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Denis Schleck

Konstanz, 10. April 2011, 17:47 | von Marcuccio

Vorsommer statt Nachsommer (Stifter), und endlich wieder Feuilleton im Freien! Außerdem, zumindest in Süddeutschland, sogar schon Erntezeit fürs Bärlauch-Pesto. Oder lieber erst mal ein Waldmeister-Eis?

»Zum Glück besitze ich eine Eismaschine«, sagt Denis Scheck, gestern in der taz. Und löst auch gleich ein, was er letzten Herbst in der FAS eingefordert hat:

»Wir brauchen mehr Kritik, nicht nur in der Literatur, sondern überall. Ich wünsche mir Anzugkritik, Wurstkritik, Autokritik […].« (FAS vom 26. September 2010, S. 57)

Jetzt also: Die Eissortenkritik

»Waldmeister war als Kind meine Lieblingseissorte«, erzählt uns der Ed von Schleck des Feuilletons und verweist aufs Waldmeister-Standing im Eissortenkanon alt:

»Ich würde sogar sagen, in den sechziger, siebziger Jahren nahm es nach Vanille, Schokolade und Erdbeere den vierten Platz ein. Als Waldmeister-Fan war man damals weniger einsam denn als FDP-Wähler.«

Die Frischdroge Waldmeister im Eis: Sozusagen der deutsche Gastarbeiterbeitrag zur italienischen Erfindung – oder mit Waldmeister-Fürsprech Scheck: »die einzige traditionelle Sorte, die hierzulande erfunden wurde«. Mittlerweile ist sie ja fast ausgestorben:

»Irgendwann kam raus, dass im Waldmeistereis Cumarin enthalten ist. (…) Schlimm, schlimm. Ich glaube, man hätte hundert Kugeln essen müssen, um davon leberkrank zu werden.«

Nichtsdestotrotz: »Anfang der Achtziger wurde Waldmeister als Zusatz im gewerblichen Lebensmittelhandel verboten.« Und damit wären wir wieder bei Schecks Eismaschine:

»Statt Vanille nehme ich einfach Waldmeister und jage das durch mein Gerät. Das Kraut selbst ist ja nicht verboten. Ganz quirlig sieht das aus, wie kleiner Farn und wächst unter Buchen und Eichen.«

Waldmeister. Waldmeister. Das macht einen ganz kirre im Kopf, das Wort. Klingt so wunderbar wie Waldteufel und Waldmüller. Klingt außerdem nach selbst gewittert, eigenhändig gepflückt. Scheck (er muss ja Bücher lesen) hat für sowas natürlich einen »Kräuterhändler«, aber immerhin ein eigenes Maibowlenrezept:

»Schmeckt auch wunderbar, wenn Sie daraus Halbgefrorenes fabrizieren.«

Und das ist das wirklich Sympathische: Dass Scheck an dieser Stelle nicht »Semifreddo« sagt. Zeitschriften wie »Landlust« sollen ja schließlich auch noch ein paar Distinktionsvokabeln zur Hand haben, wenn es demnächst heißt: Waldmeister ist der neue Bärlauch.
 


Die Segantiniwolke —
Mit Werner Spies, Niklas Maak, Rafael Horzon und Hermann Hesse in der Fondation Beyeler

Basel, 10. März 2011, 12:44 | von Marcuccio

Ein Praktikum in Riehen bei Basel, das wär’s. Dort den Telefonisten machen, nur um den ganzen Tag so schön ›Fondation Beyeler‹ zu sagen, wie es jetzt im Tram Nr. 6 zu hören ist. Nächste Haltestelle: Fohdasjo Bejeler.

Was ein Ansturm! Rentner, Japaner, alleinerziehende Mütter, sie alle wollen »seine Berge« sehen, um mal ein bekanntes Segantini-Wort aufzugreifen (»voglio vedere le mie montagne«).

