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Mit Fritz J. Raddatz in der Kunsthalle Emden:
»In gewisser Weise hängt da der Stern«

Emden, 30. März 2009, 07:46 | von Marcuccio

Schade eigentlich, dass es den Henri-Nannen-Kunstexpress nicht mehr gibt. So verschlug es uns mit dem ganz privaten Navi nach Norden, und von Norden nach Emden. Hier, und dieser Gag fehlt wirklich nirgends, befindet sich die Kunst exakt »Hinter dem Rah­men 13«.

Eine Gruppe aus Groningen steht im Foyer, mit einer Reiseleitung Marke Sylvie van der Vaart, da schließen wir uns doch glatt an:

»In 1986 liet Henri Nannen, oprichter van het beroemde weekblad Stern, in zijn geboorteplaats Emden een museum bouwen voor zijn verzameling twintigste-eeuwse kunst. Zijn passie voor het verza­melen van kunst heeft tot een omvangrijke collectie met een geheel eigen karakter geleid. Nannens verzameling en tentoon­stellingen trekken kunstliefhebbers uit binnen- en buitenland naar de Kunsthalle in Emden.«

Leider scheint Sylvie van Emden dann doch nur die Website der Kunsthalle auf Niederländisch auswendig gelernt zu haben. Nicht ohne unsere blauen Franz-Marc-Pferdchen, die Eintrittskarte, hochzuzeigen, galoppieren wir noch mal geschwind raus und holen unseren eigenen Führer aus dem Spind: Fritz J. Raddatz! Der hat mit seinem Buch »Unruhestifter« so eine Art inoffiziellen Rundgang zur Kunsthalle Emden verfasst, drei herrlich böse Seiten (S. 173 ff.) über den Kunstsammler Henri Nannen.

»Nannen führte mich zwar durch das Museum, aber erzählte ausschließlich, wie günstig er dieses Bild und wie teuer er jenes erworben habe, bei wem, durch wen und wie teuer es jetzt sei, … dass das Museum 6,5 und alles zusammen 13,8 Millionen gekostet habe. Dreizehnkommaacht war ohnehin jedes dreizehnkommaachte Wort, warum sagt er nicht dreizehn oder vierzehn?«

Raddatz, genervt, notiert »zumeist zweite und dritte Qualität, kaum ein Spitzenbild und: nur diese deutsche Kunst, der ewige Nolde, der ewige Barlach, dazwischen diese Modersohns und noch Namen­loseren – Altmeppen und Scharl und wenn eine Beckmann-Quappi, dann eben doch nicht die Quappi.«

Yeah, Kunstführer, die einem erzählen, was die Sammlung, die man gerade schaut, alles nicht zu bieten hat. Vielleicht überhaupt noch eine Marktlücke.

Die Holländer, aber ohne Sylvie van Groningen, laufen uns wieder über den Weg. Wir schlagen uns seitwärts und landen direkt vor unserer gerahmten Eintrittskarte. Museen aller Ligen anhand ihrer Art von Eintrittskarten analysieren, das wäre doch noch mal ein echter Job für die Museumsphilatelie. Die hätte auch (interdiszi­plinärer Ansatz!) herauszufinden, warum es im Museumscafé, das wirklich »Henri’s« heißt, original Topfenstrudel gibt. Zum Nachtisch lesen wir den Rest vom Raddatz-Rundgang:

»… kein Max Ernst oder Magritte oder Dalí, nicht mal Oelze – das Raffinierte in der Kunst liegt diesem Mann nicht. Er hat eben doch einen ›Musikdampfer‹ gesteuert, in gewisser Weise hängt da der STERN – auf den er allen Ernstes stolz ist … – noch einmal an den Wänden; es hat etwas Brüllendes.«

Großer Brüller jetzt auch im Henri’s. Die Holländer (immer noch ohne Sylvie) sind in der Kantine angekommen. Ein Guus-Hiddink-Double macht obszöne Grimassen, keiner weiß warum.


