Bourne again
auf Reisen, 11. September 2007, 03:08 | von San AndreasDritte Teile haben es bei Kritikern meist schwer. Oft gilt der erste Teil als der gelungenste (»Alien«, »Matrix«, »Jaws«), manchmal auch der zweite (»Godfather«, »Spider-Man«), sehr selten aber der dritte (»LOTR«?). Die Sache ist die: Rezensenten werden einer Sache schnell überdrüssig, sie ermüden angesichts derselben Gesichter in denselben Rollen und haben böse Wörter wie ›Aufguss‹ und ›Geldschneiderei‹ fix bei der Hand.
Bei abgeschlossenen Trilogien hingegen profitiert das Threequel von einem Bonus, denn hält der Film das Niveau und erzählt er die Geschichte vernünftig und womöglich fulminant zu Ende, verschafft er das befriedigende Gefühl von ›closure‹: Der Rezensent kann Rückschau halten und die Filmschaffenden mit einem jovialen ›Bravo!‹ in neue Projekte entlassen.
Wie allerorten zu lesen, schlägt dem Finale der »Bourne«-Trilogie eben jenes Wohlwollen entgegen, ein überbordendes sogar, und das, liebe Kritiker, auf jeden Fall und ohne jeden Zweifel vollkommen zu Recht. Damon und Greengrass laufen zur Höchstform auf, führen die Story um die Identität des Jason Bourne stilsicher und unerhört kraftvoll zu ihrem Höhepunkt und Abschluss, wobei sie die beiden ersten Teile in punkto Spannung und Turbulenz scheinbar mühelos übertreffen.
Was lässt »Bourne« über den 08/15-Actioner von der Stange hinauswachsen? Manche (z. B. Hanns-Georg Rodek in der »Welt«) sehen das Besondere in der Konstruktion der Geschichte: Der Agent erfüllt nicht länger Aufträge des Geheimdienstes, sondern wendet sich gegen seine Organisation und löst kraft seiner antrainierten Fähigkeiten ein persönliches Trauma.
Gut, aber in der Rolle des abtrünnigen Geheimdienstlers sahen wir u. a. bereits Robert Redford (»Three Days of the Condor«), Gene Hackman (»The Conversation«), Tom Cruise (»Mission: Impossible«) oder erst kürzlich Ulrich Mühe (»Das Leben der Anderen«).
Das Geheimnis liegt vielleicht auch im Subtext verborgen, im Konzept ›Identität‹, das alle drei Filme umspannt. Eine Identitätskrise, ein Prozess der Selbstfindung, sonst in leisen Dramen abgehandelt, hier ungewöhnlicherweise im kreuzgefährlichen Umfeld mörderischer Geheimdienstoperationen.
Perfiderweise lebt oder lebte der Held gleich drei Identitäten: zum einen jenen an Amnesie leidenden Namenlosen, zum anderen Jason Bourne, und schließlich David Webb. Die Entscheidungen, Handlungen und Motivationen jeder einzelnen dieser Identitäten ergeben ein Geflecht von Schuld und Verantwortung, das die Filme durchzieht und ihnen bei aller Haudrauf-Action Resonanz auf moralischer Ebene verschafft.
Auch in punkto Machart bricht »Bourne« Konventionen: Die geschliffene Ästhetik gängiger Agentenfilme weicht einer spröden, ruppigen, ungeschönten Wahrhaftigkeit. Der erste Film, inszeniert von Doug Liman, setzte da in den schmuddeligen, neonbeschienenen Hinterhöfen Berlins Zeichen.
Und Paul Greengrass, ein Mann für anspruchsvolle, an die Nieren gehende Kost mit dokumentarischem Einschlag (»Bloody Sunday«, »United 93«) perfektionierte die schroff-authentische Action-Atmo, ohne jedoch die Persönlichkeit des Helden aus den Augen zu verlieren.
Schwer genug, denn Damons Charakter ist als stoischer Einzelkämpfer angelegt, der nicht eben übersprudelt vor Mitteilsamkeit. Nicht einmal knackige One-Liner kommen ihm über die Lippen, sonst gern genommenes Standard-Repertoire von Actionfilmen.
Bourne/Webb gewinnt durch seine Handlungen an Profil, durch kleine Momente der Barmherzigkeit, flüchtige Blicke, kurze Sätze im Umgang mit seinen Helfern und Gegnern. Damon glänzt mit präzisem, nuancierten Underacting, lässt seine Rolle, trotzdem man ihn kaum einmal lachen, ja nicht einmal essen oder trinken sieht, zum Empathie-Fixpunkt werden, der alle drei Filme zu tragen imstande ist.
So wie Robert Ludlum seine Werke (auf denen die Filme im Übrigen nur lose beruhen) stets handschriftlich verfasst hat, um den Geschichten näher verbunden zu sein, drehte Greengrass »Ultimatum« gleichsam per Hand. Eine entfesselte Kamera jagt durch echte Menschenmengen, sucht Dialogpartner in nervösen Gegenschüssen über die Schulter.
Für Verfolgungsjagden wurden keine Straßen abgesperrt; was man kreischen und splittern hört, ist echtes Metall, echtes Glas. Der Schnitt ist rastlos, die Sequenzen hasten voran, der Film bietet nur wenige, knapp kalkulierte Verschnaufpausen. One hell of a ride.
