»Indiana Jones and the
Kingdom of the Crystal Skull«
Hamburg, 30. Mai 2008, 12:40 | von San Andreas
Lange nicht mehr so lange im Voraus Karten bestellt. Lange nicht mehr in einem so vollen Kinosaal gesessen. Lange nicht mehr eine solche ehrfürchtige Vorfreude in der Luft verspürt.
Es hätte bereits im Jahre 2004 so weit sein können. Frank Darabont hatte ein ganzes Jahr an einem Drehbuch gearbeitet, war vollständig in der Materie aufgegangen, schrieb wahrscheinlich mit Schlapphut und Lederjacke. Spielberg war von dem Ergebnis begeistert und wollte sofort losdrehen, ebenso Ford. Man stelle sich vor, wie die beiden freudestrahlend mit dem noch feuchten Script bei George Lucas aufkreuzten, und der abwinkte: »Nah. Don’t like it.« Darabont hegt seither einen verständlichen Groll gegen Lucas, und sein Buch wird in der Script-Trader-Szene gejagt wie der Heilige Gral.
19 Jahre war der Mann nicht mehr auf der Leinwand, und doch braucht Spielberg im Trailer nur seinen Schatten zu zeigen, und alle Welt weiß, wen sie vor sich hat: Dr. Henry ›Indiana‹ Jones, Jr. – Jawohl, wir haben es hier mit einer veritablen Ikone zu tun. 1981 bedeutete sie die Renaissance des Abenteuerfilms: »Raiders of the Lost Ark« war als Hommage an die Groschenromane und Filmserien der 30er und 40er Jahre gedacht, wurde unversehens zum Triumph und begründete eine eigene Legende. Nach zwei weiteren Abenteuern ritt der Held stilecht in den Sonnenuntergang: der Abschluss einer Epoche machenden Trilogie.
Nun errang das Gesetz der Serie doch noch einen Sieg und beschert uns einen vierten Teil. Skepsis war angebracht, als das Projekt in Planung ging, viel stand auf dem Spiel. Das Erbe eines großen Kinokapitels konnte befleckt werden, Harrison Ford, mittlerweile jenseits der 60, konnte der Lächerlichkeit preisgegeben werden, Lucas und Spielberg konnten der Leichenfledderei bezichtigt werden. Aber als ausgewählte Kritiker und Presseleute den Film in Cannes das erste Mal zu Gesicht bekamen, entnahm man ihren Reaktionen, dass hier ein feines Stück Kinogeschichte anständig fortgeschrieben worden war: »Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull« erntete dreieinhalb Minuten Standing Ovations.
Man mag kaum glauben, welchen Hype ein derart nostalgisches Kino-Konzept dieser Tage auszulösen vermag, noch dazu eines, dessen Macher sich bereits im rechten Alter für Lebenswerk-Preise befinden und nicht gerade zur Speerspitze moderner Filmkultur zählen. Aber Kino hat einen langen Atem, Klasse wird jahrzehntelang erinnert. Meilensteine führen ein Eigenleben, legen eine Schablone im kollektiven Filmgedächtnis ab, die über Generationen an Anziehungskraft nicht einbüßt.
Tatsächlich gilt der vierte »Indiana Jones«-Streifen als der mit der größten Spannung erwartete Film des Jahres 2008. Der Trailer wurde in der ersten Woche nach Erscheinen 200 Millionen Mal angeklickt, Kenner rechnen mit einem weltweiten Einspielergebnis von einer Milliarde Dollar. Aber was sagen diese Zahlen schon …
Was uns wirklich interessiert: Kann der Film die Magie heraufbeschwören, die seine Vorgänger in den 80er-Jahren so unvergesslich gemacht haben? Dieses unbeschwerte Gefühl purer Kinounterhaltung, der befriedigende Eindruck, dass eine Geschichte vollends in ihrer filmischen Form aufgeht? Kann er uns das heimelige, lieb gewonnene Zuhause im Indy-Universum wiederbringen, mit all seinen Klischees und Unwahrscheinlichkeiten, seiner entwaffnenden Selbstironie, seiner haarsträubenden Action und seinen liebenswerten Charakteren?
