twist, der überdeutlich den Anfang vom Ende markiert: Die zusammengelegte Company SC&P (als Name dann doch für besser befunden als SCDPCGC) suspendiert Don wegen wiederholten Nebensichseins. In einem Kundengespräch hat er nämlich endlich seine Kindheit im Whorehouse offenbart, sicher kein guter Zeitpunkt, aber so ist nun endlich Erlösung nahe. Eine Staffel noch, dann entsteigt er in den dampfenden Serienhimmel.
2. Breaking Bad (5. Staffel, erste Hälfte, amc)
Achtung, Spoiler. – Wie damals bei der Zerstückelung der letzten »Lost«-Staffel wirkt das zweigeteilte »Breaking Bad«-Finale wie Zeitspiel und hätte dringend abgepfiffen werden sollen. Nach den Geschehnissen der 4. Staffel, die eigentlich schon Finalstaffelimpetus hatte, stand jetzt eigentlich nur noch die große Anagnorisis aus: Hank Schrader erkennt, dass hinter dem methkochenden Pseudonymträger Heisenberg sein Schwager steckt. Mit dieser Erkenntnis am Horizont hat die erste Hälfte der 5. Staffel abgeschlossen. Ein paar andere Dinge stehen auch noch aus, vielleicht erkennt Jesse endlich, dass sein alter Chemielehrer seine Freundin hat krepieren lassen usw. Aber zurück zu den ersten 8 Folgen der 5. Staffel, die bis Anfang September 2012 liefen: Folge 5×05, das Absaugen des Methylamin aus einem zum Stehen gebrachten Frachtzug im Niemandsland von McKinley County war eine zwar völlig bescheuerte, weil völlig ausgedachte Story, aber beim zweiten Kucken dann doch ziemlich spannend und am Ende wieder sehr moralisch, was sowieso keine Serie so gut wie BB verbinden kann, ohne dass es allzu lächerlich wird. Wobei, ein bisschen lächerlich wird es schon auch, zum Beispiel wenn Walt in Folge 5×07 fast weinerlich seinem Drogenmarktkonkurrenten Declan befiehlt: »Say My Name! Say My Name! Say My Name!« Ach so, leider hat es nach dem tollen low talker Gus Fring nun einen weiteren Liebling getroffen: Rest in peace, Mike Ehrmantraut!
3. Game of Thrones (3. Staffel, HBO)
Die GoT-Verfilmung als TV-Serie ist vor allem eins: ziemlich langatmig. Allein die Geschichte um Theon Greyjoy in dieser 3. Staffel, sie streckt sich so grund- wie endlos, immer wieder aufs Neue passiert: nicht sehr viel. Und wenn doch, dann werden vor allem narrative Klischees in Szene gesetzt, mal bitte diesen Artikel hier überfliegen. Darin steht auch folgender schöne Satz: »Vorwürfe nach dem Prinzip ›Das ist in den Büchern aber ganz anders‹ können mir gestohlen bleiben.« So! Dabei deckt übrigens der 3. Roman der Saga nicht mal die ganze 3. Staffel ab, auch deshalb werden viele nicht sehr süffige Substorys leider ad nauseam ausgewalkt. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die Romanvorlagen als Langzeitserie zu verfilmen. Höhepunkte und Gamechanger wie die vorletzte Folge mit dem Red-Wedding-Massaker (»The Rains of Castamere«) sind selten, aber man muss GoT aus irgendwelchen Gründen wahrscheinlich trotzdem weiterkucken, hehe.
4. Homeland (2. Staffel, Showtime)
Eigentlich habe ich nur wegen der Carrie-Brody-Lovestory weitergekuckt, und ich wurde nicht enttäuscht! Das ganze Terrornarrativ, das der Serie zugrunde liegt, ist aber weiterhin hysterisch bis hanebüchen, doch wozu gibt es die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit! Im Verlauf der Season muss auch der Terrornerd Abu Nazir plötzlich dran glauben, aber aus dem Tod heraus sorgt er noch für ein schönes BOOM!, das sicher auch Karlheinz »9/11« Stockhausen ein bisschen erfreut hätte. Und weil Brodys Geländewagen in den Anschlag verwickelt ist, muss der frühere Teilzeitterrorist flüchten. Schöner Schuld-und-Sühne-Nebenplot mit Brodys Tochter Dana, die zusammen mit Finn Walden, dem Sohn des Vizepräsidenten, glucksend eine Spritztour unternimmt, die für eine Passantin leider tödlich endet.