Segantini, der große Alpenmaler. War Segantini früher »peinlich« (NZZ am Sonntag), ist er heute Divisionismus-Avantgarde, wenn nicht gar »der van Gogh der Hochalpen« (Werner Spies in der FAS). Auch deswegen versteht sich die Ausstellung als eine Art kunsthistorische Reha-Maßnahme. Rehabilitierung, weil Segantini um 1900 schon mal europaweit gefeiert, danach aber einige Jahrzehnte in der Heimat- und Kitschecke verschwunden war. Soweit das Storytelling der Fondation Beyeler.

Die Vorher-Nachher-Show

Und das Feuilleton feiert mit, die besten Sätze zur *Segantini-Wert­schätzung alt* gab’s von Niklas Maak:

»Ganz böse Kommentatoren behaupteten, Segantini sei Kunst für Russen, die sich in St. Moritz das Bein gebrochen haben und deswegen nicht auf die Piste können – in Sankt Moritz gibt es ein Segantini-Museum, und vor diesem kleinen Museum sieht man tatsächlich öfter einmal die Ferraris und Maseratis und anderen Höllengefährte der russischen und anderen Wintersportgäste parken.«

Von Boris-Becker-Hochzeiten in diesem Museum ganz zu schweigen. Aber eben: Schluss mit bloßer Segantini-Deko! Her mit den Kunst­verständigen. Noch einmal Maak:

»Segantinis Kunst ist, wenn man genau hinschaut, wie eine Fahrt im Bugatti: Die Landschaften beginnen zu flimmern, die Formen lösen sich pointillistisch auf und werden gleichzeitig surreal klar – es ist, als ob klare Bergluft durch die Seitenscheiben dieser Bilder ströme.«

Und apropos Seitenscheibe. Rafael Horzon macht an einer Stelle seines »WEISSEN BUCHS« ja diese Autotour: »Unser Ziel: Basel.« (S. 132f.) »Gerührt«, hehe, summt er unterwegs die letzten beiden Drittel dieses Lieds von der Wolke – die weiße Wolke ist die »Segantiniwolke« aus Hermann Hesses »Peter Camenzind«:

Wie eine weiße Wolke
Am hohen Himmel steht,
So weiß und schön und ferne
Bist du, Elisabeth.

Die Wolke geht und wandert,
Kaum hast du ihrer acht,
Und doch durch deine Träume
Geht sie in dunkler Nacht.

Geht und erglänzt so silbern,
Daß fortan ohne Rast
Du nach der weißen Wolke
Ein süßes Heimweh hast.

Voraus geht die Szene, in der sich Camenzind an Elisabeths Besuch in der Basler Kunsthalle erinnert (heute würde es die Fondation Beyeler sein):

»Sie sah mich nicht. Ich saß ausruhend beiseite und blätterte im Katalog. Sie stand in meiner Nähe vor einem großen Segantini und war ganz in das Bild versunken. Es stellte ein paar auf mageren Matten arbeitende Bauernmädchen dar, hinten die zackig jähen Berge, etwa an die Stockhorngruppe erinnernd, und darüber in einem kühlen, lichten Himmel eine unsäglich genial gemalte, elfenbeinfarbene Wolke. Sie frappierte auf den ersten Blick durch ihre seltsam geknäuelte, ineinandergedrehte Masse; man sah, sie war eben erst vom Winde geballt und geknetet und schickte sich nun an zu steigen und langsam fortzufliegen.«

Sie schaut sich also dieses Segantini-Bild mit der besonderen Wolke an. Und Camenzind schaut ihr dabei zu:

»Offenbar verstand Elisabeth diese Wolke, denn sie war ganz dem Anschauen hingegeben. (…) Ich saß still daneben, betrachtete die schöne Segantiniwolke und das schöne, von ihr entzückte Mädchen. Dann fürchtete ich, sie möchte sich umwenden, mich sehen und anreden und ihre Schönheit wieder verlieren, und ich verließ den Saal schnell und leise.«

Auch wir versuchten uns in Saal 9 eine Weile im Segantiniwolken­verstehen (siehe auch NZZ von 2004), bevor wir dann irgendwann, genau wie Camenzind, »schnell und leise« das Segantiniwolken­kuckucksheim verließen.
 


