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Vossianische Antonomasie (Teil 11)

Konstanz, 2. Juni 2010, 12:39 | von Marcuccio

 

  1. der Helmut Kohl des Internet
  2. die Worcestersauce der deutschen Politik
  3. der Bismarck der Juden
  4. die documenta des sakralen Theaters
  5. die Tuberkulose des Digitalzeitalters

 


Frühstücksrituale

Konstanz, 24. Mai 2010, 22:29 | von Marcuccio

»Darf man als Frau verlangen, die Tageszeitung beim Frühstück vor dem männlichen Partner zu lesen?« Das fragt allen Ernstes neulich eine Leserin in der »Weltwoche« (Nr. 18/2010). Und Kurt W. Zimmermann geht für seine Antwort den historisch-diplomatischen Weg:

»Aus Männersicht ist schon mal positiv, dass frau die Frage überhaupt stellt. Hier schwingt das kollektive historische Bewusstsein nach, dass Zeitungslesen bis Ende des 19. Jahr­hunderts Männersache war.« (Der Zeitungsphilister grüßt!)

Witzig anachronistisch an dem Frage-Antwort-Spiel ist, dass erst gar keiner der Beteiligten erwähnt, dass moderne Zeitungen heute in der Regel aus mehreren, ressortspezifischen Lagen bestehen – »Büchern«, die man durchaus gleichzeitig lesen und sich also auch teilen kann. Man kennt das ja aus den Rama-Frühstücksfamilien: Vater Politik, Sohn Sport, Tochter Lokales, Mutter Kultur. Oder so ähnlich.

Bei der »Frankfurter Rundschau« geht das natürlich nicht, da gibt es diese getrennten Lagen nicht mehr, seit sie vor jetzt genau 3 Jahren auf Tabloid-Format umgestellt wurde. Die FR kann man also nur noch so zum Lesen teilen, wie sich Paco und Millek mal brüderlich den »Spiegel« geteilt haben, ritsch-ratsch, und das ist ja nicht das Schlechteste.


Nachruf auf die »Datenautobahn«

Konstanz, 20. Mai 2010, 21:05 | von Marcuccio

Der Tod der Datenautobahn, das sehe ich erst jetzt, wo ich nochmal über den Rezensionsfriedhof einer Alt-FAZ gehe, wurde am 14. April auf der Rückseite des Jauer’schen Blogger-Dossiers annonciert. Viele Umblätterer waren an dem Tag eh verwirrt, weil die Rezensionsseite der FAZ (sonst Seite 2) erst Feuilletonseite 4 war, und so konnte man den Artikel mit der Überschrift »Wellenreiten auf den Lehrplan!« schon mal übersehen.

Oliver Jungen bespricht darin die »Metapher Internet«, also das gleichnamige Buch von Matthias Bickenbach und Harun Maye. Und er spricht sehr schön von den »Katachresen« unserer Digitalkultur, also Begriffen wie »Surfen«, »Navigation« oder »Netz«, die gar nicht mehr als Metaphern wahrgenommen werden:

»Erstaunlich ist, wie resolut die Auffassung des Internet der bereits in der Antike geprägten Verbindung von Wassermetaphorik und Informationsverarbeitung folgt. Schon die Kybernetik greift ja in ihrem Namen den Steuermann auf, und auch sonst hat sich das Begriffsfeld des ›Datenmeeres‹ und der ›Informationsflut‹ weitgehend durchgesetzt. Dagegen scheiterte der in den neunziger Jahren kurzzeitig populäre Begriff der ›Datenautobahn‹: Die darin enthaltene Zielorientierung scheint dem totalen Möglichkeitsraum Internet nicht angemessen, auch wenn sie über das Fließen des Verkehrs immer noch an das Bildfeld des Liquiden anschließbar ist.«

Genau mit solchen kleinen Nebenauskünften macht Feuilleton im Grunde immer den größten Spaß. Und es stimmt wirklich: Ein kurzer Klick zum Beispiel ins »Spiegel«-Archiv zeigt die Frequenz, mit der das Schlagwort »Datenautobahn(en)« in den einzelnen Jahrgängen vorkam:

Vorkommen der Datenautobahn(en) im SPIEGEL, 1991–2010

1995 der absolute Peak, um 2000 noch mal ein kleines Comeback, dann nach dem Platzen der Dotcom-Blase praktisch over and out. Erstgebrauch des Wortes war übrigens 1993 in einem »Spiegel«-Gespräch mit Bill Gates. Überschrift: »Wir bauen die Datenautobahn«.