Julia Louis-Dreyfus bekommt natürlich immer wieder neue Shows zugeschustert, denn ihre Lachkaskaden sind einfach sehr schön anzuhören und man kann davon seit »Seinfeld« nicht genug kriegen. Aber schon eine einzige Folge mit ihr als US-Vizepräsidentin Selina Meyer und der ganzen Entourage reicht völlig, um den sich nicht über die Anfangsidee hinausentwickelnden Humor über zu haben, die scherzhafte Darstellung der Banalität und Inkompetenz der Weltmächtigen ist auf Dauer doch ein bisschen billig. Aber wenn man sich das Ganze wie Dürrenmatts »Physiker« vorstellt, geht es wieder: Ein Haufen Verrückter darf in der Irrenanstalt, die nur so aussieht wie ein Bürokomplex der US-Regierung, Politik spielen, abgeschottet von der Wirklichkeit. Selina Meyer hat als Vizepräsidentin auch einfach zu viel Konkurrenz, denn zwar ist William Walden aus »Homeland« jetzt weg vom Fenster, aber Frank Underwood wurde ja im Februar diesen Jahres in der 1. Staffel der Netflix-Serie »House of Cards« gerade frisch der Veep-Posten angetragen. Was eigentlich hat es mit dieser momentanen Vizepräsidentenobsession der US-Serien auf sich, das wäre mal einen schönen taz-Artikel wert oder einen Diederichsen-Essay in »Texte zur Kunst«.
6. The Office (9. und letzte Staffel, NBC)
Obwohl das Format auch nach über 8 Jahren noch Spaß macht, war nach dem Abgang von Michael Scott in Staffel 7 das Ende absehbar. Ein bisschen unelegant werden die Office-Mitarbeiter aus ihrer Langzeitdoku entlassen, nämlich mit viel zu viel Metabrei, der Thematisierung der Gemachtheit der Doku, was völlig unnötig ist. Es beginnt mit der Folge 9×18 (»Promos«) und endet damit, dass sich die Büromenschen tatsächlich auch noch die Doku anschauen, die all die Jahre über sie gedreht wurde, wtf?! Am Ende gibt es wie erwartet eine Zuckerguss-Doppelfolge als Finale und noch ein Schmankerl zum Schluss, Dwight K. Schrute wird »permanent manager of Dunder Mifflin Scranton«, super! À propos, ist eigentlich Hurley immer noch Häuptling der »Lost«-Insel?
7. Boardwalk Empire (3. Staffel, HBO)
Kaum noch Erinnerungen daran. Das Beste an der Staffel war der neu eingeführte (und am Ende wieder proper ausgeführte) Nucky-Gegenspieler Gyp Rosetti (Bobby Cannavale), so einen prallen, slangenden und saftig grinsenden Typen gibt es nur in Mafiaklamotten!
8. The Simpsons (24. Staffel, Fox)
Haha, wieder mal eine ganze »Simpsons«-Staffel gekuckt, 22 Folgen. Zuletzt hatte ich das, glaube ich, bei Staffel 19 gemacht. Kann man vielleicht alle fünf Jahre wiederholen, also wohl im Lutherjahr 2017 das nächste Mal! Wie auch immer, in Folge 24×19 gibt es einen schönen Serienjunkie-Seitenhieb: Weil Marge Platz auf dem DVR braucht, muss Homer 87 Stunden aufgezeichnete TV-Shows wegkucken. Lisa: »Mom’s deleting old TV shows off the DVR.« Homer: »What the…?! (…) Hands off my episodes of ›Episodes‹, and if you delete ›Revenge‹ … grrr!«
9. Dexter (7. Staffel, Showtime)
Schwer auszuhaltende Staffel, aber glücklicherweise war das die vorletzte! Debra, die Schwester des adoptierten Dexter, war ja schon immer schrecklich, aber diesmal geht die Figur samt ihrer Darstellerin richtig krachen. Denn dass Debra ihr plötzliches Mitwissertum in Sachen »mein Bruder ist ein hochgradiger Serienmörder« nicht in einer Denunziation enden lässt, ist mehr als unglaubwürdig, ihr Verhalten, ihre Verzweiflung bleiben pure Behauptung. Dabei sollte es doch einen Unterschied machen, ob man zum Beispiel nur seine Flugtickets oder das Brötchengeld zu Hause vergessen hat oder der Bruder ein Menschenschlächter ist. Die Debra-Figurine jedenfalls ist mit der Plotvorgabe völlig überlastet. Und weil für diesen Schrott viel zu viel Zeit draufgeht, bleibt auch die »Dexter«-typische Spannung die ganze Staffel über eigentlich aus. Immerhin kommt mit Dexters love interest Hannah McKay ein bisschen Ambivalenz ins Spiel und der Cliffhanger war auch ganz interessant: Debra muss sich mit gezogener Waffe entscheiden, ob sie Dex oder ihre nervige, aber grundgute Chefin LaGuerta abschießt. Ist eigentlich aber auch egal, denn es wird so oder so Zeit, dass Dexter abdankt, und er ist auf dem besten Weg dahin, die 8. und letzte Staffel läuft schon seit Ende Juni. (Ach so, gerade sagt mir Linda, dass sie und Maren große Debra-Fans sind, also vielleicht bin ich da eben zu schroff gewesen, kann ja sein.)