Die Raupe Bundesrepublik

Konstanz, 17. März 2009, 19:37 | von Marcuccio

Haben Kinderbuch-Exegesen gerade Konjunktur? Erst Maula und der Mondvogel: die Parabel auf das Feuilleton und seinen größten Fan, den UMBL. Und jetzt die »Kleine Raupe Nimmersatt« als Gleichnis auf die Geschichte der BRD. Diese Lesart liefert Florian Illies im Feuilleton-Aufmacher der aktuellen »Zeit« (»Jahrgang 1929«, Nr. 12/2009, S. 45). Für Illies erzählt die Kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle

»im Kern nicht weniger als die Geschichte der Bundesrepublik. Sie beginnt in kalter Mondnacht, auf einem kahlen Blatt – die Bilder­buchversion der Stunde null. Dann frisst sich die nimmersatte Raupe durch die Torten und Würste des Wirtschaftswunders, vor Selbsthass und Völlegefühl rettet sie dann die Öko-Bewegung. Mit den grünen Blättern im Bauch kann sie sich selbstvergessen ver­puppen (späte achtziger Jahre), um dann, Wiedervereinigung, als schöner Schmetterling neugeboren zu werden. ›In dem Buch‹, so sagte Carle einmal, ›steckt die Hoffnungsbotschaft: Ich kann auch groß werden.‹ Man könnte auch sagen: Die Raupe Nimmersatt – oder ›Du bist Deutschland‹.«

Carle ist übrigens Jahrgang 1929, Illies‘ ganzer Artikel geht über den Jahrgang 1929 und die Frage, wie er »das geistige und kulturelle Nachkriegsdeutschland auf einzigartige Weise geprägt hat«. Als Raupe geprägt hat. Illies stützt diese These auch durch »James Last, Jahrgang 1929, der tatkäftig mithalf, die Raupe Bundes­republik in einen sanften Klangteppich wie in einen Kokon einzu­wickeln«. So wurde die alte BRD auf »wundersame Weise impräg­niert gegen jede Unbill der Wirklichkeit«.

Mehr Raupenhermeneutik ist leider nicht – wann spinnt Illies seine herrlichen entwicklungsbiologischen Erkenntnisse zum Adultsta­dium der BRD weiter, wann verpuppt er diesen »Zeit«-Artikel zu einem Buch? »Generation Raupe« könnte der nächste Bestseller sein.


Feuilleton-Früherziehung

Konstanz, 13. März 2009, 09:00 | von Marcuccio

Wer hätte das gedacht? Eine Maulwurfsfabel für Kinder ab 4 erklärt uns, was ein Feuilleton-Fan ist (und indirekt auch, was der Um­blätterer ist): »Maula und der Mondvogel« (2000), von Cornelia Hausherr und Fabienne Boldt.

Die Maulwürfin Maula Molte lebt unter Tage (Halbwelt, natürlich) – und wie! Verdächtig viele Übereinstim­mungen zu unserer Party im Zeichen des Golden Mole:

1. Maula sichtet, Maula sammelt. Maula hortet ihre Schätze. Maula betreibt in ihrem Bau ein unterirdisches Lager. Sie sortiert Müll und Preziosen, »wühlt sich unter einen Bogen Papier«, auf dass es »raschelt und knistert«. (Maula muss Zeitungleserin sein!)

2. Maula mag nicht alles. Aber was sie mag, das feiert sie: »Voll Freude klatscht Maula in die Hände.« (Begeisterungsfähigkeit als Voraussetzung)

3. Maula ist geschäftig: sie bügelt, raspelt, locht und presst all das, was sie gefunden hat, zu »handlichen Barren«. (Na bitteschön, sie bloggt.)

4. »Einmal im Jahr leert Maula ihre Regale.« Dann schnürt sie »die Barren zu dicken Packen« (Best of Feuilleton?) »und verteilt sie an ihre weitläufige Verwandtschaft. Ob ihre Tanten, Nichten und Neffen damit etwas anfangen können, interessiert Maula Molte nicht. Hauptsache, sie hat wieder Platz.« (Kennt also auch Maula so was wie einen Frühjahrsputz?)

5. Maula hegt einen besonderen Happen in ihrer prall gefüllten Vorratskammer: ein Insektenkokon, aus dem eines Tages ein Nachtfalter namens Mondvogel schlüpft. Für Maula viel zu schön zum bloßen Fressen.

