Opfer der Mode
Leipzig, 8. August 2007, 19:08 | von MillekAn einem dieser heißen Tage saß ich auf dem Balkon und las in der S-Zeitung. Stefan Ulrich berichtete über die italienische Krawattenkrise, bei der sich das ganze Land über das Für und Wider des Tragens dieses Kleidungsstücks bei sommerlicher Hitze auszulassen schien.
»Sage keiner, die Krawatte sei nur ein lästiges Accessoire. Denn zum einen schützt sie ihren Träger vor Halsentzündungen, zum anderen verrät sie einiges über seine Persönlichkeit.«
Ich dachte an die verschiedenen Krisen der Institutspersönlichkeiten und daran, dass eine Krawattenkrise uns noch nicht untergekommen war. Wie sollte sie auch – sind wir uns doch darin einig, dass die Krawatte zum Abendland gehört wie die klassische Ahmadinejacket auf des Rentners Leib.
Allerdings gelten wir Deutschen (hehe) ja auch nicht als Gestalter, sondern als »Opfer der Mode«, wie es Jens Jessen vor Jahren einmal in der »Zeit« zusammenfasste. Glücklicherweise unterscheidet unsere Sprache nicht zwischen sacrifice und victime, was uns, zumindest für die Art der Opferrolle, eine Wahl lässt.
Da sich nun aber die wenigsten Deutschen überhaupt in einen Mode-Kultur-Kontext hineinziehen lassen, wird uns das Durchleben solcher Krisen leider auf ewig verwehrt bleiben.
Am 9. August 2007 um 16:38 Uhr
Ergänzend zu deiner Theorie vom deutschen Opfervolk würde ich sogar behaupten, dass »Schlips« der »Krawatte« auch wörtlich unterlegen ist!
Signifikant fürs italienische Krawattennationalgefühl erscheint mir indes noch der im S-Zeitungsartikel zitierte Satz: »Vergessen wir nicht, dass Krawatte und Sakko die Grenze zwischen Europa und Afrika markieren.«
Ansonsten wird Stefan Ulrich, der eben erst seinen zweiten Sommer als Korrespondent für die S-Zeitung in Rom ist, aber noch merken, dass es jeden Sommer eine Krawattenkrise gibt (die, hier kommt Afrika wieder ins Spiel, stets zugunsten der »cravattisti« ausgetragen wird). Neu war heuer eigentlich nur die Berlusconi-Nummer, aber die wiederum hängt damit zusammen, dass es sein erster Sommer in der Opposition ist.
Last but not least bestätigt die Süddeutsche Online-Konservenfabrik mal wieder, warum sie gegenüber allen anderen so weit abgeschlagen ist, denn Berlusconi oben ohne (jetzt meine ich nicht die Krawatte! Sondern die noch nicht transplantierten Haare) ist ja wirklich Steinzeit. Und auch der Rest der Schlips- und Nicht-Schlipsträger-Bilder, naja. War wohl ein Praktikant, der in seinem Leben noch keine Krawatte gebunden hat, zugange…
Am 9. August 2007 um 19:19 Uhr
Ja, Schlips lässt stets einen Hauch Anzüglichkeit mitschwingen und auch der Binder stellt sprachlich keine wirkliche Alternative dar.
Allerdings hat sich die Grenze zwischen Europa und Afrika erst mit der Einführung des Abacost durch Mobutu so deutlich ausgeprägt.
Am 10. August 2007 um 13:10 Uhr
Im Englischen gibt es die Ties, den Tie. Leider sind diese doch sehr konservativ – oder was meinen Sie?
Annette Strauch aus Wales, GB.
Am 11. August 2007 um 13:53 Uhr
Semantisch ist tie ja geradezu der stoffgewordene Verweis auf das, was die alte Ordnung zusammenhält und übertrifft damit die Krawatte, die ja eigentlich nur einen Kroaten bezeichnet, um einiges.
Am 14. August 2007 um 00:45 Uhr
Ein echter Fall für die Rubrik „Wortporträt“ in der FAS. Hello, Anne Zielke!