I wie Infografik

Konstanz, 2. März 2011, 13:14 | von Marcuccio

Und gleich weiter mit dem Feu-Abecedarium, »I wie Infografik«, nach­zulesen drüben in der »Welt«. Es geht also um das Visualisieren von Fakten, Fakten, Fakten, das mutmaßliche genaue Gegenteil von Feuilleton. Wer die Erzählhoheit ans Layout und an die Grafik abgibt, wird sowieso keine Geschichten erzählen wollen. Auf den ersten Blick scheint das Kulturressort bis heute der letzte infografikfreie Raum der Zeitung verblieben zu sein.

Schaut man genauer hin, dann haben sich aber ein paar feuilletonis­tische Infografik-Standards etabliert. Die »Zeit« zum Beispiel liefert dahingehend ganze kulturgeschichtliche Essays: Wenn so eine Deutschlandkarte des »ZEITmagazins« etwa erklärt, warum die Namen italienischer Eisdielen die Republik auch 20 Jahre nach der Wiederver­einigung noch teilen, weil die Eiscafés im Westen bis heute gern »Cortina« oder »Dolomiti« heißen, im Osten aber fast nur »Venezia«, dann ersetzt das ganze Gastarbeiter-Sagas.

Na ja, usw. Ich hab übrigens grad gehört, dass hier morgen eine neue Folge unseres Regionalzeitungsdramas erscheinen soll, endlich.
 


B wie Bunga Bunga

Konstanz, 1. März 2011, 11:26 | von Marcuccio

Zum Thema Bunga Bunga ist ja eigentlich schon viel zu viel gesagt worden, aber es klingt einfach so schön: Bunga! Bunga! Und als es hier im November berühmte Doppelrufe der Kulturgeschichte zu lesen gab, haben wir BB außerdem vergessen.

Deshalb also jetzt »B wie Bunga Bunga« im Feuilleton-Abbeccedario drüben in der »Welt«. Dort geht es um die ›Velina‹ als größten kulturellen Kollateralschaden der Ära Berlusconi, außerdem aber auch um Mussolini als Feuilletonist der Zwanzigerjahre, der so stattliche Worte wie »gleisnerisch« aktiv benutzt hat und aus irgendwelchen Gründen im Lifestyle-Magazin »Der Querschnitt« schreiben durfte. Es gibt dann dort sogar auch eine Pointe, anders als jetzt hier, bin in Eile.
 


Hilde Domin

Konstanz, 26. Februar 2011, 08:35 | von Marcuccio

Komisch, aber irgendwie erst mit ihrem Tod wusste ich so richtig, dass es Hilde Domin gab. Und schuld ist Volker Weidermann: Kein Deutsch­lehrer, kein Germanistikstudium mit Leseliste hat mir Hilde Domin je nahegebracht. Das hat erst dieser Feuilletonaufmacher geschafft, vor genau fünf Jahren:

Mein letzter Besuch bei Hilde Domin. In: FAS, 26. Februar 2006. (FAZ-Archiv)

Ein Porträt eigentlich, wohl als Kapitel für die »Lichtjahre« geplant, und dann eben ein unfreiwilliger Nekrolog geworden. Eine letzte Begeg­nung, elegisch und weidermannsüffig erzählt:

»Hilde Domin ist fast hundert Jahre alt und sehr klein und schmal und fein«.

