100-Seiten-Bücher – Teil 108
Wolfgang Bächler: »Einer, der auszog, sich köpfen zu lassen« (1990)
Berlin, 5. März 2014, 14:45 | von Josik
Wer spielte in Fassbinders »Deutschland im Herbst« neben Wolf Biermann, Vadim Glowna, Horst Mahler, Hannelore Hoger, Franziska Walser, Angela Winkler und Manfred Zapatka noch mit? Wolfgang Bächler!
Wer spielte in Werner Herzogs »Woyzeck« neben Klaus Kinski, Eva Mattes, Josef Bierbichler und Irm Hermann noch mit? Wolfgang Bächler!
Und wer spielte in Volker Schlöndorffs »Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach« neben Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta noch mit? Wolfgang Bächler!
Uwe Wittstock hat auf seinem herausragenden Blog vor knapp zwei Jahren erzählt, wie er damals als Lektor des S. Fischer Verlags den heute zu Unrecht völlig vergessenen Wolfgang Bächler besucht und beschworen habe, seinen Roman »Einer, der auszog, sich köpfen zu lassen« fertigzustellen. Schließlich und endlich habe Bächler »ein paar abschließende Sätze« geliefert.
Es spricht für das Genie Bächlers, dass man dem Buch davon rein gar nichts anmerkt, denn hier wirkt auch der Schluss rund und folgerichtig. Und dabei wird man die ganze Zeit über das Gefühl nicht los, dass die Geschichte, die hier erzählt wird und die mit jedem Schritt bizarrer wird, doch auch wirklich stattfinden könnte: Ein Mann packt ein echtes Henkersbeil in seinen Rucksack, quatscht auf der Straße Leute an, weil er sich gern köpfen lassen möchte, und gerät dabei zufällig an einen Herrn namens Fridolin Henker.
Sie beginnen miteinander zu saufen und sich ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Herr Henker nimmt den Mann dann sogar mit zu sich in die aus vielerlei Gründen unheimliche Wohnung, wo das Gespräch bei einem opulenten Festmahl fortgesetzt wird. Als beide schon völlig besoffen sind, weist Herr Henker dem Besucher einen Schlafplatz im Bett der seit mehreren Wochen abwesenden Haushälterin zu. Am nächsten Morgen steht Tschalelei vor der Tür und es passiert noch so allerhand.
Aber diese hinreißenden Gespräche! Sie lesen sich wie Dostojewski on mushrooms, und wenn ein paar Theatermacher diesen Roman dramatisieren würden, wäre ihnen ein sensationeller Erfolg garantiert, dafür stehe ich mit meinem Namen!