Diagramm erstellt mit Create A Graph.
Datenerhebung über http://www.spiegel.de/suche/.


»Der menschgewordene Vatertag«

Konstanz, 16. Mai 2010, 20:36 | von Marcuccio

FAS, Medienseite

In der FAS von heute: Schöne Replik auf Claudius Seidls Reportage-Polemik vom vergangenen Sonntag. Stephan Lebert meldet sich zu Wort, und man mag sich gut ausmalen, dass das zunächst ein journalistisch formulierter Brief war, den »der strenge Feuilletonchef dieser Zeitung« (Lebert über Seidl) dann nur zu gern zum offenen Brief, sprich Gastartikel gemacht hat. Wen wundert’s, packt Lebert Seidls Schmähartikel doch bei der noblen FAS-Ehre:

»Diese schlechte Laune passt so gar nicht zu dem hochgeschätzten F.A.S.-Feuilleton, wenn beispielsweise über Buch-, Theater- oder Filmpreise berichtet wird. Deshalb erlauben wir uns kurz die sicher durch und durch unsachliche Frage, ob da vielleicht ein bisschen das Til-Schweiger-Syndrom vorliegt: Man gewinnt selber nie was – und ist beleidigt?«

Eine Nebendiagnose von Leberts Verteidigung der Reportage ist »die wiedererstarkte Seite drei der ›Süddeutschen Zeitung‹«, deren Outstandingness wir ja letzthin auch im Best of Feuilleton der Jahre 2007 (auf #1) und 2009 (auf #8) gefeiert haben.

Ansonsten ist die versöhnliche Quintessenz des Artikels die, dass sich Feuilletonist (am Schreibtisch) und Reporter (draußen) am Ende doch näher sind als die Herren Seidl und Lebert zunächst vorgeben: »Forget the facts, push the story, lass weg, was die Geschichte stört. Nicht nur die ganz harten Reporter wussten das immer schon.«

In diesem Sinne unterwegs war wohl auch Stuckrad-Barre für die WamS, und zwar beim »vatertagigsten Vatertagsfest Brandenburgs«. Er erzählt eine Geschichte gescheiterter Integration, bestellt beim Bierausschank »Ein Wasser, bitte!« (»Ein was?«) und vergisst auch diese kleine, aber feine Einheit Varietätenlinguistik nicht: »›Vatertag‹, ostdeutsch ›Herrentag‹«. Schließlich besteigt er ein herrliches Örtchen namens „ToiToi-Anhöhe“ und fährt integrationsunwillig wieder heim, wo ihm in der Glotze Waldemar Hartmann begegnet: »der menschgewordene Vatertag«.

Passend zu dieser Alteritäts-Reportage müssen wir vielleicht wirklich noch aus Adornos »Herrenlaunen« zitieren:

»Einem bestimmten Gestus der Männlichkeit, sei’s der eigenen, sei’s der anderer, gebührt Mißtrauen. Er drückt (…) die stillschweigende Verschworenheit aller Männer miteinander aus. Früher nannte man das ängstlich bewundernd Herrenlaunen, heute ist es demokratisiert und wird von Filmhelden noch den letzten Bankangestellten vorgemacht.«

Schuld am Herrentag ist im Zweifel also wieder mal: die Kulturindustrie.