Das wird mit einem Foto noch überillustriert – es zeigt eine weiß­haarige, hochbetagte Frau –, und man kommt aus dem Sog des beschriebenen Kaffeekränzchens gar nicht wieder raus. Es gibt Obstkuchen und eine kleine Verstimmung zum Auftakt: »Zu-spät-Kommen paßt ihr nicht, das merkt man gleich.«

Und dann die ganze Lebensgeschichte, bis hin zu den für mich damals noch nicht offenen Geheimnissen ihrer Biografie. Dass sie Domin heißt, seit sie 1951 im Exil in Santo Domingo zu dichten begonnen hat etc. Nach dem FAS-Artikel mochte ich sogar diesen Film von Anna Ditges, von dem ich weiß, dass ihn manche wegen seiner, nun ja: Kindergartenfragen nicht so sehr schätzen.

Und dann die Hilde-Domin-Biografie von Marion Tauschwitz. Sehr schön zu lesen, wie Hildes »Tanzstundenfreund Hans Mayer« anscheinend ein Ass beim Foxtrott war.

Und dann Trujillo, ausgerechnet Trujillo, dieser komplett rassen­wahnige Diktator der Dominikanischen Republik, nimmt einige Juden, und so also auch Hilde und ihren Mann Erwin Walter Palm, als Exilanten auf. Weil er sein Volk aufweißen wollte! Man liest auch vom sogenannten Petersilien-Test, den Trujillo an der Grenze zum französischsprachigen Haiti, nun ja, veranstaltete:

»Um die schwarzhäutigen Wirtschaftsflüchtlinge aus Haiti von der helleren dominikanischen Bevölkerung zu selektieren, hatte der Diktator einen perfiden ›Sprachtest‹ anordnen lassen. Das gerollte ›R‹ im spanischen Wort für Petersilie, ›perejil‹, konnte von der französischsprachigen, dunkelhäutigen Bevölkerung nur als ›L‹ gesprochen werden. Wer also das Wort nicht spanisch artikulierte, wurde umgehend mit der Machete ermordet.« (S. 140)

Kurzum: Man nimmt weit mehr mit als die Biografie einer Exilantin, man reist durch ein ganzes skurriles Jahrhundert und mehrere Kontinente. Faszinierend bleibt die Geburt der Dichterin Hilde Domin aus der Brief-Korrespondenz mit ihrem Mann. Egal wo sie waren, machte er ja auf sympathisch solipsistische Weise sein Ding (Ausgrabungen oder Alt­philologie), während sie in erste Linie seine Sekretärin war, ihn dann aber plötzlich sozusagen mit der Poesie, die er nie draufhatte, überholte.

Und dann liest man sicher auch noch mal in ihren »Gesammelten autobiografischen Schriften« weiter. Und natürlich in ihren Gedichten, die irgendein Kritiker mal als »einfach, aber nicht einfältig« bezeichnet hat:

Ich habe niemand ins Licht gezwängt
nur Worte
Worte drehen nicht den Kopf
sie stehen auf
sofort
und gehn

 


Listen-Archäologie (Teil 7):
Der Medienkonsum des Norbert Bisky

Konstanz, 18. Februar 2011, 18:04 | von Marcuccio

Im DRadio-Programmheft für Februar 2011 gibt es auf der vorletzten Seite (S. 91) ein Kurzinterview mit Norbert Bisky. Letzte Frage: »Welche Medien nutzen Sie sonst noch?« – Antwort:

»NPR Berlin,
Artforum,
Flash Art,
Texte zur Kunst,
nytimes.com,
bild.de,
spiegel online,
Monopol,
Die Zeit,
art,
stern,
Kunstforum International,
QVC,
El País,
L’Officiel Hommes,
taz und FAZ
und im Moment gerade ganz viel Herta Müller und Pasolini.«

(in dieser Reihenfolge, Zeilenumbrüche stammen von mir)
 


P wie Playmobil

Konstanz, 16. Februar 2011, 21:44 | von Marcuccio

Spätestens seit Harald Schmidt ist Playmobil feuilletontauglich. Be­sonders das Nachspielen der »Burgunderszene« ist im Gedächtnis geblieben: Ernst Jünger, »der schrullige Poet« (Schmidt), am 27. Mai 1944 auf dem Dach des Pariser Hotels ›Raphael‹, alliierter Luftangriff, Erdbeeren, die im Burgunderglas schwimmen.

