Der Fall Elke Heidenreich
Berlin, 24. Mai 2014, 21:43 | von JosikNein, es weihnachtet grade nicht, aber es raddatzt sehr. Zu verdanken ist das Elke Heidenreich. Im »Literaturclub« ging sie fehlerhaft mit einer Heidegger-Wortfolge um und wollte sich diese Fehlerhaftigkeit auch vom Moderator Stefan Zweifel nicht kaputtmachen lassen. Nachdem der widerborstig-impertinente Stefan Zweifel seine Mitdiskutantin Elke Heidenreich auf die Fehlerhaftigkeit ihrer Heidegger-Wortfolge hingewiesen hatte, schmiss sie feingeistig den besprochenen Heideggerband auf den Tisch (YouTube is your friend).
Stefan Zweifel wurde daraufhin seiner Pflichten als Moderator entbunden und viele Kommentatoren (darunter hier der und möglicherweise indirekt auch hier der) fordern nun, nicht auf ihn, sondern auf Elke Heidenreich solle der erste bzw. zweite Stein geworfen werden. Und sie führen den Fall Raddatz als Beispiel dafür an, wie die Zeiten sich verändert hätten: 1985 sei es noch so gewesen, dass nicht derjenige rausgeschmissen wurde, der die Fehlerhaftigkeit eines Zitats erkannt hat, sondern derjenige, der einem Falschzitat aufgesessen ist.
Benedict Neff schreibt in der »Basler Zeitung«: »Wie heikel solche falschen Zitate auch im Kulturbetrieb sein können, zeigt das Beispiel des einstigen Feuilleton-Chefs der Zeit, Fritz J. Raddatz.« Und Jürg Altwegg erinnert in der »FAZ« daran, dass die »Basler Zeitung« an Fritz J. Raddatz erinnert.
Philologisch gänzlich unverantwortlich und absolut fahrlässig wird hier aber ersichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Denn erstens ist einem Interview, das Elke Heidenreich vor einiger Zeit dem Magazin »Cicero« gab, zu entnehmen, dass sie ihre Arbeit sehr wohl immer nach bestem Wissen und Gewissen verrichtet: »Es ist (…) wichtig«, sagte sie dort, »sich auch intellektuell mit Texten und Büchern auseinanderzusetzen, und das kann nur das Feuilleton. Da kann man die Sätze nachlesen, da kann man schwierige Texte noch mal überprüfen.«
Und zweitens ist es seit rund drei Jahrzehnten Communis Opinio, dass Raddatz’ fehlerhafter Umgang mit Zitaten eine Lappalie, mithin sein Rausschmiss bei der »Zeit« nicht gerechtfertigt war. Also, d’accord: Damals wäre es richtig gewesen, Raddatz auf seinem Posten zu belassen! Aber heute soll es falsch sein, Elke Heidenreich auf ihrem Posten zu belassen? Beide sind fehlerhaft mit Zitaten umgegangen. Doch was einem renommierten Intellektuellen, einem Germanistikprofessor, einem Universalgenie, aber letztlich eben auch einem Menschen wie Raddatz passieren kann, soll ebenfalls einem Menschen und immerhin einer gestandenen Trägerin des Medienpreises für Sprachkultur wie Elke Heidenreich nicht passieren dürfen?
Im Fall Raddatz sprach Peter Voß von einem »Fehler, von dem man eigentlich sagen kann, der nicht der Rede wert ist«. Raddatz selbst berichtet, wie er auf einer Geburtstagsfeier bei den Henkels am 25. Oktober 1985 von vielen Geistesgrößen angesprochen worden sei: »Von Scheel zu Hamm-Brücher, von Höfer bis Ehmke, von Liebermann bis Ledig: Was wollen die überhaupt, wieso verteidigen die Sie nicht, das alles wegen eines läppischen Fehlers? Man kann NIRGENDS begreifen, daß eine solche Lappalie überhaupt ernst genommen wird.« Ja, sogar Steuerrechtsexperte Theo Sommer selbst nennt das Ganze inzwischen eine »Lappalie«!
Im Fall Raddatz spricht auch Lothar Struck von einem »lächerlichen Fehlerchen«, im Fall Heidenreich spricht derselbe Lothar Struck jetzt aber plötzlich von der »Aufgabe jeglicher intellektuellen Redlichkeit (Falschzitat)«.