Herrenlaunen

Konstanz, 13. Mai 2010, 22:08 | von Marcuccio

Früher (siehe auch Florian Illies: Generation Golf) war »Dany plus Sahne«. Heute ist »Dandy plus Käse«. Grund der neuen Milchverede­lungsstufe mit dem Extra-D ist Norma. Die Supermarktkette ediert neuerdings einen dreistückigen Formaggio-Sampler (Pecorino Sardo Maturo, Asiago Pressato, Provolone Valpadana) zum Zweitausendeins-Preis von 7,49 € und bewirbt das Ganze mit dem Oscar-Wilde-Ever­green: »Ich habe einen ganz einfachen Geschmack, ich bin immer mit dem Besten zufrieden.«

Normas neue Blurb-Offensive war schon Thema einer eigenen FAS-Expertise zu den neuen Deluxe-Linien der Discounter.

Discountmäßig nur im Doppelpack gab’s den Dandy zuletzt auch bei den Kritikern. Zunächst eine Sammelrezension in der Zeitschrift für Germanistik (2/2010), und zwar Isabelle Stauffer über

1. Melanie Grundmann (Hrsg.): Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie. Köln etc.: Böhlau 2007.
2. Fernand Hörner: Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie. Bielefeld: Transcript 2008.

Und dann noch ein Dandy-Duo in der FAZ (17. April 2010):

1. Alexandra Tacke und Björn Weyand (Hg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln etc.: Böhlau 2009.
2. Ruth Sprenger: Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher. Köln etc.: Böhlau 2009.

Böhlau etabliert sich mit diesem Doppelschlag als ultimativer Dandy-Verlag. So generiert man Sammelrezensionen, die man sich endlich nicht mehr mit anderen Verlagen teilen muss.

Ich hätte da aber auch noch ein Dandy-Trio:

»Dandy – Snob – Flaneur.«

Das rosarot-violette, aber ansonsten super solide Fischer-Taschenbuch von 1985 ist via Amazon zum Dandy-Discountpreis von 60 € erhältlich, hat aber all das drin, was der FAZ-Rezensent Felix Johannes Enzian im Band »Depressive Dandys« vermisst, also keywords wie Dandytum, Ästhetizismus, Snobismus, Camp, Pop- und Postmodernität nicht einfach nur synonym verwendet.

By the way feiert »Dandy – Snob – Flaneur« mit Primärtexten von Robert Walser (»Der Verfeinerte«) bis Adorno (»Herrenlaunen«) gerade 25. Die ganze Reihe (hg. von Gerd Stein), in die das Buch gehört, ist ein Kleinod – allein schon wegen der titelgebenden »Kulturfiguren und Sozialcharaktere des 19. und 20. Jahrhunderts«:

Band 1: Bohemien – Tramp – Sponti.
Band 2: Dandy – Snob – Flaneur.
Band 3: Femme fatale – Vamp – Blaustrumpf.
Band 4: Philister – Kleinbürger – Spießer.
Band 5: Lumpenproletarier – Bonze – Held der Arbeit.

Die möchte man sofort alle kennenlernen, kaufen, lesen. Also, wo bleibt die wiederaufgelegte Familiengroßpackung bei Norma oder Thalia?


Der Zeitungsphilister von gestern als digitaler Bohèmien von heute

Konstanz, 16. April 2010, 01:01 | von Marcuccio

An der Dauerdebatte der letzten Jahre, Online vs. Print, Blogger vs. Journalisten ist ein Aspekt besonders amüsant: Wie stark neben der eigentlichen Medienschelte auch der mit dem neuen Medium verbundene Lifestyle Thema ist. Stellvertretend für diesen Zugriff vielleicht Wolfgang Büschers aparte Musterung des digitalen Bohemién (Best of Feuilleton 2009). Oder, ganz aktuell, Marcus Jauers FAZ- und nicht »Zeit«-Dossier über Blogger.

