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100-Seiten-Bücher – Teil 155
Erika Mitterer: »Begegnung im Süden« (1941)

München, 28. Mai 2019, 14:02 | von Josik

Regine macht Urlaub in Italien, dort lernt sie Helmuth kennen. Regine ist glücklich, aber einsam. Helmuth ist ein verheirateter Familienvater, aber unglücklich. Eins und eins macht zwei, und schon auf Seite 46 küssen sie sich. Aber wir wollen nicht vorgreifen. Auf Seite 31, da haben die zwei eigentlich erst ein paar Worte miteinander gewechselt, sagt Doktor Helmuth Greiff zu Fräulein Regine: »Ja, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß in den Zeitungen jedes Jahr zwei bis drei deutsche Lehrerinnen als von Haien verspeist beklagt werden? In Dalmatien, bei Triest … aber immer sind es Frauen, immer Lehrerinnen.«

Diese Worte wurden 1941 veröffentlicht, aber wenn man etwa an Renate und Werner Wallert denkt, sieht man sofort, dass es sich Jahrzehnte später noch genauso verhält, nur natürlich mit dem Unterschied, dass es sich hier nicht um eine Lehrerin, sondern um ein Lehrerehepaar handelte, und dass der berühmte Vorfall nicht in Italien, sondern in Malaysia stattfand, und dass die beiden dort nicht von Haien verspeist, sondern von einer Terrororganisation entführt und glücklicherweise wieder freigelassen wurden. Erst auf Seite 55 schließlich erfährt Helmuth, dass auch Regine Lehrerin ist.

Länge des Buches: ca. 170.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Erika Mitterer: Begegnung im Süden. Erzählung. Hamburg: Marion von Schröder Verlag 1941. S. 3–123 (= 121 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 154
Nicole Zepter: »Kunst hassen« (2013)

München, 26. Mai 2019, 19:48 | von Josik

Na gut, es ist klar, dass die folgende Formulierung, die Nicole Zepter in ihrem Essay »Kunst hassen« verwendet, nicht wörtlich gemeint ist, aber trotzdem: »Und wenn einem dann noch auf der documenta 12, der vorletzten, die schlampig ›kuratierte‹ Anhäufung von Kunstwerken in den stickig überfüllten Provisorien der Karlsaue allen Sinn und Verstand für die Kunst austreibt, dann möchte man dem ganzen Betrieb ein Schild umhängen, auf dem ›Please kill me‹ steht und schreiend davonlaufen« (S. 15). Dass der ganze Betrieb gekillt wird, kann man nun aber schwerlich dadurch sicherstellen, dass man schreiend davonläuft, sondern es wäre natürlich viel sinnvoller, vor dem ganzen Betrieb kaltblütig stehenzubleiben und ihn dann aus dieser Position heraus eben zu killen.

Tatsächlich habe ich noch nie verstanden, warum Leute überhaupt in Museen gehen, denn fast immer ist die Luft dort sehr schlecht und man wird in kürzester Zeit wahnsinnig müde und häufig sind die Museums­besucher, die man in den Museen besichtigen kann, sehr viel weniger hübsch als die dort ausgestellten Objekte. Das heißt aber nicht, dass ich aus Prinzip keine Museumsgebäude betreten würde, ganz im Gegenteil, denn ich gehe unheimlich gerne in Museumsshops, und ein Museum, das ich garantiert besuchen würde, wenn es so eines gäbe, wäre ein Museum der Museumsshops, also ein Museum, in dem die originellsten Museumsshops der letzten Jahrzehnte konserviert werden.

Man könnte in den Museumsshops, die in diesem Museum der Museums­shops ausgestellt wären, natürlich nichts kaufen, aber so wie man am Ende der Ikea-Möbelausstellung unweigerlich zur Selbstbedienungshalle und den Hot Dogs gerät, so müsste man am Ende des Museums der Museumsshops unweigerlich auf einen Museumsshop stoßen, der nicht nur alle bis dahin besichtigten Museumsshops toppt, sondern in dem darüber hinaus auch irgendwelche Artefakte käuflich erworben werden können, das wäre doch epochal!