Man muss vielleicht doch noch einmal daran erinnern, was Robert Gernhardt 1985 im »Spiegel« über Raddatz schrieb: »Er hat uns mehr über Grammatik, Geographie, Bildende Kunst und (…) auch Philologie beigebracht als so manches andere staubgründliche Feuilleton.« Klar ist, dass ein unabhängiger Geist wie Raddatz sich von solch anbiederndem Lob nicht beeindrucken lässt. Noch sechs Jahre nach Gernhardts Tod urteilte Raddatz: »Die Deutschen lieben ihre selbstfabrizierten Mythen, lauwarm weichgespült mögen sie bitte nicht von den kühlen Wassern der Vernunft gereinigt werden. (…) So halten sie Robert Gernhardt für einen fast genialen Lyriker – der doch in Wahrheit über Schülerzeitungsreime à la ›Den Mistkerl hab ich rangekriegt. Er hat sie in den Mund gefickt‹ nie hinausgelangte«, und auch in einer Kritik, die laut »Zeit Online« bereits vom 31. Dezember 1899 stammt, verglich Raddatz in einem Totalverriss, einen brillanten Gedanken variierend, Gernhardts dichterische Potenz mit »der parodistischen Energie eines Schülerzeitungs-Redakteurs«.
Doch zurück zu Elke Heidenreich: Wollen wir allen Ernstes den Fehler, der anno 1985 im Fall Raddatz begangen wurde, wiederholen? Wollen wir denn gar nichts aus der Geschichte lernen? Wollen wir wirklich über Elke Heidenreich den Stab brechen? Was ist mit den Idealen der Toleranz und des Miteinanders? Stattdessen werden weiterhin Hass, Wut und schlechte Laune gepredigt. Warum nur ergötzen Menschen sich so lustvoll am Unglück anderer? Warum haben Menschen so weitgehend die Fähigkeit zur Anteilnahme verloren, zu Erbarmen – gar Barmherzigkeit? Die Botschaft von Barmherzigkeit trifft auf taube Herzen, ist dahingeschmolzen wie die Kerzen am Baum. Statt des Gebots »Liebe deinen Nächsten« liest man die Umtauschgarantie. Es zählen nur noch Gütesiegel – keine Güte mehr. Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten.
Am 24. Mai 2014 um 21:56 Uhr
Die einzig richtige Lösung ist: Heidenreich rauswerfen und ihr sofort wieder eine eigene Sendung geben, in der Stefan Zweifel als Gast auftritt und Wittgenstein falsch zitiert. Denn merke: „Es gibt kein richtiges Zitieren im Fa…rbfernsehen.“ (Aristoteles: Nike macht sich ’ne Ethik)
Am 25. Mai 2014 um 10:13 Uhr
Jahrelang suchten die Goethe-Forscher nach seiner Verbindung zur Eisenbahn – und sie fanden nichts. Bis Raddatz kam und auf ein gefälschtes Zitat hereinfiel. Jahrelang suchten Heidegger-Forscher nach einem Heidegger-Zitat, dass er Juden von Grund auf ablehnte und aus Deutschland weghaben wollte, vielleicht sogar – aber das schien ausgeschlossen – wie die Nazis umbringen, beseitigen wollte – und sie fanden nichts. Bis Elke Heidenreich kam und das Zitat fand, dass er sie so schnell wie möglich zu „beseitigen“ seien. Ok. nicht beseitigen, das war ein kleiner Fehler: „Deutschland entbergen“, eine Spezial-Formulierung des Nazi-Philosphen, was ja damals bekanntermassen, soviel bedeutete, wie Juden, so schnell wie möglich zu beseitigen, oder so ähnlich. Man muss sich ja heute nicht mehr genauer mit Nazi-Philosphen beschäftigen, sagt Elke Heidenreich, das sei für die Zuseher nicht gut.
„Es zählen nur noch Gütesiegel – keine Güte mehr. Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten!“
Am 25. Mai 2014 um 10:21 Uhr
Raddatz und Heidenreich sind nur dahingehend zu vergleichen dass man feststellt, dass sie so rein gar nichts miteinander zu tun haben. Raddatz‘ Fehler war ein Beiwerk, eine Art orthographischer Fehler. Er hat dazu mehrfach Stellung genommen, es sei in der Eile des nahenden Redaktionsschlusses passiert. Natürlich unverzeihlich, aber wenigstens war die Abfindung gut.