Gern vergessen wird, dass auch Zeitungsleser im semi-öffentlichen Raum einmal so neu waren die »die Leute mit den Laptops« (Jauer) heute, und sie wurden auch genauso distanziert inspiziert:

»Eine (…) besonders interessante Spezies ist der liberale Zeitungsphilister. Bevor derselbe Morgens seine Zeitung gelesen hat, ist er nur ein halber Mensch; über dem Lesen aber geht ihm ein Licht nach dem andern auf, so daß er abends beim Schoppen über alle Tagesfragen mit zu Gericht sitzen kann und nicht begreift, wie es möglich ist, anderer Meinung zu sein.«

Willkommen in den Jahren nach 1848, die liberale Revolution ist noch so jung wie die digitale heute. Pressefreiheit schien zwar einerseits schon legal und irgendwie fortschrittlich, andererseits aber auch ähnlich unbequem wie die Bloggerfreiheit heute. Und mindestens so verdächtig wie stundenlanges WLAN im St. Oberholz muss man sich die ausufernde Zeitungslektüre vorstellen:

Hasenclever: Das Lesekabinett, 1843, Ausschnitt
(J. P. Hasenclever: Das Lesekabinett (1843), Ausschnitt, Quelle: Commons)

»Eine Art von Hochschulen für das Zeitungsphilistertum sind die Casino-Lesezimmer. In feierlichster Stille, die Denkerstirne bald auf den einen bald auf den anderen Ellenbogen gestützt, sitzen sie hier und machen den Eindruck, als ob auf ihnen zunächst der schwere Beruf lastete, die Welt in ihren Fugen zu halten.«

Wer schreibt dieses ganze schöne Zeitungsleser-Bashing? Es ist der Ultramontanist August Reichensperger, den man bis heute als Außendeko des Kölner Doms besichtigen kann. Er hat ein so genanntes »Rath- und Hülfsbüchlein für Zeitungsleser« geschrieben, das in den 1860ern und ’70ern in rasch aufeinanderfolgenden Auflagen verlegt wird. Das Werk mit dem Titel »Phrasen und Schlagwörter« kommt als getarnte Handreichung für Zeitungsleser daher, ist in Wahrheit aber eine Art Kulturkampf gegen die liberale Presse mit sprachkritischen Mitteln. Polemisch vorgeführt wird, von welch miesen Journalisten-Tricks sich der empfängliche, leider allzu empfängliche Zeitungsphilister immer wieder beeindrucken lässt.

Pressefreiheit und Netzfreiheit

Reichensperger geht vor allem gegen den Strich, wie hedonistisch der Zeitungsphilister die neue Pressefreiheit genießt:

»Was er gestern gelesen hat, weiß er ohnehin meist heute schon nicht mehr; er glaubt aber jedes Mal, wenn seine Zeitungsstunde vorüber ist, wunders, was er gelernt habe, wenn nicht gar gethan habe.«

Am Ende, so Reichensperger, setze sich der Zeitungsfan noch »in den Kopf, er habe ein gutes Theil an allen Erfindungen der Neuzeit, von der Dampfmaschine an bis zum atlantischen Telegraphenkabel, und sieht mit stolzem Hochgefühle auf alle seine Nebenmenschen herab, welche solchen Anspruch nicht erheben zu können glauben.«

Das erinnert an die Web-2.0-Pauschalkritik einer Astrid Herbold oder auch Susanne Gaschke (»Die Netzanbeter«, FAS vom 19. April 2009, S. 13):

»Ein Kennzeichen der Netzbewegung ist ihr hermetisches Vokabular. Wer weiß, was Wikis und Blogs sind, Cookies, Tools, Open Source Software und soziale Netzwerke, der kann seine Zugehörigkeit zur Fortschrittspartei nachwiesen. Natürlich muss man alle diesen neuen Funktionen irgendwie nennen, aber die Begeisterung, mit der dieser Jargon benutzt wird, als ob jeder ihn verstehen müsste, dient vor allem der Abgrenzung zu Uneingeweihten.«

Ob Zeitungsphilister oder Netzanbeter – es geht also nie nur ums Medium, sondern viel mehr und vielleicht vor allem um die ganzen Begrifflichkeiten und das Gefühl drumherum. Zeitgenössisch ist solche Medienkritik notorisch schlecht gelaunt, doch medienhistorisch wird diese schlechte Laune meistens immer besser – im Idealfall sogar richtig unterhaltsam.


