Die FAS vom 10. 5. 2009:
Motive sind verzichtbar
Paris, 10. Mai 2009, 14:55 | von Paco
Es ist einmal wieder Zeit für einen Sonntagszeitungs-Recap, den Umbl-Klassiker. Also saß ich heute morgen zweieinhalb Stunden im damals noch menschenleeren Jardin du Luxembourg und las alles genau durch.
Schon die sehr gute Teaser-Überschrift auf der Frontseite, »Taten deutscher Dichtung«, zog mich hinein ins Feuilleton (S. 25), auch wenn die Fakten um Frenzels komisches Dichtungsdatenwerk, die Herkunft der Autorin aus der Nazigermanistik usw., schon weithin bekannt sind.
Obwohl dieses J’accuse von Volker Weidermann also etwas spät kommt – zumal der Verlag verlauten ließ, dass es sozusagen bald eh keine Neuauflage mehr geben wird –, klingt diese Geschichte immer wieder aufs Neue unglaublich, haarsträubend, unerhört, unfassbar, unvorstellbar, unsäglich oder, wie Weidermann selber an zwei Stellen schreibt, skandalös.
Dann weiter, Stichwort: one of us. Nach Horst Tappert, Roger Willemsen und dem Umblätterer outet sich auch Daniel Kehlmann als Hamsun-Leser. Auf S. 29 gibt es einen Vorabdruck seines Nachworts zu einer Neuausgabe von »Hunger« (Überschrift: »Der Bruch«). Es ist ein sehr hervorragendes Nachwort, sehr zweckorientiert und pointiert, da wird die ganze Herrlichkeit des Hamsun einfach mal auf den Punkt gebracht:
»Genau das ist die epochale Entdeckung des Romanciers Knut Hamsun: Motive sind verzichtbar. Es ist nicht nötig, zu verstehen, warum Figuren sich so verhalten, wie sie es tun; (…).«
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die neulich (vor einem Jahr) hier von Dique zelebrierte Geigen-Szene aus den »Mysterien«.
Ok, was sonst noch. Julia Encke überführt auf sehr schöne Weise Jan Fleischhauer einer von ihm unbemerkt begangenen mise en abîme (S. 26):
»Fleischhauers Grundvorwurf an die Linken ist das, was er die ›Erfindung des Opfers‹ nennt. Das Opfer, sagt er, stehe am Anfang aller linken Politik, als dessen Anwalt diese sich aufspiele. (…) Dass er in einer mise en abîme sein eigenes Vorgehen mit so bemerkenswerter Präzision beschreibt, scheint ihm allerdings zu entgehen. Denn als nichts anderes stilisiert er sich ja die ganze Zeit: als Opfer jener linken Sozialisation, (…).«
Außerdem sei sein Buch »Unter Linken« langweilig wie nur was. Eine Umblätterung weiter, unter dem Kehlmann-Text, prangt dann eine drittelseitige Verlagswerbung für den Fleischhauer, schön signalfarbig in Rot gehalten.
Ansonsten gibt es auch wieder einen instantanen Reich-Ranicki-Klassiker unter den von ihm beantworteten Sonntagsfragen (S. 27):
Welches der Kinder Thomas Manns war literarisch am begabtesten?
Bastian Nitzschke, HünfeldGolo.
Liebe Klaus-Mann-Fans (zum Beispiel), bitte schreibt jetzt Abbesteller-Leserbriefe voller Protest und Anklage, sie würden gut in unsere Sammlung passen, danke.
Usw.
Am 10. Mai 2009 um 20:17 Uhr
Wo MRR Recht hat…
Am 11. Mai 2009 um 02:14 Uhr
auf jeden fall