Heidenreich hatte übrigens keinen Redaktionsschluss, aber dafür eine felsenfeste Gesinnung, die sie sich auch durch einen widerborstigen Leser wie Herrn Zweifel nicht austreiben lassen wollte. Immerhin hatte sie das Dossier des SRF gelesen und glaubte sich damit gut genug gerüstet. Vorher schon hob sie zu einer Philippika gegen Sibylle Lewitscharoff an, die sie „blöde“ und eine „dusselige schwäbische Hausfrau“ nannte, die Groschenromanliteratur schreibe. Was Heidenreich natürlich ganz genau beurteilen kann, denn in der gleichen Philippika bekannte sie ja, Lewitscharoffs Bücher nie zu Ende gelesen zu haben und nannte ihre anderenorts bereits ausgeführten ominösen 60 Seiten,, über die sie hier nie gekommen sei. Später trat dann Lewitscharoff noch nach, als sie erzählte, dass jene Heidenreich, die sie, Lewitscharoff, als Groschenromanliteratin abtat und eine dumme schwäbische Hausfrau nannte, vor einiger Zeit um einen Text für eine Katzenanthologie von ihr, der Groschenromanliteratin und dummen schwäbischen Hausfrau, für eine Katzenanthologie nachgefragt hatte, die sie, die großartige Elke Heidenreich, herausgeben wollte. (Ob Martin Heidegger jemals einen Text über Katzen geschrieben hat und ob Stefan Zweifel auch diesbezüglich angefragt wurde, ist mir nicht bekannt.)
Man sollte vielleicht wirklich immer nur 60 Seiten lesen oder – noch besser – nur die Dossiers der bereits erschienenen Kritiken und die Amazon-Leseprobe. Die Methode sollte man auf ewig und alle Zeiten „Heidenreich-Lesen“ nennen. Die „Heidenreich-Kritik“-Methode wäre dann auf einem Multiple-choice-Fragebogen die entsprechende Kritik anzukreuzen. Ganz oben steht dann dort „Den Autor ich schon immer gelesen“. Danach ist dann auch die Diskussion zu Ende, denn einem solchen Argument kann man sich nicht mehr entziehen.
Aber vielleicht bekommt Elke Heidenreich ja noch den Büchner-Preis. Die Laudatio hält dann wahlweise Iris Berben, Joachim Król oder Mario Adorf.
Am 25. Mai 2014 um 10:32 Uhr
„…auf die Fehlerhaftigkeit ihrer Heidegger-Wortfolge hingewiesen hatte, schmiss sie feingeistig den besprochenen Heideggerband auf den Tisch“
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DASS die DIES tat und nicht das „Zitat“ raussuchte (aber wie? wenn’s da nicht drinsteht), diese Frechheit lastet man ihr an. Irren oder falsch aus dem Gedächtnis zitieren ist entschuldbar. Aber nicht DIES Verhalten.
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Ist sie nicht nur ein „Brigitte“-Leseberaterin (o.s.ä.? Für die, die’s nicht wissen: „Brigitte“ ist ’ne reife Frauenzeitschrift).
Als ich mir mal den Roman eines Klassikers nach-kaufen wollte, ich glaub‘ es war Calvino, hatte ich die Wahl zwischen drei oder vier Ausgaben. Das billigste hatte vorne groß raufgedruckt: „Eine Empfehlung von Elke Heidenreich“ & dazu dann ein „Brititte“-Logo. Mich hat’s gegraust und ich kaufte das weniger ‚billige‘ (pun intended).
Am 25. Mai 2014 um 14:46 Uhr
[…] Und wie das alles bei Raddatz war? Das lesen Sie am besten beim Umblätterer nach: „Der Fall Elke Heidenreich“. […]
Am 1. Juni 2014 um 10:28 Uhr
[…] Heidenreichs und die irritierende Suspendierung des Moderators, der ja Recht gehabt hatte. Auf dem Umblätterer geht Josik auf diesen Eklat […]
Am 7. Juni 2014 um 14:49 Uhr
gesinnung! ja.
ich mag elke heidenreich einfach nicht. und ich möchte feststellen: sie versteht ernst jünger nicht. ihr ist nicht zu helfen.
Am 20. August 2014 um 09:23 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
Elke Heidenreich ist nicht zu verbiegen, deshalb mag ich sie so!!! Die vielen Künstler und Politiker ect., die ihren“ Mantel immer nach der Seite hägen“, die ihm einen Vorteil bringen, (Entschuldigung!!!) „hängen mit total zum Halse raus“.
Menschen mit Ecken und Kanten müssen sein, wer sonst gibt uns so oder so Denkanstösse?
Mit freundlichen Grüssen
Christiane Matthes
Am 2. September 2014 um 14:55 Uhr
Ich wünschte, der Artikel hieße „Der Fall Elke Heidenreichs“.