Der größte Plebejer der zeitgenössischen Kunst

Hamburg, 30. März 2010, 20:44 | von Dique

»Grimmelshausen ist seit Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr Mitglied des deutschen Schriftstellerverbandes.« So kom­mentierte Michael Naumann den angestrebten Generationswechsel, der bei der Eichborn’schen »Anderen Bibliothek« zu seiner Kündigung geführt hat.

In einem der Bände der (guten alten?) Enzensbergerzeit, in Philipp Bloms »Sammelwunder, Sammelwahn«, steht neben vielen anderen supersten Anekdoten zum Thema Sammelei auch eine über den General Franco, er soll den Arm der Heiligen Teresa von Ávila mit sich herumgetragen haben, aber nicht, um damit zu unterschreiben, sich damit zu kratzen oder sonst irgendetwas Nützliches zu tun, sondern wegen der mythischen Kraft dieser Reliquie.

Aus ähnlichen Gründen wollte Rudolf II. unbedingt einen bestimmten Narwalzahn (galt damals noch als Horn des Einhorns bzw. Ainkhürns) und die berühmte Achatschale besitzen, in der durch schattige Einschlüsse der Name Christi zu lesen gewesen sei.

In Bloms Buch gibt es auch ein paar spannende Überlegungen zur Demokratisierung des Sammelns. War das uferlose Zusammentragen wertvoller oder wundersamer Dinge ehedem Privileg, ist die heutige Sammelei in alle Schichten der Bevölkerung vorgedrungen (Bierdeckel, Milchflaschen, Überraschungseiinhalte).

Zum Glück bleibt wenigstens die Kunst schön undemokratisch, siehe Helmut Krausser: »Kunst ist ein aristokratisches Phänomen, kein demokratisches, und erst recht kein plebejisches.« Dieses Zitat ist in der eben erschienenen »Substanz« des 12-bändigen Krausser’schen Tagebuchprojekts zu lesen, immer noch einem der unfassbar hervor­ragendsten Literaturgroßprojekte aller Zeiten.

Vorhin war ich noch in der PopLife-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Die einzige Entschädigung für die schiere Langeweile, die bunte Warholsiebdrucke nun einmal verbreiten, war das in Formalde­hyd eingelegte Goldene Kalb von Hirst, dem vielleicht größten Plebejer der zeitgenössischen Kunst.

Usw.

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