Länge des Buches: ca. 190.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Nicole Zepter: Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe. Stuttgart: Tropen 2013. S. 3–139 (= 137 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 153
Buchi Emecheta: »Der Ringkampf« (1980)

München, 18. März 2019, 10:10 | von Josik

Also, wenn ihr mal ein ergiebiges Thema braucht für eine literaturwissen­schaftliche Arbeit, hier ist eins: ein Vergleich zwischen dem »Ringkampf« und dem »Ring«. »Der Ringkampf« ist der Titel eines erstmals 1980 erschienenen, supersten Buchs der nigerianischen Schriftstellerin Buchi Emecheta. »Der Ring« ist der Titel eines erstmals im π mal Daumen 14. Jahrhundert erschienenen mittelhochdeutschen Versepos von Heinrich Wittenwiler.

Ein Vergleich bietet sich schon deswegen an, weil es in beiden Werken zwei miteinander verfeindete Nachbarortschaften gibt. Im »Ringkampf« sind es die Leute aus Akpei und die Leute aus Igbuno, die sich gegenseitig nicht leiden können. Diese Feindschaft ist allerdings aus verschiedenen Gründen vertrackt. So wird am Ende zwar heftig ringgekämpft, aber ein Ringkampf ist etwas extremst Tolles. Im »Ring« hingegen geht es ja eigentlich darum, dass Bertschi Triefnas aus Lappenhausen erfolgreich um Mätzli Rührenzumpf freit. Dummerweise ist aber zur Hochzeit der beiden auch die Community aus dem Nachbardorf Nissingen eingeladen. Auf der Hochzeitsfeier kommt es zwischen den Leuten aus Lappenhausen und den Leuten aus Nissingen wegen einer Lappalie zu einer Schlägerei, die in einen Weltkrieg ausartet.

Anders als im »Ring« ist das Ende im »Ringkampf« keineswegs deprimierend. Ihr könnt also beim Fazit eures literaturwissenschaftlichen Vergleichs zwischen Akpei und Igbuno einerseits sowie Lappenhausen und Nissingen andererseits festhalten, dass es nicht nur Gemeinsamkeiten gibt, sondern auch Unterschiede.

Länge des Buches: ca. 120.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Buchi Emecheta: Der Ringkampf. Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Martini und Helmi Martini-Honus. Mit einem Nachwort von Jürgen Martini. Göttingen: Lamuv Verlag 1989. S. 3–99 (= 97 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 152
Aslı Erdoğan: »Der wundersame Mandarin« (1996)

München, 15. März 2019, 20:52 | von Josik

Hier steht: »Wahrscheinlich könnte man auch statistisch belegen, dass der Großteil der Mörder in den Kriminalromanen graue Augen hat« (S. 10). Ob das stimmt, wäre für die Digital-Humanities-Branche heutzutage leicht herauszufinden. Die Digital-Humanities-Angestellten würden in diesem Fall ein Korpus von, sagen wir, 25.000 Krimis durch die Maschine jagen, und dann würde das Ergebnis angezeigt werden, zum Beispiel: »74,0% der Mörder*innen in den durchsuchten Kriminalromanen haben graue Augen, 16,0% blaue, 5,0% braune, 3,0% schwarze, 1,9% grüne, und in 0,1% der Kriminalromane wird die Augenfarbe der Mörder*innen überhaupt nicht erwähnt, sodass also die Ich-Erzählerin in diesem Buch von Aslı Erdoğan eindeutig recht hat mit ihrer Vermutung.«

Wie gesagt, ob es sich tatsächlich so verhält, das herauszufinden wäre mittlerweile für die Digital Humanities keine Herausforderung mehr. Aber! Nun müssen wir den nächsten logischen Schritt gehen, d. h., wir brauchen jetzt ein Korpus von 25.000 weltliterarischen Werken, in denen, so wie hier in dem zitierten Satz mit der zu verifizierenden Augenfarbenstatistik­vermutung, Aufgabenstellungen für die Digital-Humanities-Branche enthalten sind. Hier schon mal ein weiteres Beispiel: In einem Brief, den Rosa Luxemburg am 14. Januar 1918 aus dem Gefängnis in Breslau an Sophie Liebknecht schrieb, vermutet sie unter Berufung auf Francé, »daß die hervorragendsten, wissenschaftlichen und literarischen Produktionen berühmter Männer in die Monate Januar–Februar fallen«. Auch hier wäre ja wieder leicht festzustellen, ob das objektiv richtig ist.

Und sobald das besagte Korpus vollständig ist, können wir dann endlich herausfinden, zu wieviel Prozent unsere Weltliterat*innen mit ihren Vermutungen richtig liegen.

