Mit Evelyn Waugh in Abessinien
Hamburg, 29. Juli 2010, 13:03 | von DiqueLaut Ann Pasternak Slater ging Evelyn Waugh 1930 auf eine Party, wo ihm ein Freund davon erzählte, wie er in Kairo mit zwei abessinischen Prinzen zu Tisch saß. Beide hatten sie seidene Umhänge getragen und dazu eine Melone, die sie beim Essen aufbehielten. Keiner der beiden sprach eine Sprache, die einer der anwesenden Übersetzer hätte übersetzen können.
Waugh war von dieser kleinen Geschichte vollauf begeistert, beschäftigte sich ein wenig mit dem märchenhaften Herkunftsland der Prinzen und schaffte es schließlich, als Sonderkorrespondent der »Times« nach Abessinien zu reisen, zur Krönung des Königs der Könige, Haile Selassie.
Waugh zog noch ein bisschen weiter durch Afrika und veröffentlichte seinen Reisebericht dann unter dem Titel »Remote People«, auf Deutsch in der »Anderen Bibliothek« bei Eichborn erschienen, noch zu Enzensbergers Zeiten, in einer schönen Ausgabe, grünlicher Sammet mit blauen Tupfen darauf (UMBL berichtete).
Bis zur Krönung des Königs der Könige verbringt Waugh viel Zeit mit den anderen Westlern, die angereist sind, und um aller Wohlergehen kümmert sich ein Deutscher, ein gewisser Mr. Hall. Dieser ist überaus freundlich, hört sich stets alle Probleme und Beschwerden der Besucher an, schreibt sie auf, verspricht sich zu kümmern, verschwindet und tut dann aber eben – nichts.
»Da war ein Mr. Hall, in dessen Büro ich viele hektische Stunden verbrachte, ein Kaufmann deutsch-abessinischer Abstammung, extrem gutaussehend, geschmackvoll gekleidet und monokeltragend, ein Mann von ausgesuchter Höflichkeit und ein außergewöhnliches Sprachtalent.« (S. 45)
Dieser Mr. Hall war während der Feierlichkeiten für so ziemlich alles zuständig:
»Wenn die italienische Telegraphengesellschaft eine Stunde Pause machte, nahm Mr. Hall die Beschwerden entgegen. Wenn ein allzu eifriger Polizist jemandem den Zutritt zu einer Zuschauertribüne verweigerte, (…) Wenn kein Omnibus da war, (…) wenn jemand aus irgendeinem Grund in Addis Abeba schlechte Laune hatte (…), stets wandte man sich an Mr. Hall. Und welcher Sprache man sich auch bedienen mochte, Mr. Hall verstand und fühlte mit. Mit geradezu weiblicher Geduld beruhigte er den Betreffenden, mit männlicher Entschlossenheit notierte er die Angelegenheit deutlich auf seinem Notizblock. Dann erhob er sich, verbeugte sich und komplimentierte den besänftigten Besucher mit einem Lächeln und der Versicherung seines guten Willens wieder hinaus – und unternahm rein gar nichts.« (S. 45/46)
Waughs Bücher sind voll solcher sympathisch-grotesker Charaktere, aber Mr. Hall rangiert auf der Topliste weit vorn. Neben diesem Reisebuch veröffentlichte Waugh noch zwei Romane, die auf abessinischem Terrain angesiedelt sind, »Scoop« und »Black Mischief«, und ein weiteres Reisebuch. Alles inspiriert durch die ihm zugetragene Geschichte von zwei Prinzen, die zum traditionellen Gewand Melone trugen, auch während des Essens.