Lost: 6. Staffel, 15. Folge

Leipzig, 13. Mai 2010, 14:00 | von Paco

Achtung! Spoiler!
Episode Title: »Across the Sea«
Episode Number: 6.15 (#117)
First Aired: May 11, 2010 (Tuesday)
Umblätterers Episodenführer (Staffeln 4, 5 und 6)


»Finally, after so many years, the truth about Lost is revealed
tonight. And apparently the truth is that it is stupid.«

twitter.com/WriteOnCrouton

In dieser viertletzten Folge wird der Mythos nachgereicht, und zwar auf langweilige, klischierte Art und Weise. Die beiden parallelen Gegenwartshandlungen pausieren.

Der Mythos

Alles beginnt mal wieder mit einem Schiffbruch in den Hoheitsgewäs­sern der magischen Insel. Inmitten vereinzelter Planken einer ansons­ten restlos untergegangenen Barke taucht eine Frau auf. Sie ist hochschwanger, trägt ein knallrotes Gewand und langes Ebenholz-Haar, eine römische Variante von Schneewittchen. Sie wird an den Strand gespült und begibt sich ins Innere der Insel, wo sie an einem Bächlein niederkniet und trinkt.

Plötzlich steht ihr eine Frau in Kartoffelsackkostüm gegenüber. Und aua, auaaaa! sie spricht (soll sprechen) ein zurechtgeschustertes Latein, mit einem amerikanischen Akzent zum Davonlaufen, es ist das grässlichste Latein, das jemals erklungen ist.

–Ad quo nomine appellares?
–Mihi nomen est Claudia.

Ein Geräusch wie Gabelkratzen auf Porzellan erklingt, auf einmal sprechen die beiden Englisch. Äh, ok. Beide verständigen sich darauf, dass sie »by accident« auf diesem Eiland gelandet seien.

Bei flackerndem Feuer folgt die Entbindung. Ein Junge schlüpft heraus, »his name is Jacob«, und dann – Zwillingsgeburt! – kommt da noch ein Junge nach, der aber keinen Namen erhält: »I only picked one name.« Sicher die bescheuertste Ausrede der jüngeren Kulturgeschichte.

»I’m sorry«, sagt dann plötzlich die Kartoffelsacktante, erschlägt Mutter Claudia und wird damit »zur ersten von vielen absolut irren Gebüschfurien, die mordend durch die Hecken preschen und anderen Frauen die Kinder mopsen oder sich Ersatzkinder basteln: Uschi wird zur legendären Hühnerknochenübermutter.« (Zitat)

Sie hat nun die beiden Kids ganz für sich allein. Natürlich sind die Jungs das klassische Antagonistenpaar, Romulus und Remus, Kain und Abel, Esau und Jakob(!), Castor und Pollux etc. etc. So wird uns nun also diese ganze Allegorisiererei erklärt, Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse, der namenlose Mann in Schwarz gegen Blondschopf Jacob.

Die ständige Herauskehr der Gegensätze ist dermaßen überflüssig, dass es schmerzt, und zwar die ganzen 40 Minuten dieser Folge lang. Alles bescheuerte Mistklischees. Irgendwann spielen die heranwachsenden Jungs ein altägyptisierendes Brettspiel, natürlich mit schwarzen und weißen Steinen.

Wer Gut und wer Böse ist, wenigstens das wird ein wenig in der Schwebe gehalten, denn auch der schwarzschopfige Junge, den die Mutter mehr zu lieben scheint, hat plausible Motive für sein Handeln. Die Unsterblichkeit der Antagonisten wird in folgendem Dialog thematisiert:

Jacob: What’s dead?
Stiefmama: Something you will never have to worry about.

Irgendwann beobachten die Jungs fremde Leute auf der Insel. Die Mutter sagt dazu: »They’re not like us. They don’t belong here. We are here for a reason.« Der Grund wird erst mal nicht dazu genannt. Dann folgt als Erklärung für die Gefährlichkeit dieser und aller zukünftiger Inselbewohner: »They come, they fight, they destroy, they corrupt, and it always ends the same.« Den Satz haben wir vorher schon mal gehört, im Finale der letzten Staffel.

Die Kids werden von der Stiefmom zu einer gülden leuchtenden Grotte geführt, ein Ambiente wie in einem russischen Märchenfilm: »This is the reason you’re here.« Dieser Ort sei zu beschützen bla bla, sie habe ihn protegiert, irgendwann sei aber ein anderer dran. Die funkelnde Grotte ist angeblich der Nabel der Welt, denn »if the light goes out here, it goes out everywhere«. Das ist letztlich nicht so überraschend, »Lost« will ja immer schon vom großen Ganzen handeln und hat das manchmal auch ganz gut geschafft.

Dem namenlosen Bruder erscheint irgendwann seine leibliche Mutter, das erschlagene Römer-Schneewittchen. Sie führt ihn zu dem Römerdorf, dass der überlebende Teil ihrer Schiffbruchkollegen erbaut hat.

