Puschkin, Przewalski, Pilze, Prokofjew

St. Petersburg, 23. Oktober 2011, 09:05 | von Baumanski

Es ist Freitag und schon elf Uhr vorbei, als ich aufstehe. Am Abend davor habe ich mehr als genug, aber nicht allzu viel getrunken (die Russen haben dafür sogar ein eigenes Verb, »недоперепить«). Aber jetzt muss ich noch schnell vor Wochenschluss zum International Office der Universität, um irgendwelche Sachen zu erledigen.

Hernach spaziere ich – vorbei an zwei Puschkin-Denkmälern und einer Büste des Forschungsreisenden Przewalski, der Stalin so ähnlich sieht, dass viele ihn für dessen heimlichen Vater halten – zum Puschkin-Museum. Dort überzeuge ich mich vom zeichnerischen Talent des Nationaldichters und höre mir die Ausführungen der Museumsführerin an, die, wie andere ja auch, seitenweise auswendig aus seinen Werken zitieren kann.

Nach dem Museum bin ich etwas hungrig und entscheide mich kurzerhand für eines der russischen Schnellrestaurants, von denen es in Petersburg etwa so viele gibt wie Puschkin-Denkmäler. Ich bestelle ein Glas Kwas sowie Bliny mit Hackfleisch und Pilzen (übrigens sind alle Russen davon überzeugt, dass in Westeuropa niemand Pilze sammelt). Kostenpunkt: 220 Rubel.

Da ich zuvor noch schnell zum Bankomaten musste, habe ich nur einen 5000-Rubel-Schein dabei, also sozusagen 150 Franken bzw. 125 Euro am Stück, was hier gewöhnlich nicht besonders gerne gesehen wird. (Die Schweiz ist ja bekanntlich das einzige Land, wo man auch mit einer Tausendernote einen Kaugummi bezahlen darf.)

»Kann ich damit zahlen?«, frage ich deshalb präventiv und halte den 5000-Rubel-Schein ins Blickfeld der jungen Verkäuferin. Sie schaut mich verständnislos an. »Ja«, sagt sie langsam und deutlich. »Das ist Geld.« Sie hält mich offenbar nicht für freundlich und umsichtig, sondern für dämlich, und während ich dann meine Bliny esse, sehe ich von weitem, wie sie ab und zu kopfschüttelnd in meine Richtung blickt.

Um sechs Uhr ruft mich Ivan Borisowitsch an und sagt, ich müsse in einer Stunde unbedingt mit ins Konzert kommen. Als ich knappe fünf Minuten zu spät vor dem Eingangstor zur Philharmonie erscheine, ist vom sonst überpünktlichen Ivan Borisowitsch noch nichts zu sehen. Ich rufe ihn auf seinem Handy an, worauf sich folgender Dialog entwickelt:

I.B.: Allo?
Ich: Privjet, ich bin’s. Ich wäre jetzt also da.
I.B.: Ich stehe direkt vor dem Eingang. Wo sind Sie denn?
Ich: Hier, vor dem Eingang.
I.B.: Ich sehe Sie aber nicht.
Ich: Ich bin aber hier!

Plötzlich kommt Ivan angerannt. Er war ein paar Meter zur Seite getreten, um etwas aufzuschreiben, und hatte vergessen, dass er nicht mehr vor dem Tor stand.

Wir betreten die Philharmonie, wo das laut dem britischen Magazin »Gramophone« sechzehntbeste Orchester der Welt auch an diesem Abend überzeugend spielt: Prokofjews »Skythische Suite« und eine Symphonie des Schostakowitsch-Schülers Tischtschenko. Auch Ivan Borisowitsch ist äusserst zufrieden.
 

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