100-Seiten-Bücher – Teil 26
Peter Handke: »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien« (1996)
Berlin, 27. Juni 2012, 13:43 | von Josik
Als Peter Handke diesen Text im Januar 1996 in der S-Zeitung veröffentlichte, löste er damit einen der größten Skandale in der Geschichte der Weltliteratur aus. Noch fast zehn Jahre später hat Elfriede Jelinek vermutet, dass Handke den Nobelpreis wohl nur deshalb nicht kriegt, weil er immer »wieder irgendwelche Blödheiten über Serbien äussert«.
Andere hingegen loben Handke für seinen unbestechlichen Blick aufs Detail, aufs Unscheinbare, dem sich dann umso tiefere Erkenntnisse verdanken würden, und tatsächlich: Man staunt nicht schlecht, wenn Handke während seiner Winterreise einen Supermarkt neben »dem einheimischen Delo, der Tageszeitung aus Ljubljana, das deutsche Bild« (S. 110) vorrätig haben lässt, im Neutrum!: das deutsche Bild, obwohl doch ausnahmslos jeder andere Mensch sonst sagt: die Bild. Handke aber besteht da erfreulicherweise auf dem korrekten Genus, und man kann sicher sein, dass er grammatikalisch präzise auch ›der König der Biere‹ sagen würde.
Andererseits, so weit kann’s mit dem Blick aufs Detail bei Handke dann auch wieder nicht her sein, der Hitler-Attentäter Georg Elser wird von Handke furchtbarerweise und auch in der 3. Auflage des Buches noch unkorrigiert »Georg Elsner« (S. 38) genannt, und in einem Satz, der so beginnt: »Was war das etwa für ein Journalismus, wie etwa« (S. 123), hätte Handke ruhig ein ›etwa‹ weglassen können.
Auf Seite 42 übrigens stößt Handke in einer Zeitung auf ein »Folgephoto«, das erinnerte mich daran, dass ich neulich in irgendeinem Museumsbericht das Wort »Folgesaal« gelesen und mich gleich maßlos über diesen vermeintlichen Quatsch-Neologismus aufgeregt habe, aber wenn selbst der von Jelinek als »lebender Klassiker« titulierte Handke das Wort »Folgephoto« benutzt, dann ist natürlich auch das Wort »Folgesaal« völlig o.k.
Peter Handke: Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. 3. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996. S. 3–135 (= 133 Textseiten)
(Einführung ins 100-Seiten-Projekt hier. Übersicht über alle Bände hier.)
Am 28. Juni 2012 um 09:36 Uhr
Ich widerspreche da mal Frau Jelinek. Schließlich hatte Pinter noch ganz andere Sachen gesagt.
Am 1. Juli 2012 um 20:41 Uhr
die grammatische Korrektheit ist natürlich ehrenwert, zumal mitten in der Schlamperei von heute. Doch wenn’s noch a Gustostückerl zum Text mehr g’wesen wär‘, dann hätt‘ ich gleich zweimal bravo g’rufen, so bleibt’s bei einem.
nix für ungut.