100-Seiten-Bücher – Teil 168
Rosario Castellanos: »Die Tugend der Frauen von Comitán« (1964)
München, 2. Oktober 2019, 09:35 | von Josik
Allein in den letzten paar Monaten war ich bereits auf vier Beerdigungen, sodass man wohl mit Fug und Recht behaupten kann: Die nachhaltigste Investition, die ich in jüngster Zeit getätigt habe, war, dass ich mir einen schwarzen Anzug gekauft habe. Und der sitzt dermaßen tadellos, dass ich seitdem auf jeder Beerdigung der bestangezogene Gast bin. Darüber so unselfconsciously zu sprechen, hätte ich noch vor Kurzem für unschicklich gehalten, aber mein Leben hat mittlerweile eine entscheidende Wendung genommen – es teilt sich nun in die Zeit vor und in die Zeit nach der Lektüre von Rosario Castellanos’ Erzählung »Die Tugend der Frauen von Comitán«. Dort sagt nämlich der Arzt Don Carlos Román zum Priester Don Evaristo: »Wenn Sie sich vielleicht noch an ein Ereignis erinnern, das schon lange zurückliegt […], ich meine den Tod meiner Frau, werden Sie auch nicht vergessen haben, daß ich dabei gar keine schlechte Figur gemacht habe« (S. 34).