100-Seiten-Bücher – Teil 112
Italo Svevo: »Der alte Herr und das schöne Mädchen« (1926)
Berlin, 10. November 2014, 13:52 | von Cetrois
Auf der Fahrt von Berlin nach Hannover saß mir der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestags gegenüber. Er hatte sich offenbar einiges vorgenommen: Zuerst arbeitete er einen beträchtlichen Aktenstapel durch und dann die »Zeit«, Politikteil und Dossier. Ich bin nicht sicher, ob er auch mit meiner Lektüre einverstanden war. Hin und wieder ein kritischer Blick. Ich versuchte meine Hand so auf dem Buchdeckel zu positionieren, dass sie den Namen des Autors möglichst vollständig verbarg und am besten auch noch die handaufgeklebte Aktzeichnung, die natürlich einen alten Herrn und ein schönes Mädchen zeigt. Der rote Wagenbach-Einband als solcher konnte hingegen kaum der Grund für des ehemaligen Bundestagspräsidenten Missfallen sein, hatte mein Gegenüber doch bei der Feier zum vierzigsten Geburtstag des Wagenbach Verlags die Festrede gehalten. Die Feier fand am Wannsee, beim Literarischen Colloquium Berlin statt und war ein großer Erfolg. Einzig an der Bewirtung der vielen Gäste mangelte es offenbar – Jörg Magenau schrieb damals (2004) in der FAZ, dass es bei den Sommerfesten des LCB schon immer schwierig gewesen sei, auch nur »eine Wurst zu ergattern«. Ganz anders der alte Herr in Svevos Erzählung, der seiner Besucherin die köstlichsten Delikatessen offerieren kann, trotz oder vielmehr wegen des in der Ferne grollenden Weltkriegs und der allgemeinen Verarmung ringsum. Immerhin, Christian Kracht berichtete im Interview einmal von einer »Schale mit Erdnusslocken«, die das LCB den Autoren nach ihrer Lesung hinstellt: »eine einzige Schale«!
Am 12. November 2014 um 18:46 Uhr
Die Zeiten ändern sich, der ehemalige Präsident des deutschen Bundestages sagt jetzt so schöne Sätze wie „Die DDR war ein DDR-Unrechtsstaat“ und „In der Politik darf es nicht um Absolutes gehen“. Und auf der LCB-Homepage heißt es schon seit längerem „Ab sofort: Vor und nach jeder Veranstaltung
kleine Speisen von A*****E Catering“. Die „Schale mit Erdnusslocken“ gibt es aber immer noch, leider fehlt das Schild „Verabscheut von Christian Kracht“. In Sachen Marketing gibt es also noch einiges zu tun.