Listen-Archäologie (Teil 1):
Balzacs Städte-Charts

Konstanz, 9. April 2010, 14:04 | von Marcuccio

Honoré de Balzac: « Il y a pour moi (…) vingt-trois villes qui sont sacrées et que voici: »

1. Neufchâtel
2. Genève
3. Vienne
4. Pétersbourg
5. Dresde
6. Cannstadt
7. Carlsruhe
8. Strasbourg
9. Passy
10. Fontainebleau
11. Orléans
12. Bourges
13. Tours
14. Blois
15. Paris
16. Rotterdam
17. La Haye (Den Haag)
18. Anvers
19. Bruxelles
20. Baden
21. Lyon
22. Toulon
23. Naples

« je ne sais pas ce qu’elles sont pour vous, mais pour moi c’est quand l’un de ces noms vient dans ma pensée comme si un Chopin touchait une touche de piano ; le marteau réveille des sons qui vibrent dans mon âme, et il s’éveille tout un long poème … »

(Balzac: « Lettres à Madame Hanska », 12 décembre 1845).

Die Auflistung folgt der Reihenfolge der Begegnungen mit Eva Hanska – deswegen Paris, die Hauptstadt der Liebe, auch erst auf #15. Mal schauen, wann es die komplette Tour (»Balzac für Verliebte«) bei Literaturreisen.com zu buchen gibt.

(Siehe auch « Balzac et l’Europe » im feinen Monothema-Blog BALZAC (par de petites portes).)


Provinzen

Konstanz, 2. April 2010, 17:03 | von Marcuccio

Mit der Binse, dass es die ›Provinz‹, das super Thema von DUMMY Nr. 26, im Grunde gar nicht gibt, dass Provinz nur in den Köpfen usw., hält sich Oliver Gehrs zum Glück nicht lange auf. Bekommt man im Feuilleton ja jede Spielzeit serviert, wenn einer dieser Intendanten mal wieder wortreich erklärt, warum Oldenburg oder Saarbrücken jetzt doch besser ist als Hamburg oder Zürich.

Beste Story des ganzen DUMMY-Heftes ist die über eine frühere Politiker-Kneipe namens »Provinz« in Bonn: »In einem fernen Land« – allein die Bebilderung bezeugt Historisches: Schröders Hillu war die Rebecca Casati der 1980er Jahre!

Ein weiteres Highlight sind die Auszüge aus der 1916 veröffentlichten Grammatik zu einer Plansprache für die deutschen Afrika-Provinzen. Mit »Kolonial-Deutsch« wollte ein Münchner Beamter linguistisch »Fleisch von unserem Fleisch« schaffen.

Und natürlich dürfen auch die Zeitungsprovinzen nicht fehlen: Die Aufstellung der deutschen Regionalzeitungsmonopole (S. 71 sieht – trotz Art Directors aus Amsterdam – sehr nach Hamburg aus: um nicht zu sagen wie eine dieser von mir ja sehr gemochten Deutschland­karten des »Zeit«-Magazins).

Dann keine Provinz ohne Pendler! Auch wenn mein Held zu dem Thema wohl für immer Erwin Teufel im »Spiegel« bleibt: Gestalterisch 1:0 für DUMMY wegen der Idee, gerade bei dieser Geschichte (mit dem Titel: »Was auf der Strecke bleibt«) ganz viel Weißraum zu lassen.

Das Genom für Kraftfahrer druckt DUMMY auf der Doppelseite mit den Sprüchen zu den zwei- oder dreistelligen Autokennzeichen ab: SAD (Sau auf Durchreise) und dergl. Natürlich gibt’s das haufenweise im Netz (wahlweise auch von jedem tiefergelegten Beifahrer), doch das Arsenal der dumpfdoofen und doch faszinierenden Provinz-Stigmata einfach mal so zu zitieren, ist ein ganz gefälliger Coup. Und schließlich wären da noch:

Die beiden Oliver G.s aus Ostwestfalen

Was vielleicht nicht jeder weiß: Die DUMMY-Leute machen ja auch das ziemlich gelungene »Fluter«-Heft der Bundeszentrale für politische Bildung. Oliver Geyer schreibt in der aktuellen DUMMY über seine Heimatstadt Bielefeld (hier als PDF), und ich hätte schwören können, dass ich das schon mal genauso im »Fluter« gelesen hab. Es war aber Oliver Gehrs, der dort neurotisch-witzig über seine Heimatstadt Paderborn geschrieben hat. Bei der Ostwestfalen-Connection, die noch dazu redaktionelles Carsharing macht, kann man schon mal durcheinander kommen.