Er kann.
Aber nicht immer. Und nicht für jeden. 19 Jahre sind 19 Jahre. Die Welt ist kleiner geworden, und die Aussicht, dass Indiana Jones uns in exotische Winkel des Planeten führt, hat an Faszination eingebüßt. Die schmuddeligen Abenteuerserien der 40er-Jahre sind in noch weitere Ferne gerückt, die Filmwelt hat sich weitergedreht. Schatzsucher-Adepten haben sich auf der Leinwand versucht, der »Da Vinci Code« und das »National Treasure«-Franchise sind die letzten Beispiele. Am Mythos »Indiana Jones« haben sie nicht zu kratzen vermocht, denn der ist bereits eingehüllt von einer dicken Patina wehmütiger Verklärung.
Eine Neuinstallation im Hier und Jetzt verlangt auch eine Interpretation im Hier und Jetzt, und da hat der Film nicht gerade einen guten Stand. Was nostalgisch gemeint ist, läuft Gefahr, antiquiert zu wirken. Altbewährte Plotformeln müssen sich gegenüber neuen Kinokonventionen behaupten, und gerade die jüngere Generation wird diverse Elemente als reichlich hanebüchen empfinden. Der neue Film nimmt keinerlei Verbindung zum aktuellen Zeitgeist auf, weder was seine Charaktere, noch seine Handlung, noch seine Machart anbelangt. Man kann wirklich nicht behaupten, Indiana Jones wäre im Jahre 2008 angekommen.
Und genau das rettet den Film. Denn all das ist ihm schnurzegal. Die »Indiana Jones«-Abenteuer haben ihr eigenes Universum erschaffen, und nichts veranlasst sie dazu, außerhalb davon Aktivitäten zu entfalten. Wenn man »Skull« beurteilen möchte, dann nur im Vergleich zu den anderen Teilen, und da wiederum macht der Streifen eine gute Figur – er ist tatsächlich ein echter »Indiana Jones« geworden, und als solcher, wenn auch ausschließlich als solcher, funktioniert er formidabel.
Schon die traditionelle Überblendung des Paramount-Logos auf eine real-life-Bergform lässt dem Indy-Fan das Herz schwellen. Und als die von finsteren Gestalten zu Fall gebrachte Gestalt den abgewetzten Fedora aufsetzt, sich langsam in die Kamera dreht und ein angewidertes »Russen.« hervorpresst, kennt die Freude keine Grenzen mehr. Ford macht immer noch eine gute Figur, das muss man ihm lassen.
Auftritt Cate Blanchett als Irina Spalko, eine Art KGB-Domina. Auch wenn einem eine solche Person noch in keinem Film begegnet ist – sie kommt dennoch als wandelndes Klischee daher, füllt den Platzhalter des traditionellen Indy-Antagonisten: ultimativ böse, süffisant parlierend, übermächtig und blind vor Gier. Im Falle von Spalko fällt die Bedrohlichkeit leider ein wenig dünn aus, obwohl sich Blanchett redlich bemüht.
Ähnlich geht es John Hurt und Ray Winston, die mit ihren Rollen nicht mehr anfangen können, als das Drehbuch ihnen Redezeit zugesteht. Die meiste davon aber erhält naturgemäß der Held, sowie sein neuer, junger Kompagnon, Mutt Williams. Shia LaBeouf ist exzellent in seiner Rolle; seine unaufgeregte Vorstellung zerstreut auch gleich die Bedenken, die Figur wäre nur geschaffen worden, um der Jugend einen Zugang zum Indy-Kosmos zu schaffen.
Das Duo erreicht nicht die glänzende Chemie, die im dritten Teil Ford und Connery auf die Leinwand zauberten, aber eine Verstärkung eilt herbei in Form von Marion Ravenwood (Karen Allen), Dr. Jones‘ love interest aus dem ersten Teil. Das Gerangel der drei auf ihrer abenteuerlichen Reise holt sogar noch etwas aus der Figur des Helden ans Tageslicht, obwohl wir ja dachten, er sei zu Ende erforscht seit der denkwürdigen Szene, in der sein Vater ihn zum ersten Mal »Indiana« ruft und er vernünftigerweise den Gral fahren lässt.