6. Maula wird Mondvogels größter Fan: »Sie bringt ihm das Graben bei, er lehrt sie fliegen – oder versucht es zumindest.«

7. Mondvogel wird Maulas Muse und ist im übrigen all das, was auch gutes Feuilleton ist:

Unberechenbar:
»Übermütig wechselt Mondvogel mehrmals die Richtung«.

Von flüchtiger Schönheit:
»Die Flecken auf Mondvogels Flügeln leuchten silbern auf.«

Affizierend:
»Mit flatterndem Herzen läuft ihm Maula Molte hinterher.«

Arrogant:
»Mondvogel fliegt schon hoch über ihr. Er hat den Flügelschlag eines anderen Nachtfalters gehört.«

Und manchmal kryptisch:
Mondvogel »flüstert Maula Molte ein paar Worte zu, die sie aber nicht versteht.« Bevor Maula begreift, ist Mondvogel weg. Aber unter ihrem Fuss kitzelt schon das nächste Kokon, das sie in ihren Bau schleppen und bewundern kann.

Und damit Ende Gelände. Das Ganze kreidefein gezeichnet. Selbst die typografische Aufbereitung, für manche das große »Manko des Buches«, begeistert als Reminiszenz an das Bleiwüsten-Feuilleton vergangener Tage.


Autorenbranding 2.0:
Der Buchhändler Hanns-Josef Ortheil

Konstanz, 6. März 2009, 01:17 | von Marcuccio

Ich weiß, ich wollte nie mehr 2.0 sagen. Aber für Hanns-Josef Ortheil muss ich noch einmal eine Ausnahme machen.

HJO will in seinen beiden Wohnorten, in Stuttgart und Wissen an der Sieg, eigene Buchhandlungen eröffnen. Besondere Buchhand­lungen, denn gemäß Statuten wird/soll nur das in den Läden käuflich zu erwerben sein, was von HJO eigens zum Kaufen und Lesen ausgewählt wurde:

Andere Bücher gibt es in dieser Buchhandlung nicht, sie können auch nicht bestellt werden.

Für eine Branche, die sonst schon Angst hat, einen vor dem Erstverkaufstag nachgefragten Kehlmann nicht bedienen zu können, klingt das ziemlich radikal. Letztlich setzt HJO aber auch nur fort, was andere längst vormachen, MRR packt bekanntlich jeden Kanon-Koffer mit seinem Konterfei ein.

HJO als Flagship-Store

Wenn mit HJO nun erstmals ein richtig gediegener Autor seinen Marken-Shop eröffnet, lässt das eigentlich nur die ganzheitliche Assoziation von Buch und Tuch zu, die sein Kollege Hans-Ulrich Treichel im »Börsenblatt« postete:

Werter Kollege!
Von Herzen alles Gute für Ihr Projekt!
Führen Sie auch zufällig senfgelbe Hosen?

Herzlichst

Ihr
Ulli

Ich aber sage: Wenn HJO es wirklich ernst meint, dann wird er neben der Hosenabteilung vor allem auch im Gastro-Konzept neue Maßstäbe setzen – und hoffentlich keine weitere Buchhandlung mit Espresso-Bar eröffnen. Vielmehr sollte der Kalbsbratwurst-Erzähler Ortheil vielleicht die erste Buchhandlung mit Grilltheke einrichten. Das dazugehörige Event sehe ich buchstäblich schon auf der Kreidetafel vor mir (und für sowas kommen die Leute, die sonst Bodo Kirchhoff am Gardasee besuchen, auch nach Wissen an der Sieg!):

Heute

12–13 Uhr
Hanns-Josef Ortheil grillt die Wurst zu und aus
seinem Buch »Das Verlangen nach Liebe«.
In senfgelber Hose, versteht sich.