Am Tagebuchtag gab es aber gar keinen Luftangriff auf Paris usw., das war dann Anlass für die Neudeutung der Szene durch den groooßen Ernst-Jünger-Forscher Tobias Wimbauer (siehe unser Interview).

Schmidt hatte die Passage aus den »Strahlungen« schon zu Sat.1-Zeiten mal vorgelesen (kann mich selbst nicht dran erinnern, aber Helmut Krausser erwähnt es in seinem Tagebucheintrag vom 26. Januar 2001). Ein paar Jahre später, nach Schmidts Wechsel zur ARD, gab es die Szene dann aus gegebenem Anlass mit Ernst Jünger als Playmobilfigur (»Playmobil-Werkstatt. Deutsche Literatur I« bei YouTube, ab Minute 3:10).

Darum und generell um das Runterbrechen schwieriger Sachverhalte auf Playmobil-Level geht es in der zuletzt erschienen Folge des Feuilleton-ABCs drüben in der »Welt«.

Dort erwähne ich ja übrigens auch einen Artikel aus der »Frankfurter Zeitung« vom 7. September 1930. Und wie schön wäre es, wenn die FZ komplett online wäre, alle Jahrgänge ab 1856, dann würde ich sofort drei Jahre Urlaub nehmen, um ein bisschen darin rumzuklicken.
 


Das »Stuttgart 21« des 19. Jahrhunderts?
Baumschützer gegen Bahn —
Eine kleine Kulturgeschichte

Konstanz, 12. Februar 2011, 08:02 | von Marcuccio

Das beste Argument gegen »Stuttgart 21«? Ein Baum, sagen die Schlossgarten-Beschützer von Stuttgart. Und deswegen ja auch gestern wieder, wie jeden Freitag, Baum-Qi-Gong! Heute Abend dann übrigens Premiere des ersten S21-Theaterstücks: »Antigone 21«.

Das untrüglich Bildungsbürgerliche von Anti-S21 ist die andauernde kulturhistorische Selbstveredlung, ebenso wie die schamlose Beschlag­wortung der eigenen Protest-Aktivitäten. Das Vokabular reicht vom »Platz des himmlischen Friedens« bis zur »Klagemauer«, von der »Montagsdemo« bis zum Transparent »Von Tunis lernen«.

Keine Frage: Wutbürger sind vor allem Bildungsbürger, und sie haben verstanden, dass man die richtigen Keywords liefern muss, um die eigenen Belange kultur- und zeitgeschichtlich aufzuwerten.

Serpentara statt »Stuttgart 21«

Wenn’s aber wirklich bildungsbürgerlich zugehen soll, könnte man auch mal an die eisenbahnhistorischen Vorläufer von S21 erinnern. Baum­schützer gegen Bahnprojekt, das hat deutsche Tradition. Wer wissen will wo, sollte mal nach Olevano Romano fahren, »das kaputte Berg­nest« (Rolf Dieter Brinkmann, hehe) bei Rom. Gerade im Vorfrühling kann es dort schon sehr schön mild sein. Und wahrscheinlich genau deswegen hat die deutschrömische Künstlerkolonie früh Gefallen an dem Ort gefunden.

Besonders ein immergrünes Eichenwäldchen namens La Serpentara, zu deutsch Schlangenhain, hatte es den Landschaftsmalern der Romantik angetan. Ihre ästhetische Landnahme ging sogar so weit, dass sie sich dieses beliebte Motiv nicht abholzen lassen wollten, denn eigentlich stand dieses Eichenwäldchen kurz vor der Rodung: Aus dem Holz sollten Gleisschwellen für die Italienische Eisenbahn enstehen.