Länge des Buches: ca. 140.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Aslı Erdoğan: Der wundersame Mandarin. Aus dem Türkischen von Recai Halliç. Berlin: Edition Galata 2008. S. 3–108 (= 106 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 151
Assia Djebar: »Die Zweifelnden« (1957)

München, 7. März 2019, 10:15 | von Josik

Nadia, die Ich-Erzählerin in Assia Djebars superstem Roman »La soif« (in dieser Ausgabe hier sehr frei als »Die Zweifelnden«, in einer anderen deutschen Ausgabe korrekt als »Durst« übersetzt), besucht gerne die Kinos und Kasinos in Algier, hört Jazz, hält sich in lauten Cafés auf, mag Überraschungspartys und liebt es, an Autorennen teilzunehmen, bei denen sie ihre Haare im offenen Cabrio flattern lässt, sie ist jung und flippig. Umso mehr sticht ein einzelner Satz im sechsten Kapitel hervor, auf den im ganzen Roman weder davor noch danach wirklich Bezug genommen wird, und nun bitte ich alle, sich kurz hinzusetzen und sich gut festzuhalten, denn dieser Satz lautet also wie folgt: »Ich übersetzte beschwingt einen Aufsatz Senecas über die Mäßigung« (S. 53).

Nun kann man von Seneca ja halten, was man will, aber es steht fest, dass er durchaus zum Austicken neigte. So berichtet er in einem seiner Briefe (Epistulae morales, 56), wie er mal für kurze Zeit über einer Badeanstalt, also über einem römischen Fitnessstudio, gewohnt hat, und er ist sich tatsächlich nicht zu blöd, sich über den Lärm, den die dort herumturnenden Kraftprotze, Masseure, Saunierenden, Wasserplantscher, Kuchenbäcker, Würstelverkäufer, Ballspieler und Achselhaarausrupfer veranstalten, lang und breit zu mokieren. Nur, wo bitteschön sollen Kraftprotze sich denn sonst aufhalten, wenn nicht in einem Fitnessstudio? Seneca und Mäßigung, ach komm, hör mir auf.

Länge des Buches: ca. 190.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Assia Djebar: Die Zweifelnden. Roman. Aus dem Französischen von Rudolf Kimmig. Deutsche Erstausgabe. München: Heyne 1993. S. 5–124 (= 122 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 150
Leonora Carrington: »Unten« (1973)

München, 5. März 2019, 20:42 | von Josik

Der Titel eines Berichts der supersten Künstlerin Leonora Carrington, »Unten«, hebt sich wohltuend ab von so prätentiösen Titeln wie Günter Wallraffs »Ganz unten« oder Christian Wulffs »Ganz oben – ganz unten«. Leonora Carrington beschreibt eingangs, wie sie sich immer wieder übergeben musste: »Ich hatte das Erbrechen bewußt herbeigeführt, indem ich das Wasser von Orangenblüten trank« (S. 10). Orangenblütenwasser­produktionsfirmen empfehlen eigentlich: »Orangenblütenwasser zur Gesichts- und Körperpflege auf die Haut sprühen«, und nicht: »Orangenblütenwasser trinken, um Erbrechen herbeizuführen«.

Sowieso würde ich von jenen Methoden, mit denen man Schriftsteller*innen zufolge sich oder anderen schaden kann, grundsätzlich eher abraten. So würde ich z. B. auch davor warnen, jene Suizidmethode zu praktizieren, die Elfriede Jelinek im Interview mit André Müller geschildert hat: »[M]ich umzubringen … ich könnte es nur mit Tabletten machen … Man muß die Tabletten, damit man sie nicht auskotzt, mit Apfelmus mischen … und vorher noch zusätzlich Valium schlucken.«

Leonora Carrington berichtet des Weiteren, wie ihr zur Lösung der politischen Probleme in den 1940er-Jahren eine Verständigung zwischen Spanien und England als die beste Lösung erschienen sei: »Ich begab mich deshalb in die englische Botschaft und sprach mit dem Konsul. Ich versuchte, ihn davon zu überzeugen, daß der Weltkrieg geführt werde, weil eine Gruppe von Leuten die Menschen hypnotisiere: Hitler und Co. … und daß es genüge, sich dieser hypnotischen Kräfte bewußt zu werden, um sie zu besiegen, um den Krieg zu beenden und die Welt zu befreien« (S. 26). Und daraufhin kam Leonora Carrington also für kurze Zeit in eine Nervenheilanstalt, nur weil sie, wie jeder normale Mensch, aufgrund der politischen Lage vorübergehend verrückt geworden war.

