Antony Gormley und die turnenden Senioren

Bregenz, 30. Juli 2009, 01:15 | von Marcuccio

Kunsthaus Bregenz. Anders als bei Jan Fabre sind die Pissoirs im Untergeschoss diesmal kein Teil der Ausstellung. Dass wir zur Antony-Gormley-Werkschau trotzdem in den Keller gerufen werden, hat den Grund, der gerade auf Krücken hereinhumpelt.

Der Kurator legt sein eingeschaltes Bein auch gleich auf einen Stuhl und mit der Power-Point-Führung los: »Mir ist da leider ein Missge­schick passiert …« Derweil auf dem Beamer, hehe: »Body« und »Fruit«, Gormleys 6- bzw. 1,25-Tonner bei ihrer Anlieferung ins Erdgeschoss des KUB. Das war jetzt sozusagen der Humortest und natürlich gleich das perfekte Stichwort zum Thema.

Über 100 Tonnen Ausstellungsmaterial wollen nämlich erst mal unfallfrei installiert sein. Neben den beiden Planeten im Erdgeschoss sind dies im 1. OG:

»Allotment« – Es geht um die kleinstmögliche Architektur für einen Menschen. Dafür hat Gormley 300 Einwohner von Malmö vermessen, um ihnen mit einem Betonmantel genau den Raum zu schaffen, der ihnen vom Körpervolumen her zusteht. Auf diese Weise sind 300 passgenau personenbezogene Bunker entstanden, individuelle Beton-Löcher inklusive. Denn Gormley hat jedem Malmöer auch die Löcher vermessen – also Ohren, Mund, Genitalöffnung und Anus – und wieder hat der Kurator die Lacher auf seiner Seite, als er das »very british« nennt. Optisch schaut das Ganze wie eine Mischung aus Stelenfeld und Plattenbausiedlung aus.

Im 2. OG: »Clearing« – Ein wirres, 12 Kilometer langes Stahlbandknäuel durchzieht die ganze Etage – eine Art dreidimensionale Raumzeichnung, die man begehen kann – und sogar muss, um zur Treppe ins 3. OG gelangen:

»Critical Mass«. Hängend, hockend, liegend: 60 schwarze Gormleys in verschiedenen Körperpositionen. Auf Fotos sahen sie immer aus wie Knet- oder Lakritzfiguren, in Echtgröße haben die je 650 kg Volleisen schon noch mal eine andere Präsenz im Raum, zumal da, wo sie sich so massengrabmäßig anhäufen. Ein wenig erinnert die Szenerie auch an die gespenstischen Gipsabgüsse von Pompeji.

Und: Manche der Gormleys lösen bei manchen Besuchern gymnastische Mimikry aus. Als sich zwei rotbäckige Mittfünfzigerinnen neben uns plötzlich auf den Boden legen und zur Kerze ansetzen, sieht das zwar ein bisschen nach Seniorenturnen ohne Matte aus. Aber, keine Frage, auch das eine raumgreifende kritische Masse.

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