Dann doch nicht mehr als eine Teenieserie, die man nicht mehr weiterkucken sollte. Genug von Lena Dunham gesehen. Trotzdem ziemlich gut sind der One-on-one mit Patrick Wilson in 2×05 (»One Man’s Trash«) und die Hundefolge 2×06 (»Boys«), letztgenannte einfach mal wieder sehr gut geschrieben (da nicht von Dunham selbst), die Dialoge zwischen Ray und Adam, und überhaupt Adam Driver als Adam Sackler, der verdient einen Spin-off, irgendeine Serie, die ihn nur dabei zeigt, wie er in seinem dunstigen Apartment irgendwelche Dinge zersägt.
Am 16. Juli 2013 um 22:03 Uhr
Ja, ich weiß, Auswahl und Ranking sind wie immer höchst subjektiv. Trotzdem möchte ich für den nächsten Besuch im Serienland einen Zwischenhalt bei »The Americans« nahelegen (1. Staffel, FX).
Das Ehepaar Jennings – »The Americans« – sind wirklich durch und durch amerikanisch, abgesehen vielleicht von der russischen Muttersprache und dem Arbeitsvertrag mit dem KGB. Sie sind undercover in Washington D.C. zu einer Zeit, in der die die Raketenabwehrpläne Reagans für größte Nervosität sorgen. Weil die Serie in den frühen Achtzigern spielt, kommt sie auch ohne die halsbrecherischen Turns von »Homeland« aus. Da ist erstens das grandiose Zeitkolorit (vorgeblich führen die beiden eine »travel agency«!). Und zweitens sind die Spionagetricks so rustikal, dass gar kein Zweifel an ihrer Lebensnähe bestehen kann. Wer jedenfalls mit den Jennings’ die x-te Botschaft händisch dechiffriert und anstrengende Regenschirmattentate verübt hat, der ist sofort in der fatalen Dexter-White-Empathie gefangen, aus der es kein Entrinnen gibt.
Am 17. Juli 2013 um 10:30 Uhr
Schade dass „House of Cards“ so missfiel. Freue mich da doch noch mehr auf die Fortsetzung als bei „Breaking Bad“.
Beide verfolgen doch konsequent ein Prinzip. Bei „Breaking Bad“ ging mir dieses Wie-kann-man-sich-jetzt-noch-tiefer-in-die-Scheiße-reiten zwischendurch schon mal auf den Wecker, bei Underwood ist der Bogen, wie man ihn zu einem immer fieseren Arschloch machen kann nun auch schon fast überspannt (wie soll man das noch steigern können?), aber noch die Serie ja frisch und jung.
Am 17. Juli 2013 um 11:33 Uhr
Schade, dass Louie nicht den Weg auf die Liste gefunden hat. Louis C.K. erfindet mit Lena Dunham gerade nämlich die Sitcom neu.
Am 17. Juli 2013 um 11:44 Uhr
@Sascha: Louie war letztes Jahr ganz vorn mit dabei. Und alles, was man über Season 2 sagen konnte, gilt auch für Season 3. Es ist aber trotzdem genau gut, dass er jetzt vor Season 4 eine Pause einlegt.
Am 18. Juli 2013 um 16:50 Uhr
Ich sehe „House of Cards“ auch etwas weiter vorne, kann die Einwände aber gut verstehen. Würde noch Jerry Seinfelds „Comedians In Cars Getting Coffee“ nominieren, einfach, um „Girls“ aus der Top 10 zu schießen. Achso, „Family Guy“ rein, „The Simpsons“ raus.
Am 29. Juli 2013 um 20:47 Uhr
Ich kann noch „Bored To Death“ empfehlen. Großartig ab der 2. Staffel und seltsamerweise in der deutschen Synchronfassung lustiger als im Original.
Am 4. August 2013 um 12:19 Uhr
Mit keinem Wort wird erwähnt, dass „House of Cards“ Mache von http://www.imdb.com/title/tt0098825/ House of Cards (1991) ist. Ich verstehe die Affinität von Kevin Spacey, der künstlerischer Direktor im „The Old Vic“ in London ist, jedoch hat Umblätterer den Nervfaktor treffend beschrieben.