Endlich verstehen:
Das Inhaltsverzeichnis des »Spiegel«

Konstanz, 4. März 2009, 22:12 | von Marcuccio

Nach welchem Prinzip rubriziert sich eigentlich der Inhalt in unser aller Nachrichtenmagazin? Oder anders gefragt: Was ist »Rund­funkfreiheit«: ein Kulturgut oder ein Medienrecht? Sonderbarer­weise hat der »Spiegel« dieser Woche (10/2009) den wichtigen Beitrag mit der herrlichen (wenn auch nur recycelten) Überschrift »Mainz bleibt meins« (S. 144 ff.) nämlich nicht als »Medien«-Thema gebracht, sondern in die »Kultur« gesteckt. Obwohl der Teaser-Text ja durchaus aufs »Medien«-Ressort schließen ließ, wo der Artikel über die ZDF-Personalie auch besser platziert gewesen wäre. Das Ganze lässt mindestens vier Interpretationen zu:

1. Der »Spiegel« feiert Fasnacht nach, aber den Aprilscherz vor. »Mainz bleibt meins« wäre dann (ähnlich wie der Basler Morgestraich) ein verspäteter Karnevalsbeitrag und als journalistisches »Brauchtum« im weitesten Sinne, natürlich, Kultur.

2. Die Rundfunkfreiheit ist ein so bedrohtes Kulturgut, dass sie jetzt tatsächlich am besten per Kulturkampf gegen den Parteien-Proporz verteidigt wird (in diesem Sinne ja auch Schirrmachers Feuilleton-Aufmacher neulich in der FAS).

3. Man brauchte im Kulturteil noch einen Aufmacher, und im Medien-Ressort hatte man schon Mathias Döpfner. Unwahrscheinlich! Denn in schlechteren »Spiegel«-Wochen haben es auch schon drei Kultur-Seiten Tracey Emin zum Aufmacher geschafft. Und wer sagt eigentlich, dass der Medien-Teil nicht mehr als einen ordentlichen Artikel haben darf.

4. Nicht die Sparten, sondern die Spalten sortieren den »Spiegel«. Genauer gesagt: Die Spalten im Inhaltsverzeichnis bestimmen die Ressort-Bestückung im »Spiegel«. Denn die zweite Außenbahn des Inhaltsverzeichnisses, oben rechts, soll vermutlich immer rotbalkig, also mit einem neuen Ressort beginnen. Ressort-Enjambements über den Seitenumbruch sind nicht vorgesehen, und auf der linken Außenbahn ganz unten scheint es diese Woche ganz so, als sei bei den »Medien« layouttechnisch schlicht kein Platz mehr gewesen.

Wahrscheinlich ist die willkürlich scheinende Themen-Rubrizierung aber einfach pure Avantgarde, hehe.


Mit Pierre Bourdieu in Algerien

Konstanz, 2. März 2009, 14:10 | von Marcuccio

Oben Kaschmir, unten Sneakers: Die aparte Französin (gewiss keine Kolonialherrin) hat sich ein wenig in Rage geredet. Aus ihrer unverdächtigen Wortmeldung entwickelt sich gerade eine kleine (aber ob ihres Akzents doch noch gern gehörte) Suada: Warum der französische Kolonialismus in Afrika besser gewesen sei als der britische (ihr Sohn zur Zeit in Kenia) usw. usf.

Doch so harsch wie Madame jetzt von einer Hiesigen auf gut alemannisch gestoppt wird: »Entschuldigung, wir sind nicht wegen IHREM Vortrag hier, wir würden gern weiter dem jungen Mann zuhören.« Der junge Mann, das sehen wir ihm an, sortiert gerade im Kopf, was aus dieser Szene zum Thema Habitus zu sortieren ist. Und wir halten fest:

Pierre Bourdieus Algerien-Fotos in Konstanz – da begegnen sich sozusagen gleich zwei französische Ex-Besatzungszonen auf einmal.

Images d’Algerie. Une affinité élective

Bourdieus fotografische Feldforschung zeigt Zeugnisse der Entwurzelung: Was im alten Europa über Jahrhunderte, Generationen und Epochen Zeit hatte – im Algerien des Algerienkriegs geschieht es irgendwie alles gleichzeitig und gleichzeitig nicht. Zivilisatorischer Zeitraffer.

