Richard D. – Das letzte Opernhaus
Hamburg, 1. August 2019, 10:10 | von Dique
Natürlich ist Richard Deiss nicht müde geworden und statistikt sich frisch und frei durch die Welt. Und natürlich beobachten wir weiter sein Treiben und sind immer mal wieder teilnehmend-beobachtend dabei. Das Projekt Opernbesuche ist abgeschlossen und wurde mit einem weiteren seiner rausgeschossenen Books on Demand manifestiert: »Kein Opernhaus in Oberhausen«.
Das Buch ist ein tollkühner Ritt durch ALLE Opernhäuser Deutschlands. So abgeschlossen wie das Projekt sein mag, noch gibt es unbesuchte Opern im Ausland und auf diese will sich Richard nun konzentrieren, aber wohl nicht in der gleichen Blitzgeschwindigkeit, in der er sich durch die ca. 99 Opern-Spielstätten Deutschlands gesessen hat. Er war ja nicht nur kurz da, wie sonst gern seine Art, er nahm ja immer auch eine Vorstellung mit – nach sechs Mal »Fidelio« in kurzer Spanne hat sogar er dann auch mal ein bisschen aufgestöhnt.
Vor ein paar Wochen habe ich Richard noch beim Besuch seiner letzten noch offenen Opernspielstätte begleitet, der Kammeroper im Allee Theater in Altona. Gegeben wurde in dem kuschligen, kleinen Haus »Offenbachs Traum«. Wir sitzen in der dritten Reihe und sind so nah dran wie selten. Die kleine Bühne hat sogar einen Orchestergraben und die Sänger schreiten ständig gefährlich nah am Bühnenrand und am Rande des Orchestergrabens herum. Eine ältere Dame, die direkt vor uns sitzt, gesteht in der Pause, dass sie sich nicht auf das Stück konzentrieren könne, aus Angst, einer der Sänger würde in die Tiefe des kleinen Orchestergrabens abrauschen. Diese Horrorvision beeinträchtigt nun wieder meine eigene Wahrnehmung im letzten Akt.
Richard kommt natürlich nicht einfach mal so irgendwohin, trifft sich mit dir und dann geht’s in die Vorstellung. Er würde ja vorher gern noch und man könnte ja zusammen und so weiter und so weiter. Wir wollen uns also in Buchholz treffen und von dort aus soll die Bossard Kunststätte besucht werden, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Johann Michael Bossard betrieb in der Nähe von Jesteburg, mehr oder weniger mitten im Wald, eine Art Künstlerenklave à la Worpswede. Dort steht nun ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulptur und Malerei, das von seinem großzügigen Atelierhaus und dem sogenannten Kunsttempel dominiert wird. Der Kunsttempel ist eines der wenigen expressionistischen Gebäude im nordischen Backsteinstil und einfach ziemlich der Wahnsinn, wie diese ganze Kunststätte überhaupt.
Kurz vorher habe ich noch kleine Zweifel am Timing angemeldet. Die Kunststätte befindet sich eben nicht direkt in Buchholz, sondern irgendwo im Wald bei Jesteburg. Wie kommt man hin und wie kommt man wieder weg, und dann müssen wir ja auch wieder zurück nach Hamburg in die Oper? Laut Richard alles kein Problem, Taxi sei schon bestellt und auch für die Besichtigung habe man genug Zeit. Ich gewinne sogar noch eine halbe Stunde, denn ob meiner Zweifel kommt Richard dann nämlich doch etwas früher nach Buchholz. Er knapst die Zeit bei vorherigen Besichtigungen ab, die letzte Station vor Buchholz war Schneverdingen, der Eine-Erde-Altar in der Eine-Welt-Kirche. Der Altar versammelt Erd- und Sandproben aus aller Welt. Als Geologe ist Richard davon natürlich begeistert und kommt in entsprechender Hochstimmung in Buchholz an. Das Taxi ist dann auch schon da und alles läuft wie geschmiert.
Mit dem Zug geht es schließlich zurück nach Hamburg und wir treffen pünktlich in der Kammeroper in Altona ein, da reicht die Zeit sogar noch für eine Limo auf der kleinen Veranda im Hinterhof, bevor es losgeht. Bzw. – wie es so schön heißt in »Lazy Sunday«, der SNL-Performance von Andy Samberg und Chris Parnell aus dem Jahr 2005: »Now quiet in the theater or it’s gonna get tragic, / We’re about to get taken to a dream world of magic«, in diesem Fall aber nicht in die Traumwelt von Narnia, sondern die nicht weniger spektakuläre von E.T.A. Hoffmann.
Das Ende des wunderbaren Stücks, auf dieser schönen kleinen Bühne, sehe ich allerdings ganz allein, Richard muss weiterziehen, es geht nach Berlin und er will den letzten Zug nicht verpassen. Die alte Dame vor mir wirft mir am Ende noch einen wissenden Blick zu, wir sind beide erleichtert, dass keiner der Sänger im Orchestergraben verschwunden ist.