Genudelt voll mit Pontormo
Hamburg, 17. November 2009, 08:15 | von Dique»Il Libro Mio« heißen die Aufzeichnungen Pontormos aus seinen letzten beiden Lebensjahren, 1554–1556. Inhaltlich geht es im Wesentlichen um seine Nahrungsaufnahme und das leibliche Wohl bzw. meist Unwohl, Darmstörungen, das Zipperlein allgemein und das schlechte Wetter.
Angaben über sein künstlerisches Schaffen werden eher uninspiriert erwähnt und sind ohne Kontext kaum nachvollziehbar. Er sagt maximal, dass er »Dienstag und Mittwoch den Alten gemacht (hat) mit seinem Arm und zwar so: (…)«. Dahinter sieht man dann eine kleine Miniskizze, nur aus ein paar Strichen bestehend.
Zu kompositorischen oder inhaltlichen Fragen des von ihm Erschaffenen äußert er sich gar nicht. Dafür erwähnt er immer und immer wieder die Essen mit seinem ehemaligen Schüler und Freund Bronzino:
»Sonntag, Mittagsmahl mit Bronzino
fühlte mich genudelt voll, also
nichts zum Abendessen.«
Ich las die deutsche Ausgabe des Buches. Für »satt sein« nimmt der Übersetzer meist »genudelt« oder »genudelt voll«. Das sagt doch aber eigentlich niemand. Vielleicht wurde das aus atmosphärischen Gründen benutzt, oder es ist tatsächlich die beste Entsprechung zum Original.
Folgt man der Beschreibung einer typischen Woche im Hause Pontormo, dann ist vor allem sonntags eine Nudelorgie fällig:
»Sonntag Mittagsmahl mit Bronzino, kleine Nudeln.
Montag den Helm.
Dienstag den Kopf (…)
Mittwoch den Rumpf; und kein Abendessen.
Donnerstag den Arm; und zum Abendessen Eierfisch.
Freitag den Leib, es war St. Lukas, zum Abendessen Eier und
14 Unzen Brot und Kohl.
Samstag den Arm und wo er sitzt; zum Abendessen Eier und
9 Unzen Brot und 2 Dörrfeigen.
Sonntag, Mittagsmahl mit Bronzino, kleine Nudeln,
Abendessen auch mit ihm.«
Zur Zeit der Aufzeichnungen arbeitete Pontormo in der Florentiner Kirche San Lorenzo an einem Jüngsten Gericht, vor dessen Fertigstellung ihn der Tod ereilte. Vasari erwähnt in der Vita des Pontormo den langen Zeitraum, der für dieses Werk draufging. Elf Jahre brachte er damit zu, in einer Kapelle »mit Mauern, Bretterwänden und Planen verhüllt und sich völlig der Einsamkeit hingegeben«.
Vasari wirft Pontormo, der stark von Dürers Druckgrafik inspirieren war, auch ständig vor, sich seinen eigenen Stil durch die Nachahmung des deutschen Stils ruiniert zu haben. Zwar lobt er die frühen Werke und lobt deren Maler als großen Meister, doch kann er mit seinem Spätwerk wenig anfangen. So auch mit dem Ergebnis des Freskos in San Lorenzo:
»Statt dessen malte er überall nackte Figuren in einer Ordnung, einem disegno, einer Bildfindung, Komposition und Farbgebung, die er nach seinem Sinn gestaltete und dazu in einer so tiefen Melancholie und für den Betrachter so wenig ansprechend, daß ich beschlossen habe, das Urteil darüber jenen zu überlassen, die es sich anschauen werden, da ich es noch nicht verstehe, obwohl ich selbst Maler bin. Ich befürchte nämlich, dabei verrückt und verwirrt zu werden, so wie er scheinbar in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit von elf Jahren sich selbst und jeden anderen zu verwirren suchte, der diese Malerei mit derartigen Figuren betrachtet.«
Dieses Urteil können wir uns nicht mehr bilden, denn das Werk wurde Mitte des 18. Jahrhunderts übertüncht und schlussendlich wurde gar die Mauer eingerissen, auf der es sich befunden hatte. Alles, was uns bleibt, sind einige seiner Skizzen und Studien und das etwas verwirrende »Libro Mio«.
Am 19. November 2009 um 09:02 Uhr
Vielleicht hat sich der Übersetzer auch einfach einen Running Gag mit der Verbrüderung von ital. pasto (Mahlzeit) und pasta gemacht, von wegen „kleine Nudeln“ und so. Auf jeden Fall danke für diesen historischen Wochenspeiseplan. Ab sofort wird Pontormo bei mir nur noch der mit der Pasta-Party sein.