New Yorks verschwundene Buchläden
und ein Besuch bei Sokrates

New York, 5. November 2008, 00:07 | von Dique

Georg Baselitz besitzt eine der besten Sammlungen manieristischer Druckgrafik, und über diese Sammlung gibt es das wunderschöne Buch »La Bella Maniera«, in welchem mir besonders die Stiche von Jacques Bellange ins Auge fallen.

Bellange ist ein Spätmanierist der Schule von Fontainebleau, und man weiß fast nichts über ihn. Seine Gemälde sind fast gänzlich zerstört, doch gibt es ca. 50 Stiche und einige Zeichnungen. Leichtschwebende figürliche Überlängungen, und das ist keine Kopiererei wie so häufig bei den späten Fontainebleau-Malern, sondern Handschrift und Erfindungsreichtum.

Bei bookfinder.com fand ich dann einen Ausstellungskatalog, »The Etchings of Jacques Bellange«, und weil der Laden in New York residiert, wollte ich also persönlich vorbeigehen, um das Stück zu erwerben.

Aber 1 University Place ist ein Apartment House, und da steht nichts von »Design Books«, wie der Laden heißen sollte. Ich habe natürlich auch die Telefonnummer nicht mitgenommen und stehe dumm da, frage aber trotzdem den Doorman und irgendeinen semi-uniformierten Delivery Man, ob sie vielleicht eine Ahnung haben.

Der Doorman hat keinen Schimmer, doch der Delivery Man sagt, dass die hier vor ca. 8 Jahren einen Laden gehabt hätten, »you’re eight years late, man«, sagt er und setzt nach einer kurzen Pause hinzu: »But if you want a book, why don’t you go to Barnes & Noble?« – »I’m not here because I want a book, you moron!«, sage ich dann aber nicht.

Wahrscheinlich operiert Design Books nur noch online. Aber weil wir einmal da sind, gehen wir gleich zur nächsten Adresse, denn hier im Umkreis der NY University gibt es einige interessante Buchläden. Über »12th Street Books« habe ich zum Beispiel noch gelesen, und tatsächlich gibt es unter der Adresse einen Laden, oder wenigstens die Überreste eines solchen, denn an der baumelnden Sonnenblende steht mit Sprühfarbe, dass sie nach Brooklyn umgezogen sind. Was für ein Tag.

Ein paar Straßen weiter dann die Rettung, »Strand Bookstore«. Motto dieses Ladens: »18 Miles of Books«, und genau so sieht es hier auch aus. Stunden später fällt uns ein, dass wir eigentlich endlich mal ins Metropolitan Museum of Art wollen, und wir lassen die Büchermeilen zurück, jeder ein paar Bändchen unterm Arm, wenn auch nicht den Bellange-Katalog.

Das Met schließt schon 17:30 Uhr, also haben wir keine Zeit für lange Lunches, und deshalb gibt es nur einen Oh Henry! Candy Bar, exakt den gleichen, den Sue Ellen Mischke, »the braless wonder«, in der Seinfeld-Episode »The Caddy« (7. Staffel, 12. Folge) in Jerrys Wohnung hinterlässt, also das Einwickelpapier, welches dann Jerry verrät, woraufhin folgender Dialog beginnt:

Kramer: I see. Yes. Little Miss Candy Bar paid a visit, didn’t she?
Jerry: Kramer, it is not what you think.
Kramer: Ahhhhh! I know what I think. I think you’re gaga over this dame. She’s twisted you around her little finger, and now, you’re willing to sell me, and Elaine, and whoever else you have to, right down the river.
Jerry: And what about you! Tryin‘ to bilk an innocent bystander out of a family fortune, built on sweat and toil, manufacturing quality Oh Henry! candy bars, for honest, hard-working Americans!
Kramer: You’re just out for sex!
Jerry: You’re just out for money!
Kramer and Jerry (together): Ahhhhh!

Die erdnussigen Riegel schmecken übrigens super, besser als Snickers, und als ich zu San Andi sage, dass ich mir davon einen Koffer mitnehmen werde, sagt er, dass ich dann auf komische Fragen der Zollbeamten sagen kann: »This is my Oh Henry! Candy Bar Fortune«, hehe.

Im Met rennen wir dann so schnell es geht zum »Sokrates«-Bild von David. Wir wünschten, Sébastien2000 wäre bei uns, der beste aller Speed Guides, oder dass wir wenigstens diese hässlichen, aber bequemen MBT-Schuhe tragen würden, die wir in Rom getestet haben. Im Zuge der Finanzkrise hat aber auch Sébastien2000 zu kämpfen, wie er per E-Mail mitteilt, macht er im Augenblick deutlich weniger Touren.

Sokrates sitzt auf dem Bett, und einer seiner Schüler reicht ihm den Schierlingsbecher. Der Becherüberreicher und auch die anderen Schüler befinden sich in dramatischen Posen der Fassungslosigkeit. Angeblich soll Sokrates am Vorabend seines Todes noch Gedichte verfasst haben. Auf die Frage eines Schülers, wie er denn zu diesem Zeitpunkt anfangen könne, Gedichte zu schreiben, obwohl er das vorher noch nie getan habe, antwortete der weise Mann: »Wann soll ich es denn sonst machen«, oder so ähnlich. (Anekdote)

Ansonsten gibt es im Met irgendwie alles, ein Rausch, mehrere dieser frühen Caravaggios mit lüsternen Knaben, die er für den frivol-dekadenten Kardinal del Monte (für die Betonung des Namens bitte die Hughes-Doku kucken) anfertigte, und gleich fünf (von denen wir nur vier sehen) der 36 oder 37 bekannten Vermeer-Bilder.

Wir haben uns zeitlich völlig vertan, und weil wir hier und heute eh nicht mehr viel reißen können, verziehen wir uns auf die Dach­terrasse, auf der wir von einem dieser erzhässlichen Jeff-Koons-Ballonhunde begrüßt werden, dafür gibt es aber eine schöne Aussicht über den Central Park.

Und wenn ich endlich einen iPod hätte, würde ich jetzt »How fortunate the man with none« von Dead Can Dance hören, in dem Brendan Perry folgende Strophe singt:

You heard of honest Socrates
The man who never lied
They weren’t so grateful as you’d think
Instead the rulers fixed to have him tried
And handed him the poisoned drink
How honest was the people’s noble son
The world however didn’t wait
But soon observed what followed on
It’s honesty that brought him to that state
How fortunate the man with none

Abendessen in China Town, im Wo Hop, welches im Zagat (ohne den geht San Andreas nirgendwo mehr rein) als »the basement from hell« angekündigt wird, und außerdem wird eine Brücke zu Woody-Allen-Filmen geschlagen, die ich nicht verstehe, anyway, »the food is excellent«, steht auch im Zagat und stimmt, besonders die Fried Dumplings.

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