Der Namenlose trägt die Info zu seinem Bruder Jacob weiter, daraufhin entbrennt ein Kampf. Dieser und die folgenden Auseinandersetzungen erinnern ein wenig an die Gorillaszenen am Anfang von Kubricks »2001«, das sollen so Pars-pro-toto-Kämpfe sein, die den weiteren Verlauf der Menschheit bestimmen.

Durch die Erscheinung seiner Mutter wurde im Namenlosen das Verlangen entfacht, zurück nach »across the sea« zu gelangen, also: E.T. nach Hause telefonieren. Er will sich den Dorfbewohnern anschließen und einen Weg weg von der Insel finden.

Nach der Hälfte der Folge ist Jacob erwachsen und lebt noch bei Muttern. Der Andere hat sich wie geplant den Dorfbewohnern angeschlossen, »my people«. Bei einem ökumenischen Treffen der Brüder vermeldet der Namenlose, dass er eine Möglichkeit zur Inselflucht entdeckt habe. Hat mit magnetischen Anomalien auf der Insel zu tun.

Jacob petzt das der Stiefmom, die rennt zum ausreisewilligen Bruder und stellt ihn zur Rede. Ein Holzrad lehnt an der Wand, »what is this?« fragt sie, nun ja, er wolle das Rad irgendwo anbringen, um einen weirden Mechanismus steuern zu können, und dann! Dann werde er die Insel verlassen, jawoll.

Eine Goodbye-Szene mit Mutter folgt, aber dann will sie ihm ans Leder und haut ihn mit dem Kopf gegen die steinerne Wand. Der Namenlose sinkt bewusstlos darnieder.

Danach führt die Mutter Jacob zum Lichtloch (»life, death, rebirth, it’s the source, the heart of the island«), er müsse das jetzt alles beschützen, er solle nur nie da hinuntersteigen, es wäre schlimmer als zu sterben, much schlimmer. Auf seinen Status als Großprotektor wird angestoßen, er trinkt, »now you and I are the same«, vermeldet die Stiefmutter.

Der Namenlose erwacht am verschütteten Brunnen und rennt zum Dorf. Es ist komplett zerstört, alle Bewohner sind tot, und der Namenlose rettet auf dramatische Art und Weise dieses komische Brettspiel, schaut aber trotzdem sehr hasserfüllt drein. Kurz darauf erdolcht er seine Mutter hinterrücks, die überraschenderweise sehr positive letzte Worte für ihren Mörder parat hat: »Thank you!«

Okay, Jacob kreuzt auf und kreischt herum: »What did you dooooo!« Es wird ordentlich gefightet, Jacob schlägt seinem Bruder die Fresse blutig und bringt ihn zum Lichtloch für ein kleines Experiment. Er wirft ihn da hinunter, und heraus kommt: das Schwarze-Rauch-Monster. Die Entstehungsgeschichte des Rauchviehs wäre also auch abgehakt.

Die Vermonsterung ist offenbar eine Metamorphose, bei der ein Leichnam übrigbleibt. Jedenfalls findet Jacob den toten Körper seines Bruders irgendwo herumliegen und bettet ihn zu seiner toten Mutter. In Einspielungen mit Jack, Kate und Locke wird uns verklickert, dass es sich bei den in Folge 1.06 gefundenen Skeletten, die damals zu »our very own Adam and Eve« deklariert wurden, also um Stiefmom und die leibliche Hülle des nunmehr als Fake-Locke und Rauchmonster umherirrenden Namenlosen handelt. Ende der Folge.

Die Explizierung des Inselmythos nimmt der Serie ein wenig die Aura, denn das Zeug ist ausgedachter als die schlimmsten heidnischen Pseudokulte. Aber gut, »Lost« wird bald enden, und zu viel Avantgarde wäre ja sicher nicht so gut für die Einschaltquoten, hehe.

Noch eine Folge plus finaler Doppelfolge.

5 Reaktionen zu “Lost: 6. Staffel, 15. Folge”

  1. Christine

    Ja, ein bisschen schade und billig ist das schon. Interessant nur, dass man für das „Smoke-Monster“, den namenlosen Zwillingsbruder, irgendwie mehr Sympathien hat als für Jacob. Jacob scheint schuld daran zu sein, dass das Monster entweder entstanden oder doch entfesselt worden ist. Der arme Bruder ist irgendwie das Opfer, dem seine Menschlichkeit genommen wurde, und Jacob ist der Fiese, der den ganzen Mist erst angerichtet hat. Die Frage wird nun sein, wie Jacob es hinkriegt, in Zukunft offenbar ganz selbstverständlich zwischen Insel und realer Welt hin- und herzupendeln, denn dort findet und rekurtiert er ja in Zukunft seine Leute (wenigstens die Flight 815-Besatzung), und wann er mit seinen komischen Zahlenspielchen beginnt. Offenbar ist jedenfalls auch ihm klar, dass er schuldig ist, sonst hätte er sich doch wohl gegen Bens Attacke („So you have found your loophole …“) irgendwie gewehrt?
    Am Ende muss das Monster wahrscheinlich zurück in die Lichtgrotte gestoßen werden, und zwar von Desmond, der das ja, wie man bereits vorgeführt bekommen hat, abkann mit der elektrischen Ladung … It remains to be seen!