Die spontane Frische der Filme spiegelt die Produktionsbedingungen wider: Wie man erfährt, waren Damon und Greengrass unablässig am Modifizieren des Scripts, probierten Ideen aus, verbesserten oder verwarfen sie. Nachdrehs waren an der Tagesordnung. Die letzte Szene des zweiten Teils ersann das Team beispielsweise erst zwei Wochen vor Kinostart: Bourne befindet sich in New York und konfrontiert CIA-Sympathisantin Pamela Landy mit seiner Anwesenheit.
Die Szene bildet das Sprungbrett für den dritten Teil: Was um Himmels Willen macht Bourne in der Höhle des Löwen? Wir erfahren es im dritten Akt von »Ultimatum«, denn da taucht die Szene noch einmal auf: Bourne kennt seinen wirklichen Namen, vollführt eine Kehrtwende und geht gegen seine unsichtbaren Feinde an, will die Bedeutung seiner Identität endgültig ergründen und, wenn man so will, seinem Schöpfer vor die Augen treten.
Selbiger wird vom großen Albert Finney verkörpert, der dem Gipfeltreffen eine wunderbare Gravität verleiht. Fabelhaft besetzt auch David Strathairn. Sonst eher in Independent-Perlen vertreten, gibt er den sinistren Schreibtischtäter Noah Vosen, aus dessen Perspektive Bournes Bewegungen häufig gezeigt werden – wenn er ihn gerade mal auf dem Schirm hat.
Denn Bourne ist Vosen oft genug in nahezu traumwandlerischer Sicherheit einen Schritt voraus; das CIA-Debakel auf der Waterloo Station komprimiert dieses Verhältnis in Form einer ungeheuer intensiven Sequenz, an der sich zukünftige Filme dieser Art werden messen lassen müssen. Ebenso schweißtreibend die Auto-Verfolgungsjagd in New York, die in bester French-Connection-Tradition schier birst vor kinetischer Energie.
Perfekte Regie, geerdete Ästhetik, effizientes Timing: »The Bourne Ultimatum« verbindet Grips mit Action und avanciert im Handstreich zu einem der besten Actionthriller der letzten Jahre. Bleibt zu hoffen, dass die Macher es bei der Trilogie belassen, denn das Ende von »Ultimatum« ist einfach zu schön. Außerdem haben es vierte Teile bei Kritikern gemeinhin noch viel, viel schwerer als dritte.
Am 11. September 2007 um 15:16 Uhr
Das ist doch mal was, sehr guter Gesamtblick auf die gesamte Trilogie.
Zur Konstruktion der Geschichte: Es stimmt, dass »Ultimatum« nicht der erste Film ist, in dem sich der Agent gegen seine Organisation stemmt. Aber der erste Film, der in diesem Zusammenhang die sich anbahnende »Überwachungsparanoia« (so nennt es Rodek) thematisiert. Das ist ja das Unfassbare, dass Bourne eigentlich von Kameras verfolgt wird (i. e. von diesem schreibtischtätigen Noah Vosen) und erst in zweiter Linie von Killern.
Das mit den One-Linern stimmt, spätestens deren Ausbleiben wird den Film bzw. die Trilogie die nächsten Jahrzehnte Filmgeschichte überleben lassen. Aber was du Underacting nennst, war teilweise vielleicht einfach Planlosigkeit:
Und by the by, was du bei Greengrass lobst (»echtes Metall, echtes Glas«) war dir neulich bei Tarantino keine Silbe der Wertschätzung wert. Ich will aber jetzt nicht rote mit grünen Äpfeln vergleichen, also bitte nicht darauf reagieren, hehe.
Am 11. September 2007 um 16:57 Uhr
Hehe. Der Tarantino war handgemacht, weil 70er-Schund nun mal handgemacht war. Greengrass‘ Methode ist eine künstlerische Entscheidung. Aber wenn Du genau nachliest, habe ich den Tarantino diesbezüglich als „angenehm wahrhaftig in der Realisierung“ über den grünen Klee gelobt.
Die Überwachungstechnik ist ein prominentes, großartig in Szene gesetztes Element in »Ultimatum«, ich finde es aber in »Conversation« (1974!) noch eher im Sinne von Paranoia verwendet, denn dort entzünden sich Gewissenskonflikte und Sozialkritik am Abhören selbst, genau wie in »Leben der Anderen«. In »Ultimatum« ist es doch kaum mehr als modernes Mittel zum bösen Zweck.
Ganz genau, das mit dem Überleben in der Filmgeschichte. Der Film wird in zehn, zwanzig Jahren noch gut aussehen. Weder biedert er sich dem Zeitgeist-Markt an, noch verbohrt er sich in nur gegenwärtig relevanten Metaebenen. Ein ‚instant classic‘.
Noch eins on a lighter note. Einige haben es schon bemerkt, aber Jason Bourne, James Bond, Jack Bauer und James Brown haben alle dieselben Initialen, und nur *einer* davon ist kein Agentenheld! Wer es weiß, schreibt die Lösung auf einen Zettel. Zu gewinnen gibt es eine Kiste Jim Beam.