Edmund Kanoldt setzte sich 1873 erfolgreich an die Spitze der Bewegung gegen Serpentara 21. Die Abholzung konnte nicht nur verhindert, sondern das Waldstück durch Spenden der deutschen Künstlerschaft sogar gekauft werden. (Die Villa Massimo dankt es bis heute mit dem Villa-Serpentara-Stipendium.) Lebendiger Beleg für den Erfolg der Rettungsaktion ist eine Kanoldt-Zeichnung, die die Kunst­halle Karlsruhe erst letztes Jahr frisch erworben hat. Sie zeigt das Waldstück in einer mehr als geschickten Komposition:

Edmund Kanoldt: La Serpentara di Olevano, 1873

»Die Lenkung des Blicks auf die gerettete Serpentara wird durch eine Eintönigkeit in der Wiedergabe des Berghangs gegeben, wo Kanoldt in ruhigen Parallellinien die Modulierung des Geländes als lichtüberflutete Fläche darstellt – ein Hinweis auf landschaftliche Ödnis, die aus der Abholzung des Waldes resultieren würde?«

… fragt Regine Hess im Katalog der Karlsruher Ausstellung »Viaggio in Italia« (S. 248). Und noch ein Beweis, warum sich Katalogkäufe lohnen: Angeblich wurde die Kanoldt-Zeichnung für Max Jordan angefertigt, den damaligen Direktor der Berliner Nationalgalerie. Ob der in seinen Leipziger Italien-Vorlesungen noch zu letzten Spenden aufgerufen hat?

Irgendwann hat er »La Serpentara di Olevano« wahrscheinlich einfach mal grinsend auf den Overhead-Projektor gelegt, die Wald-Trophäe mit der triumphalen Bildinschrift: »Eigenthum der deutschen Künstler« steht da tatsächlich reingeschrieben, und wie zum Beweis sieht man ein kleines Männchen (mit Malerhut und Zeichenmappe?) auf dem Weg zum nächsten Motiv.

Alle Macht geht vom Künstlervolke aus, würden jetzt wohl auch die Parkschützer von Stuttgart skandieren. Und wenn der Stuttgarter Bauzaun (vulgo Klagemauer) soeben als »soziale Skulptur« ins baden-württembergische Haus der Geschichte aufgenommen wurde, dann ist der gerettete Eichen(!!!)hain von Serpentara ja wohl allemal ein Beuys-Ding. Nur eben knapp hundert Jahre avant la lettre.

(Bild: zeno.org)
 


N wie Nachruf

Konstanz, 8. Februar 2011, 23:19 | von Marcuccio

Jeder hat irgendwie schon mal die Geschichte vom Nachrufschreiber gehört, der beim Erscheinen des Nachrufs selbst schon tot war: »By the time Gerald Ford died in December 2006, his obituary writer had been dead for 11 months.« (slate.com)

Um diese Art der journalistischen Vorratsdatenspeicherung und um ein paar andere memorialkulturelle Aspekte geht es in der neuen Folge des Feuilleton-ABCs, »N wie Nachruf«, drüben in der »Welt«.
 


S wie Salonkultur

Konstanz, 24. Januar 2011, 21:49 | von Marcuccio

Hilde Domin war mal so gefesselt von ihrer Tucholsky-Lektüre, dass sie sich unter der Trockenhaube fast den Kopf verbrannt hat. Das erzählt sie in dem Dokumentarfilm »Ich will dich« von Anna Ditges (2007), wo sie dann in einer wunderbaren Szene als nunmehr alte Dame in einem Salon sitzt, wieder unter der Trockenhaube, und das FAZ-Feuilleton studiert. Neben ihr ein Biene-Maja-Aufkleber auf dem Frisierwagen.

Davon unter anderem handelt also die nächste Folge des feuilletonis­tischen Abécédaires: »S wie Salonkultur«, drüben in der »Welt«.