  2. Paco

    Stimmt, das ist der einzige interessante Aspekt an dem Ganzen, dass die Verteilung von Gut und Böse auf die beiden Antagonisten so ambivalent ist. Mal sehen, ob das bis zum Ende so bleibt.

    Sonst hast du die Serie ja schon plausibel zu Ende gedacht, viel mehr Raum bleibt auch nicht. Fehlt nur noch eine Erklärung für die Existenz der parallelen Nicht-Absturz-Welt, denn da ist ja noch Vieles möglich.

  3. Christine

    In der Tat! Ist die Parallelwelt die alternative oder die eigentliche Realität? Irgendwie geht’s ja fast allen besser als im Ursprungsszenario, was will uns das sagen? Geht die Insel gleich durch den „Incident“ unter?
    Und vor allem: Ist das alles nun Atlantis oder nicht?
    Außerdem: Bleibt Jack im Inselleben tatsächlich auf der Insel und wird der neue Jacob, nun ganz zum Glauben überlaufend (er ist ja, wie aussagekräftig, der „Shepherd“), oder kehren sie alle dem Eiland komplett den Rücken, nachdem sie das Smokemonster versenkt haben?
    Die Zeit bis Mittwoch wird lang!
    PS: Gibt es tatsächlich schon ganze Truppen von Kate-Hassern, z.B. in Belgien? Man ist versucht, sich denen anzuschließen! :)
    PPS: Wieso war Libby eigentlich in der „ersten Realität“ bei Hurley im „mental hospital“? Das ist mir ganz unklar geblieben.

  4. Paco

    Zum ersten PS: Das mit dem Figurenhassen ist eine delikate Angelegenheit. Ich war lange in der »Jack und Kate«-Fraktion, bis das langweilig und aussichtslos wurde, hehe. Ich finde vor allem die Darstellerin der Sun schauspielerisch völlig überfordert, sie hat den Rollenwechsel als eine der Oceanic Six überhaupt nicht in der Figur umgesetzt. Dahingegen war der Lost-Recapper bei nach21.wordpress.com entsetzt, als die Kwons ins Gras bissen, so unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein: »Ich trauere! Ich bin aufgewühlt, wütend und es ist mir scheißegal, dass das nur eine Serie ist! Ich kenne die Kwons seit vier Jahren!«

    Und auch sonst bin ich immer genau gegenteiligter Meinung: »Boone, das tat weh! Shannon, das nicht! Libby, autsch! Ana-Lucia, nicht die Bohne! (…) Charlotte war mir schnuppe, dafür tat Daniel weh! Locke habe ich bis heute nicht begriffen, den sehe ich ja noch ständig! Rousseau war auch nicht schlimm, die war irre! Und Charlie mochte ich ohnehin nie!«

  5. philgeland

    1. John Locke noch begreifen zu wollen is a waste of time. Der ist nämlich schon tot. So wie der Alte des Chirurgen, der auch nicht mehr er selbst war, als er den Filius zur Quelle lockte. (Womit wir dann auch – wie auch immer – bei der oben kommentierten Episode sind).

    2. Ach ja, die Quelle des ewigen Lebens. Und die Ur-Stief-Mama, die wiederum eine Mama hatte, die wohl wiederum … und so weiter .. Wo kommt die eigentlich her und was macht die da, so mutterseelenallein? By the way, im obigen Post vermisse ich die meiner Meinung nach wesentliche Message: den KELCH. Der gute Jakob nimmt einen gepflegten Schluck aus dem Becher. Wirft aber auch seinen Bruder in die Quelle. In die Quelle von was? Ist doch klar: die des ewigen Lebens, oder? Was für ein patheitsch postmodern-zusammengeflickter Mist. Naja, wenigstens tut’s ihm nachher leid. Hilft aber auch nix mehr. Ist aber aber auch nicht so schlimm, denn im Gegensatz zu seinem Bruder darf er die Insel (das Paradies?) verlassen.

    Hm.

    3. Da laufen sie dann (die Söhne), in gutgeschneiderten Hemden 30 Jahre lang auf der Insel herum, ohne Frauen; einfach nur glücklich, Stiefmamas Wünsche zu erfüllen. Wer hat die Hemden eigentlich gemacht. Blöd genug, über so einen Robinson-Fake nachzudenken, ich geb’s ja zu. Egal, eins ist schon mal klar: Sitefmama mag keine anderen Frauen, nur sich selbst und ihren Insel-Job. Wir erinnern uns an den bösen Blick auf ein Weib jener, die ihrer Meinung nach nix auf der Insel zu suchen haben.

    4. Was die Söhne angeht: der eine will gehen, darf aber nicht. Der andere will bleiben, kann aber auch gehen, wie es ihm passt. Läuft herum im Raum-Zeit-Kontinuum jenseits der Insel und segnet die Oceanic 6. Amen.

    5. Apropos Amen. Hier eiine Kurzfassung dieser Folge von LOST in einem Satz, with special regards to religious folks: Abel erschlägt Kain.

    Grüsse aus dem postmodernen Sumpf.

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