»Der menschgewordene Vatertag«
Konstanz, 16. Mai 2010, 20:36 | von MarcuccioIn der FAS von heute: Schöne Replik auf Claudius Seidls Reportage-Polemik vom vergangenen Sonntag. Stephan Lebert meldet sich zu Wort, und man mag sich gut ausmalen, dass das zunächst ein journalistisch formulierter Brief war, den »der strenge Feuilletonchef dieser Zeitung« (Lebert über Seidl) dann nur zu gern zum offenen Brief, sprich Gastartikel gemacht hat. Wen wundert’s, packt Lebert Seidls Schmähartikel doch bei der noblen FAS-Ehre:
»Diese schlechte Laune passt so gar nicht zu dem hochgeschätzten F.A.S.-Feuilleton, wenn beispielsweise über Buch-, Theater- oder Filmpreise berichtet wird. Deshalb erlauben wir uns kurz die sicher durch und durch unsachliche Frage, ob da vielleicht ein bisschen das Til-Schweiger-Syndrom vorliegt: Man gewinnt selber nie was – und ist beleidigt?«
Eine Nebendiagnose von Leberts Verteidigung der Reportage ist »die wiedererstarkte Seite drei der ›Süddeutschen Zeitung‹«, deren Outstandingness wir ja letzthin auch im Best of Feuilleton der Jahre 2007 (auf #1) und 2009 (auf #8) gefeiert haben.
Ansonsten ist die versöhnliche Quintessenz des Artikels die, dass sich Feuilletonist (am Schreibtisch) und Reporter (draußen) am Ende doch näher sind als die Herren Seidl und Lebert zunächst vorgeben: »Forget the facts, push the story, lass weg, was die Geschichte stört. Nicht nur die ganz harten Reporter wussten das immer schon.«
In diesem Sinne unterwegs war wohl auch Stuckrad-Barre für die WamS, und zwar beim »vatertagigsten Vatertagsfest Brandenburgs«. Er erzählt eine Geschichte gescheiterter Integration, bestellt beim Bierausschank »Ein Wasser, bitte!« (»Ein was?«) und vergisst auch diese kleine, aber feine Einheit Varietätenlinguistik nicht: »›Vatertag‹, ostdeutsch ›Herrentag‹«. Schließlich besteigt er ein herrliches Örtchen namens „ToiToi-Anhöhe“ und fährt integrationsunwillig wieder heim, wo ihm in der Glotze Waldemar Hartmann begegnet: »der menschgewordene Vatertag«.
Passend zu dieser Alteritäts-Reportage müssen wir vielleicht wirklich noch aus Adornos »Herrenlaunen« zitieren:
»Einem bestimmten Gestus der Männlichkeit, sei’s der eigenen, sei’s der anderer, gebührt Mißtrauen. Er drückt (…) die stillschweigende Verschworenheit aller Männer miteinander aus. Früher nannte man das ängstlich bewundernd Herrenlaunen, heute ist es demokratisiert und wird von Filmhelden noch den letzten Bankangestellten vorgemacht.«
Schuld am Herrentag ist im Zweifel also wieder mal: die Kulturindustrie.