Haus des Leningrader Handels
St. Petersburg, 20. November 2011, 10:49 | von BaumanskiEs ist noch dunkel, als ich am Montagmorgen kurz vor neun Uhr geweckt werde. Gähnend verfluche ich den russischen Präsidenten, der dieses Jahr die Winterzeit abgeschafft hat. Dafür ist heute das Duschwasser immerhin lauwarm. Ich fahre dann mit dem Dreierbus zum Ligovski-Prospekt und gehe nach drei Stunden Unterricht um die Ecke in unsere Lieblings-Hinterhof-Stolovaja, wo das Essen natürlich ausschliesslich mit Dill und Petersilie gewürzt wird.
Zusammen mit einem Kommilitonen, dem fröhlichen polnischen Dominikanermönch (@Paco: Grüsse!), mache ich mich auf den Weg und verabschiede mich irgendwann in ein Café. Ich nehme mein schon sehr zerfleddertes, noch aus der Sowjetunion stammendes Exemplar von »Verbrechen und Strafe« heraus und warte lesend auf Ivan Borisowitsch. Denn heute scheint zum ersten Mal seit drei Wochen die Sonne und das wollen wir für einen Spaziergang nutzen.
In der Mitte des letzten Gesprächs zwischen Raskolnikov und Svidrigailov kommt Ivan Borisowitsch dazu, offensichtlich etwas mürrisch gelaunt, und beginnt über verschiedene Dinge zu referieren. Wir verlassen das Café, überqueren den Nevski-Prospekt und kommen zum bekannten Warenhaus DLT (Dom Leningradskoj Torgovli), dem »Haus des Leningrader Handels«, dass angeblich nur deshalb nicht »Leningrader Haus des Handels« genannt wurde, damit es nicht die selben Initialen hat wie Lew Davydowitsch Trotzkij.
Wir spazieren weiter, durch den Michailovski-Park zur Inschenerny-Brücke, auf der unser Freund, der Opernsänger, einmal eine alte Haarbürste gefunden und in die Moika geworfen hat. Besagter Opernsänger ruft dann kurz darauf auch an und lädt uns zu einer Lesung ein, wo verschiedene Dichter der Samisdat-Generation Geld für die Operation ihres verunfallten Kollegen Michail Erjomin sammeln.
Etwas später sind wir noch auf einer Party in einer Wohnung am Nevski-Prospekt. Ich höre jemanden Weissrussisch auf mich einreden, dann unterhalte ich mich länger mit einer Keltologin aus Tscheljabinsk über das irische Eisenbahnnetz, und dann geht das Bier aus. Eine Betrunkene versucht mir und Ivan Borisowitsch zu erklären, dass wir »typische abgestumpfte Russengesichter« haben, und da ist es Zeit, das Weite zu suchen.
»Können Sie kochen?«, fragt Ivan Borisowitsch auf dem Heimweg unvermittelt, nachdem er zuvor lang und breit erläutert hat, weshalb ein russischer Intellektueller prinzipiell mit nichts einverstanden sein kann (auch Dostojewski ist laut Ivan Borisowitsch höchstens ein mittelmässiger Schriftsteller). »Ja«, anworte ich, füge aber hinzu, dass ich mangels Küche momentan nur Butterbrote zubereite. »Das Butterbrot ist ein Modell des Universums«, sagt Ivan Borisowitsch ernst.
Am 20. November 2011 um 11:21 Uhr
Oh, danke, Grüße zurück!
Am 11. Januar 2012 um 09:41 Uhr
»Das Butterbrot ist ein Modell des Universums«
© Ivan Borisowitsch
ist jetzt der Text meines Bildschimschoners.