Die Fußmatte

Berlin, 14. März 2025, 13:41 | von Paco

Jeder Morgen beginnt mit der Fußmatte, die sich in der Platane vor unserem Fenster verfangen hat.

Die Matte muss vor einigen Monaten aus einem der Stockwerke über uns – vielleicht aus Versehen, beim Ausschütteln – herabgesegelt sein. Gemeldet hat sich aber niemand, und jetzt hängt sie da so im Baum, perfekt gelandet auf einem Ast, von dem sie fifty-fifty in beide Richtungen herunterlappt.

Sie ist vom Fenster aus nicht zu greifen, knapp außerhalb Besenreichweite. Jeden Morgen beim Aufziehen der schweren Vorhänge blicke ich in ihr grauschwarzes Antlitz.

Wie immer lassen die Fußmattengedanken nach, sobald ich das Haus verlasse. In der U-Bahn lese ich eine Kurzgeschichte von Nelson Saúte: »O Enterro da Bicicleta«. Vor ein paar Tagen hat mir Miguel davon erzählt, der Text kam in einem Portugiesischseminar vor. Ich fand das lustig mit der Beerdigung des Fahrrads und er hat mir dann das PDF geschickt.

Also, in einem mosambikanischen Dorf wohnte ein Abgeordneter, der auf dem Weg zum Parlament in der Hauptstadt immer zunächst mit dem Fahrrad vom Dorf in das nächstgrößere Städtchen fuhr, von wo aus ihn der Bus (›machimbombo‹) zum nächstgelegenen Flughafen brachte. Die unerhörte Begebenheit besteht nun darin, dass der Abgeordnete eines Tages auf dem Weg zum Städtchen von einem Löwen gefressen wird, obwohl man in dieser Gegend vorher und nachher nichts je von Löwen gehört hat.

Übrig bleiben nur ein paar Fetzen – und sein Fahrrad. Der mit Abstand bedeutendste Dorfbewohner soll nun anständig bestattet werden. Einer meint, man müsse ein Mausoleum bauen, aber dann weiß niemand, was das eigentlich genau ist. Schließlich wird in einer feierlichen Prozession anstatt des vom Löwen gefressenen Abgeordneten dessen übrig gebliebenes Fahrrad beerdigt (»os homens da aldeia carregarem, compungidos, aquela enorme e disforme urna«). Danach trifft noch ein rätselhafter Bote ein, aber der ist so fix und alle, dass er ins Koma fällt und er niemandem mehr sagen kann, warum er so herbeigeeilt ist. Ende.

Das waren jetzt nur elf Seiten, muss mal demnächst weiter Nelson Saúte lesen.

Ich bin dann vor dem ersten Meeting des Tages kurz im Büro gewesen und habe bei dieser Gelegenheit den letzten Sugee-Keks aus der Box gegessen, die mir ein Kollege vor Monaten aus Singapur mitgebracht hat. Damit ist ein weiteres Langzeitprojekt zu seinem Ende gekommen, denn ich habe durchschnittlich pro Woche höchstens einen dieser butterigen melt-in-your-mouth cookies gegessen.

Als ich abends nach Hause komme, fällt mir sofort auf, dass etwas anders ist. Blick in die Platane, die Fußmatte ist spurlos verschwunden. Wie die Kastanie in Martin Mosebachs Roman »Was davor geschah«, einfach weg, und ich bleibe ein bisschen allein zurück. Fußmatte, mosambikanischer Abgeordneter, Sugee-Kekse – alle plötzlich nicht mehr da.
 

3 Reaktionen zu “Die Fußmatte”

  1. Charlemagne

    Oh, wow.

  2. KMB

    Die Matte wird sich Süskinds Taube geschnappt haben!

  3. Paco

    ☺️

Einen Kommentar schreiben