100-Seiten-Bücher – Teil 212
Helene Stöcker: »Zur Kunstanschauung des XVIII. Jahrhunderts« (1904)
München, 2. September 2020, 18:39 | von Josik
1797, wow! »Dieses Jahr 1797 ist wie ein Wendepunkt in der künstlerischen und ästhetischen Entwicklung unserer Kultur« (S. 1). Helene Stöcker erklärt in ihrer Dissertation in einer spektakulären Reihung die Wichtigkeit des Jahres 1797: Erstens ist es »die Zeit, in der Goethe mit Heinrich Meyer die Herausgabe der ›Propyläen‹ vorbereitet« (S. 1), zweitens gibt Friedrich Schlegel »seinen Aufsatz über das ›Studium der griechischen Poesie‹ heraus« (S. 1), drittens erscheinen, unter Angabe der Jahreszahl 1797, zum ersten Mal Wilhelm Heinrich Wackenroders – und ein bisschen auch Ludwig Tiecks – »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (S. 1), viertens greift Maler Müller in Schillers Zeitschrift »Die Horen« den Maler Asmus Jakob Carstens und eigentlich mehr noch den Apotheker, Bibliothekar und späteren Carstens-Biografen Carl Ludwig Fernow an (S. 66f.), und fünftens wird unser Freund und Kupferstecher Daniel Chodowiecki Direktor der Berliner Akademie (S. 106).
Diese Reihung weist strukturell eine verblüffende Ähnlichkeit auf mit einer Zusammenstellung, die irgendwann einmal in der »London Review of Books« zu lesen war: »Edward Snowden was born in the summer of 1983 […]. [M]any people were born in 1983 – e.g. Amy Winehouse and Kim Jong-un«. Na gut, many people, könnte man ja auch sagen, were born in 1797, e.g. Annette von Droste-Hülshoff, Adele Schopenhauer und Mary Shelley, aber darum geht es jetzt nicht. Was auffällt: Es ist doch ziemlich überraschend, dass die »London Review of Books« unter jenen Leuten, die 1983 geboren wurden, nicht auch die Sängerin und Musikerin Sophie Hunger namentlich nennt. Immerhin haben weder Amy Winehouse noch Edward Snowden noch Kim Jong-un weder einen Song mit dem Titel »1983« noch ein ganzes Album mit dem Titel »1983« veröffentlicht – Sophie Hunger hingegen schon! Und wenn Sophie Hunger z. B. mal ein Lied mit dem Titel »1797« aufnehmen würde, könnte sie eigentlich den Text von »1983« unverändert so lassen, natürlich mit Ausnahme der Jahreszahl. Das würde sich dann also wie folgt anhören: »Guten Morgen 1797 […], wo sind deine Dichter?« la la la.
Helene Stöcker: Zur Kunstanschauung des XVIII. Jahrhunderts. Von Winckelmann bis zu Wackenroder. Berlin: Mayer & Müller 1904. S. III–VIII plus 1–122 (= 128 Textseiten).
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