Die Bilder (allesamt um 1960) dokumentieren aber auch den Blick eines Wissenschaftlers, der während seiner Algerien-Jahre als Soldat, später Dozent ein persönliches Re-Modeling durchmacht: vom Philosophen zum Ethnologen zum Soziologen. Mein Lieblingsobjekt der Fotoserie deshalb die Straßenecke in Blida. Bourdieu hat sich einfach mal neben das Café d’Orient gestellt und ein paar Stunden lang feine Unterschiede geknipst. Von »Totalverhüllung« über »oben Bettlaken, unten nackte Beine« bis »Kopftuch – was ist das?« alles dabei. Auch bei den Mannen: Vom in der Work-Life-Ballance des Westens sichtlich verlorenen Kabylen bis zum zukünftigen Vater eines Zinedine Zidane alles dabei.

References:
taz (Patrick Eiden)
Auswahl der Bilder bei camera-austria.at [PDF]


Who’s Who

Konstanz, 13. Februar 2009, 12:47 | von Marcuccio

Ich verwechsle auch nach jahrelanger FAZ/FAS-Lektüre gern noch mal Michael Althen (Film) mit Michael Hanfeld (Fernsehen), und manchmal sogar Peter Körte und Tobias Rüther, weil die irgendwie immer über ähnliche Sachen schreiben. Keine Verwechslungsgefahr dagegen bei Nils Minkmar und Niklas Maak (früher notorische Verwirrung wegen ihrer Kürzel »mink« und »nma«). Von Anfang an keine Verwechslungen bei Seidl, Weidermann, Adorján, Richter.


Für Hardcore-Leser und Einsteiger:
Klammern als Offline-Links im Feuilleton

Konstanz, 10. Februar 2009, 09:34 | von Marcuccio

Natürlich steht auch dieses Jahr wieder ein Frühjahrsputz an.

Noch haben wir Winter, aber ist ja egal. Ich entsorge trotzdem schon mal eine einsame Schallplatten-und-Phono-Seite (FAZ vom 23. Februar 2008). Warum ich die überhaupt aufgehoben habe? Weiß ich eigentlich auch nicht mehr. Das heißt, doch, da war dieser Artikel: Jürgen Kesting über Julia Fischer. Kein Fräulein-Geigenwunder à la Vanessa Mae, nein: »Fast ohne den Rückenwind des modischen Starmarketings hat sich Julia Fischer im Oberhaus der Geiger etabliert.«

Aber, erst jetzt sehe ich klar, das eigentlich Bestechende an diesem Artikel waren ja die Klammern. In gerade mal zwei Sätzen setzt Kesting vier der berühmten Offline-Links in die Backlist dieser Zeitung:

Demnach machte Julia Fischer »Furore […] beim Frankfurter Neujahrskonzert (F.A.Z. vom 3. Januar).« Weiterhin »versteht sich, dass die ersten Plattenveröffentlichungen Fischers mit romantischen russischen Virtuosenkonzerten (F.A.Z. vom 16. Oktober 2004) und Bach-Partiten (F.A.Z. vom 24. September 2005) auf ebenso große Zustimmung trafen wie die der Konzerte Wolfgang Amadeus Mozarts (F.A.Z. vom 16. Oktober 2006). Nun hat sie diesen Zyklus abgeschlossen mit der Sinfonia Concertante KV 364, dem Concertone für zwei Violinen in C-Dur und dem Rondo C-Dur KV 373.«

Schon klar, exaktes Musikfeuilleton geht wahrscheinlich nur als sprichwörtliches Köchelverzeichnis. Nur: Für alle Herrenreiter, die jetzt nicht einfach mal ins Online-Archiv klicken, gibt’s an dieser klammerträchtigen Stelle ja eigentlich nur zwei Möglichkeiten:

Entweder sie tragen jetzt im Ärmelschoner die gesammelten letzten vier FAZ-Jahrgänge ins Landschaftszimmer. Oder aber sie haben die Karriere von Julia Fischer sowieso schon privat abgeheftet. Und gleichen allenfalls noch mal ab, ob Jürgen Kesting auch ordentlich ›verklammert‹ – sonst Leserbrief, Kategorie 4, spätestens beim nächsten Relaunch.

Doch nichts gegen die Klammer als solche! Ein herrliches Dingsymbol für den jeweiligen Feuilleton-Thread, den es bis hierher schon zu verfolgen gab. Einsteigen (zu was auch immer) kann man (wann auch) immer. Das Feuilleton bleibt, das Feuilleton wartet.


