100-Seiten-Bücher – Teil 119
Hennie Raché: »Liebe« (1901)
Moskau, 31. August 2016, 09:04 | von Paco
Ich kam auf Hennie Raché durch das 1928 erschienene Buch »Die Frühvollendeten« von Guido K. Brand. Darin lauter Biografien von jung dahingegangenen Dichter*innen, und Hennie Raché gehört mit zum Ensemble, gestorben 1906 mit nur 29 Jahren. Ich fand ihre Buchtitel irgendwie ganz selbstevident, von »Nocturno. Pathologische Liebesgeschichten« über »Das Gasthaus zum deutschen Michel. Roman« hin zu »Töff-Töff. Lustspiel in einem Akt (für 1 Herrn und 2 Damen)«.
Ihr Tod liegt zeitlich leider kurz vor dem Start des Sammelauftrags unserer Nationalbibliothek (1912), daher sind diese Bände nicht zentral zu greifen. Meist gibt es auch nur eine einzige Uni-Bibliothek, die überhaupt ein Exemplar vorrätig hat, und da muss man sich dann melden. Frisch digitalisiert ist ihr Kurzroman »Liebe« von 1901 (nach dem Exemplar der Uni-Bibliothek Augsburg). Der basalste und überzeugendste Titel überhaupt, zusammen mit dem schönen Namen der Autorin könnte das heute noch ein Bestseller werden.
»Liebe« ist ein blitzschnell lesbarer Hundertseiter, nicht wirklich raffiniert geschriebene Literatur, aber das muss ja kein Nachteil sein. Die Story spielt in Hamburg: Ludwig Schmidhammer hat dasselbe Problem wie Michail Gorbatschow, nämlich ein Feuermal am Kopf, allerdings verschärft gegenüber Michael Sergejewitsch, nämlich quer übers Gesicht. Deshalb, glaubt er, mag ihm niemand echte Liebe entgegenbringen, und das nimmt ihn sehr mit. Er ist nun 35 Jahre und lernt Leonore Welti kennen, genannt Lea. Die ist 25 und quirlig mit Hang zum Pferdestehlen: »Ich thue ja trotzdem immer, was ich will, – auf jede Gefahr hin«!
Lea ist materiell ebenso gut aufgestellt wie Ludwig, und es gibt also offenbar keinen anderen Grund für ihr Zusammenkommen (plus Heirat) als wahre Liebe. Diese wird über Dutzende Seiten immer wieder neu diskutiert, denn Ludwig ist pathologisch misstrauisch, sein Wehklagen ist von Anfang an nicht so leicht erträglich. Aber Hennie Raché strebt schon nach dem Höchsten und lässt zu diesem Zweck wieder mal den Tod als Beweis für die Echtheit einer Liebe auftreten, das Buch endet mit einer Anspielung auf Heines »Asra«-Gedicht.