Diverse dröge Dialoge lassen den Film bisweilen an Zugkraft verlieren. Aber der nächste Gag kommt bestimmt, und siehe da, es ist ein gelungener. Von denen gibt es eine erkleckliche Menge, ebenso von den übrigen lieb gewonnenen »Indiana Jones«-Zutaten: abenteuerliche Verfolgungsjagden, die bisweilen auch den Leichtgläubigsten auf eine harte Probe stellen, knackige Faust- und andere Kämpfe, Schatzkarten, Geheimschriften, zu entschlüsselnde Piktogramme, aufzuspürende archäologische Artefakte und verschollene Stätten. Auch der Besuch an Dr. Jones‘ College darf nicht fehlen.
Das Übernatürliche, ebenfalls ein unverzichtbares Element eines jeden »Indiana Jones«-Abenteuers, zieht gegen Ende alle Register, und hier mag manch einer aussteigen. Spielberg und Lucas (der die Geschichte schrieb) gehen hier etwas die Pferde durch, zudem verliert ihre gern zitierte Beteuerung an Glaubwürdigkeit, den Film ganz im Geiste der alten Werke herstellen zu wollen, also ohne Greenscreen und Computeranimation. Denn das ist die ganz große CGI-Keule.
Sei’s drum. Dafür birgt der Film neben den vielen »Indiana Jones«-Momenten, denen trotz der vielen Jahre Pause etwas routinemäßiges anhaftet, noch einen echten Spielberg-Moment. Der Held findet sich plötzlich auf einem Atomtestgelände mitten in der Wüste wieder, stolpert in einer leblosen Siedlung zwischen Schaufensterpuppen umher, die zur unmittelbar bevorstehenden Detonation drapiert sind. Eine Spielberg’sche Vorstadtidylle, grotesk verdreht ins Zeitalter des Kalten Krieges und des Atomwettstreits, und in kuriosem Gegensatz zur eher zeitlosen Schatzsuche-Metapher. Die Szene ist so verblüffend wie gruselig, hebt sich ab vom gut gelaunten Rest.
Der tut niemandem weh. Vielleicht ist diese arglose, warmherzige Grundstimmung der Grund für den Erfolg der Filme. Indiana Jones ist ein Jedermann. Er verbringt die meiste Zeit damit zu versuchen, irgendwie am Leben zu bleiben. Trotz allen übernatürlichen Brimboriums schafft das ein bodenständiges Grundvertrauen. Bei anderen filmischen Großtaten wie »Star Wars« oder »The Lord of the Rings« teilen sich traditionell die Lager, entbrennen erbitterte Grabenkämpfe zwischen ergebenen Fans und leidenschaftlichen Hassern. Gegen Indiana Jones hat komischerweise niemand etwas.
Gut, der Hype dieser Tage wird Gegen-den-Strom-Schwimmern Gelegenheit geben, sich zu profilieren, und der Film hat genug Schwächen, um ihnen zumindest teilweise Recht zu geben. Aber wer die Kirche im Dorf lässt und den Film sieht als das, was er ist und sein will, nämlich ein astreiner, familienfreundlicher Sommer-Blockbuster alter Tradition, wird einen erquicklichen Abend haben.
Von dieser Sorte hat Spielberg im Grunde seit »Jurassic Park« (1993) keinen mehr gedreht. Sowohl in dessen Sequel »The Lost World« als auch in Spielbergs anderen Big-Budget-Produktionen wie »Minority Report« oder »War of the Worlds« dominierten eher düstere Töne, von durch und durch seriösen Werken wie »Schindler’s List«, »Amistad« und »Munich« ganz abgesehen. Es ging die Kunde, Spielberg sei endlich erwachsen geworden. Wie schön, dass er das Kind in sich wieder entdeckt hat. Es gibt auch eines in uns, und die beiden dürfen gerne miteinander spielen.