Länge des Buches: ca. 105.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Leonora Carrington: Unten. Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981. S. 5–87 (= 83 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 149
Carmen Boullosa: »Die Wundertäterin« (1993)

München, 22. Februar 2019, 00:44 | von Josik

Wir waren mitten in der Nacht aufgestanden, denn der ICE 886 fuhr bereits um 6:16 Uhr am Hauptbahnhof los. Als Reiselektüre hatte ich Carmen Boullosas Roman »Die Wundertäterin« eingepackt. Schon kurz nach Nürnberg musste ich anfangen zu lachen. Wie der von der Gewerkschaft angesetzte Privatdetektiv die Wundertäterin beschattet und für diese Aufgabe aber völlig untauglich ist! Alles wird immer abgefahrener, irgendwann kommt sogar der Präsidentschaftskandidat Morales ins Spiel. Das alles wird so rasant erzählt, und ich konnte mich irgendwann überhaupt nicht mehr zurückhalten und musste einfach laut loslachen. Doch je mehr ich lachen musste, desto mehr merkte ich, wie die Mitreisenden mir böse Blicke zuwarfen. Es war mir ja auch irgendwie unangenehm, aber was sollte ich machen?

Im Kopf überschlug ich kurz, dass ich aufhören könnte weiterzulesen. Aber sogleich wurde mir klar, dass diese Idee unsinnig war, denn dann hätte ich die ganze Zeit an das denken müssen, was ich gerade gelesen hatte, und dann hätte ich also wieder loslachen müssen. So gesehen war es viel effizienter, wenn ich weiterlas und über Stellen lachte, die ich noch nicht kannte. Einen kurzen Moment dachte ich auch daran, dass meine Mitreisenden ja nicht wissen konnten, worüber genau ich so lachen musste, und ich überlegte, ob ich ihnen aus Höflichkeit das Buch einfach von vorne vorlesen sollte. Das wäre aber in diesen frühen Morgenstunden bei den mich umgebenden Schlafmützen sicherlich nicht gut angekommen. Ich las also weiter, und lachte und lachte.

Länge des Buches: ca. 220.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Carmen Boullosa: Die Wundertäterin. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995. S. 3–133 (= 131 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 148
Louise Welsh: »Tamburlaine muss sterben« (2004)

Eutin, 20. Februar 2019, 15:53 | von Josik

Christopher Marlowe, der Autor des 1587/1588 verfassten Theaterstücks »Tamburlaine the Great«, ist derjenige, den Louise Welsh ganz kurz vor seinem Tod den hier vorliegenden Bericht an die Nachwelt verfassen lässt. Dort ist u. a. von seinem Schauspielerfreund Thomas Blaize die Rede, einem der Hauptdarsteller in einer Inszenierung des »Tamburlaine«: »Am Premierenabend hatte er in genau der Sekunde bemerkt, dass sich in seiner Pistole scharfe Munition befand, als er abdrückte. Er riss den Arm gerade noch herum und konnte seine Schauspielerkollegen verschonen, wirbelte aber […] mit dem Lauf zum Publikum hin« (S. 58) und erschoss versehentlich eine schwangere Zuschauerin.

Etwas nicht ganz so Tragisches, aber doch Vergleichbares ist 2008 z. B. im Burgtheater tatsächlich passiert. Gegeben wurde Schillers »Maria Stuart«, und die Requisite hatte vergessen, das Messer stumpf zu machen – so dass der Schauspieler Daniel Hoevels in der Rolle des Mortimer, nachdem er sich während der Vorstellung das scharfe Messer über die Kehle gezogen hatte, blutend von der Bühne wankte. Hoevels hat glücklicherweise überlebt. Die Frage aber bleibt, warum Theater als ein Ort der Kultur, des Geschmacks, der Zivilisation, der Lebensart gelten. Über den Finanzskandal, zufälliger­weise ebenfalls am Burgtheater, haben wir ja noch gar nicht gesprochen, aber wer realismusaffin durch die Welt geht, muss doch sehen, dass die Theaterbranche ein Ort der fahrlässigen Körperverletzung, der Beweis­mittelfälschung, der Geldwäsche, der Verderbtheit ist.

Wacht auf!

