»Before the Devil Knows You’re Dead«

Hamburg, 11. April 2008, 01:25 | von San Andreas

Manche Filme kommen einfach so daher, schleichen sich hinterrücks an und erwischen einen kalt. »Before the Devil Knows You’re Dead« ist so einer. Wer hätte gedacht, dass Sidney Lumet zwei Jahre nach seinem Ehren-Oscar – der Mann ist 83 – mit einem solch kühnen, brodelnden, vielschichtigen Thriller auftrumpfen würde. Alterswerk? Sieht so nicht aus.

Der Film atmet die ehrliche, dunkle Aura seiner Meisterstücke aus den Sechzigern und Siebzigern (»The Pawnbroker«, »Serpico«, »Network«); mit »Dog Day Afternoon« teilt er sogar ein zentrales Story-Element: den Raubüberfall, der gründlich misslingt. Doch »Before the Devil Knows You’re Dead« ist auch das erschütternde Psychogramm einer Familie, die von Gier und Verbrechen heimgesucht wird, ein Drama shakespearscher Ausmaße.

Das Perfide an der Sache ist, dass die Demontage der Familienbande ihren Keim im Schoße der Familie selbst hat: Ein notgebeuteltes Bruderpaar plant das perfekte Verbrechen auf dem Rücken seiner Eltern, natürlich ohne deren Wissen. Somit steht jede Aktion moralisch nicht nur in einem gesellschaftlichen, sondern auch in einem familiären Kontext: Jede Verwerflichkeit, jede Schuld, jeder Konflikt wiegt doppelt so schwer.

Lumet überträgt diese Belastung unbarmherzig auf das Publikum, indem er uns in abwechselnden, zeitlich parallel laufenden Erzählabschnitten am Innenleben jeder einzelnen Figur teilhaben lässt. Dieser Perspektivwechsel erinnert an einige berühmte Beispiele der Filmgeschichte, am ehesten aber an Kubricks »The Killing«, weil dort wie hier nicht Interpretationen (»Rashōmon«) oder Erinnerungen (»Citizen Kane«) verschiedener Erzähler, sondern separate Blickwinkel einer allwissenden Erzählinstanz präsentiert werden, frappierenderweise ebenfalls um einen missglückten Coup.

Zuletzt versuchte sich Hollywood dieses Jahr mit »Vantage Point« an dieser Erzählstruktur – ein ehrenhafter, wenngleich gescheiterter Versuch. Mit »Before the Devil Knows You’re Dead« aber haben wir ein rastloses, komplexes Vexierspiel, das nach und nach schwelende Konflikte und innerlich ramponierte Charaktere freilegt. Verzweiflung und Desorientierung türmen sich unaufhaltsam auf, bis sich die Vernunft ausklinkt und brutale Gewalt aufblitzt. Scorsese hätte seine Freude daran.

Die Unausweichlichkeit dieser Eskalation erklärt sich zum Teil auch aus der kranken Gesellschaft, die das Umfeld der Tragödie bildet. Hier dominieren Existenzängste, hier floriert ein dekadenter Drogensumpf, und staatliche Institutionen bieten alles, nur keinen Rückhalt, keine Unterstützung. Es war seit jeher Lumets Stärke, diese sozialen Bezüge unprätentiös ins Geschehen einzuflechten.

Wenn die dramatischen Wellen hochschlagen, sorgen hervorragende Schauspielerleistungen für Bodenhaftung: Philip Seymour Hoffman, selten einen Deut schlechter als perfekt, gibt den großen Bruder Andy, einen unangenehmen, emotionslosen Karrieristen, dessen krimineller Energie keine Skrupel Einhalt gebieten. Seinen jüngeren Bruder, das völlig unsouveräne, sich durchs Leben schleppende Nesthäkchen der Familie, spielt Ethan Hawke mit ungeahnter Ausdruckskraft. Der große Albert Finney verleiht Charles, dem pater familias, mittelständische Würde, die zu beherrschen angesichts des familiären Trümmerhaufens viel Mühe kostet.

Zwei Szenen hat der Film, die Diskussionen provozieren: Die erste, in der Hoffmans weißer Walfischkörper zu zweifelhafter Geltung kommt, und die letzte, in der Charles eine überraschend grausame Konsequenz zieht. Zwei Szenen, emblematisch für den ganzen Film: Das ist sprödes, aufregendes Kino, hässlich wie das Leben sein kann, wenn es einfach so daherkommt, und furchtbar wie der Tod, wenn er einen kalt erwischt.

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