FAS kürt Helden der Arbeit

Konstanz, 9. Februar 2009, 16:02 | von Marcuccio

Und das sind sie:

    Der »Festivaldirektorsdarsteller«

  • (Claudius Seidl über Dieter Kosslick, S. 29)
    Der »Blech-Borromini«

  • (Peter Richter über Chris Bangle, den neuen
    Ex-Chefdesigner von BMW, S. 30, vgl. hier)
    Der (»von den ahnungslosen Mainstream-Medien« als solcher
    anerkannte)
    »inoffizielle Bloggerpressesprecher«

  • (Harald Staun über Sascha Lobo, S. 31)


Volker Hages Kehlmann-Artikel vor Gericht

Konstanz, 6. Februar 2009, 17:27 | von Marcuccio

Literaturkritiker kennen sich aus im Gerichtssaal: Sie sind Ankläger und Anwälte der Literatur, fällen Urteile und gelten schon mal als »Dorfrichter Adam der Literaturszene« (Jochen Hörisch über MRR).

Aber wie gut kennen sich Gerichte eigentlich in der Literaturkritik aus? Danach fragt dieser Tage komischerweise keiner. Der Rowohlt-Verlag verklagt den »Spiegel« wegen Missachtung der Sperrfrist bezüglich des neuen Kehlmann-Buchs – eine Vertraulichkeits­erklärung hatte alle Empfänger eines Vorabexemplars verpflichtet, keine Besprechung vor dem 16. Januar zu veröffentlichen.

Die Feuilletons berichteten, am scharf­sinnigsten vielleicht die »Welt«, die feststellte, dass der Streitwert sicher nicht der vollen Konventionalstrafe (250.000 Euro) entspricht, »weil sich die verhohlene ›Ruhm‹-Rezension als Porträt tarnt. Insofern wird das Gericht sich auch zur Trennschärfe zwischen journalistischen Genres äußern müssen«.

Wohl wahr. Hochrichterlich verhandelt werden wird und muss also, zu welchen Teilen Volker Hage mit seinem Artikel eine Rezension und zu welchen Teilen er ein Porträt verfasst hat. Damit hat das Gericht etwas zu klären, was nicht mal innerhalb der Literatur­berichterstattung selbst klar ist, denn die Grenzen zwischen Personality und echter Kritik sind ja seit Jahren eigentlich an vielen Stellen fließend. Auch eine spezifische Genre-Theorie der Literatur­berichterstattung existiert bislang nicht, es gibt so gut wie keine Fachliteratur zum Thema.

Das Pikante an der Sache: Ausgerechnet (der symbolisch angeklagte) Volker Hage könnte vom Gericht nun als Sachver­ständiger, als Gutachter seiner selbst herangezogen werden. Für den August ist bei Suhrkamp nämlich sein Kompendium über »das breite Spektrum journalistischer Beschäftigung mit Literatur« angekündigt.

Und egal wie das Urteil ausfällt, die schriftliche Urteils­begründung wird ein prima Plädoyer für Hages Buch über Literatur­journalismus sein – die »Tätigkeit, die sich keineswegs nur auf das Rezensieren von Büchern beschränkt, sondern zugleich Textformen wie Porträt, Interview, Glosse, Leitartikel, Debatten­beiträge oder Nachrufe umfaßt. Ein solcher Leitfaden – nicht zuletzt für Studenten und Journalistenschüler – hat bisher gefehlt.« (Kurzbeschreibung)

Wenn sich das Gericht zur Prüfung der täterlichen Genre-Tatsachen jetzt nicht sofort ein Vorabexemplar kommen lässt, dann weiß ich auch nicht.

Und was ist eigentlich mit der FAS? Immerhin erschien der große Kehlmann-Report (in der Nr. 2/2009 vom 11. Januar) ja auch vor dem Erstverkaufstag 16. 1. – was die Frage aufwirft, ob hier entweder eigene Sperrfristen galten oder ob es mit der Institution Erstverkaufstag sowieso nicht so weit her ist, wie Rowohlt behauptet. Das Thema Sperrfrist brodelt also weiter – siehe auch den PT-Essay von Ekkehard Knörer.