Länge des Buches: ca. 180.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Louise Welsh: Tamburlaine muss sterben. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. München: Antje Kunstmann 2005. S. 3–137 (= 135 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 147
Carson McCullers: »Die Ballade vom traurigen Café« (1943)

Eutin, 19. Februar 2019, 14:03 | von Josik

»The Ballad of the SAD café« sollte man lesen, um das Wort »SAD« mal wieder mit jemandem zu assoziieren, der nicht Donald Trump ist, in diesem Fall also mit der supersten Carson McCullers. Okay, in der deutschen Übersetzung fällt das wahrscheinlich nicht so auf, I mean, wohl die wenigsten denken beim Titel »Die Ballade vom TRAURIGEN Café« an @realDonaldTrump, oder? Die deutsche Übersetzung, die ich in der Hand hatte, stammt aus dem Jahr 1961 und ist eine wunderbar saturierte Übersetzung. So taucht im Original dreimal das Wort »chitterlins« auf, und das wird hier mit »Gekröse« wiedergegeben, oder genauer gesagt: Zweimal wird es mit »Gekröse« (S. 8, S. 49) übersetzt, einmal mit »Eingelegtem« (S. 73).

Die Worte »a Nehi« hingegen werden mit »ein Nehi« (S. 36) wieder­gegeben – das ist nachvollziehbar, denn ein Nehi ist eine Art Cola, nur dass es eben keine Cola ist, sondern ein Nehi. Aus »the hunchback, who had been eating sweet snuff all the day« wird »der Bucklige, der den ganzen Tag an seinem süßen Priem gelutscht hatte« (S. 68), und das klingt auch nowadays doch noch relativ knorke, doesn’t it? Auch »sweet snuff« kommt im Original insgesamt dreimal vor, wird hier überraschenderweise dann allerdings auch jedes Mal mit »süßer Priem« übersetzt (S. 32, S. 68, S. 104). Es gibt in diesem Buch natürlich noch viel, viel mehr zu essen (jaja, okay, Priem isst man natürlich nicht, es sei denn, man ist bescheuert oder aber man möchte ihn eben gerne essen), z. B. »a pecan«, also »eine Hickorynuss« (S. 104).

Usw.!

Länge des Buches: ca. 150.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Carson McCullers: Die Ballade vom traurigen Café. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schnack. Zürich: Diogenes 1971. S. 3–116 (= 114 Textseiten).

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100-Seiten-Bücher – Teil 146
Marie NDiaye: »Selbstporträt in Grün« (2005)

Eutin, 18. Februar 2019, 11:25 | von Josik

Der Vater der Ich-Erzählerin ist inzwischen mit deren »ex-besten Freundin« (S. 38) verheiratet; Cristina ist eine »Freundin« (S. 19) der Ich-Erzählerin; Marie-Gabrielle und Alison hingegen sind »nur gute Bekannte« (S. 20). Okay, bis hierhin haben wir also Bekannte, Freund*innen und ex-beste Freund*innen. Man könnte die ganze Umgebung sicherlich noch weiter ausdifferenzieren: »entfernte Bekannte«, »zweitbeste Freund*innen« usw. usw. Ein Problem aber bleibt: Wie nennt man Leute, mit denen man irgendwann mal befreundet/bekannt war, zu denen man aber schon seit langer Zeit überhaupt keinen Kontakt mehr hat?

Manchmal ergibt es sich ja, dass man über genau solche Leute irgend was erzählt, und wenn man grade im Flow der Erzählung ist, möchte man diese Leute doch nur ungern als »Leute, mit denen ich mal befreundet/bekannt war, zu denen aber schon vor langer Zeit aus Gründen, die ich jetzt nicht ausführen kann, weil das sonst zu weit führen würde, der Kontakt abgerissen ist« titulieren? Das würde den Redeflow doch erheblich stören.

Hier ein Vorschlag: Ich selber nenne solche Leute »ehemalige Bekannte«. Für diese widersinnige Bezeichnung werde ich zwar oft ausgelacht, aber von allen kompakten Bezeichnungen für das betreffende Problem scheint mir diese doch die beste zu sein. In Marie NDiayes »Selbstporträt in Grün« geht es eigentlich um was völlig anderes, aber die oben zitierten Stellen boten sich eben an für diese kleine Meditation.

Zum »Selbstporträt in Grün« möchte ich noch sagen, dass ich schon lange nicht mehr ein dermaßen superstes Buch durchgeschmökert habe. Lest es!

Länge des Buches: ca. 120.000 Zeichen (dt.). – Ausgaben:

Marie NDiaye: Selbstporträt in Grün. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Zürich/Hamburg: Arche 2011. S. 3–119 (= 117 Textseiten).

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