Und wo wir beim Thema Dummyfluter sind. Es gibt im »Fluter« diese Seite, wo über redaktionelle Ausschussware (verworfene Geschichten, alternative Themen etc.) Rechenschaft abgelegt wird. »Provinzen, die es nicht ins Heft geschafft haben« sind ja irgendwie auch die Bundes­länder bzw. ihre Ministerpräsidenten als moderne Provinzfürsten, von österreichischen Landeshauptmännern (»Pröllistan«!) ganz zu schweigen.

Da müssen wir wahrscheinlich auf eine Extra-DUMMY warten (vielleicht zum spannenden Thema »FÖDERALISMUS«, hehe). Bis dahin bleibt die aktuelle Ausgabe kein schlechter Aperitif oder auch Digestif für alle, die Ostern heimfahren – und Provinz ganz entspannt verdauen möchten.


Die Juso-Vorsitzende und das Feuilleton

Konstanz, 23. März 2010, 07:57 | von Marcuccio

Es scheint noch mehr Stuckrad-Barre-Stammtische in deutschen Zügen zu geben, nicht nur den im ICE Interlaken–Berlin. Im »ICE 5111 nach München, über Leipzig und Nürnberg«, sitzt Stuckrad-Barre himself mit Franziska Drohsel, und weil es dabei zu einer schönen Zeitungsszene kommt, müssen wir aus der »Zugfahrt mit der Juso-Vorsitzenden« hier natürlich noch unbedingt zitieren:

»Sie zieht die ›FAZ‹ aus ihrem Rucksack und sagt, dass sie sich voll blöd vorkomme, aber sie abonniere die ›FAZ‹ nun mal, obwohl die ja nun nicht gerade links sei; das sei irgendwie durch das Jura-Studium gekommen, das ›FAZ‹-Lesen, zu juristischen Themen biete diese Zeitung einfach die ausführlichste Berichterstattung. Den Politikteil lese sie, so’n bisschen die Wirtschaft – und, wenn sie viel Zeit habe, auch das Feuilleton.«

(BvSB: »Auch Deutsche unter den Opfern«, S. 97)


Stuckrad-Barre-Stammtisch im ICE

Berlin, 21. März 2010, 09:29 | von Marcuccio

Im ICE Interlaken–Berlin, irgendwo hinter Frankfurt. Mein Stuckrad-Barre liegt schon seit mindestens Mannheim auf dem Tisch, du packst deinen dazu. Hast du überhaupt nur hier Platz genommen, um jetzt auf mein Buch zu weisen und zu sagen: »Nee, oder?«

Ich begeistert. Du:

–Ja, eigentlich … war ich ja nicht mehr so auf der Stuckrad-Barre-Schiene.
–Aber der hier ist doch gut!
–Absolut! Und er sieht auch wieder aus wie dieses, das ich auch schon so mochte …
–»Deutsches Theater«.
–Genau. Spätestens nach dem Verriss in der »Stuttgarter Zeitung« wusste ich, dass ich den hier haben muss.

Nach der Fahrkartenkontrolle:

–Cem Özdemir schon durch?
–Den Kulturwahlkampf für die Grünen? Yeah! Stuckrad-Barre als Anzugträger vor einem Asia Imbiss in Kreuzberg: »Wäre ich ein Porsche, ich würde vermutlich schon brennen.«

Nach dem Toilettengang:

–Überhaupt das ganze Genre Politikerbeobachtung. Guido Westerwelle im Wahlkampf, die SPD am Wahlabend …
–Michael Naumann beim Versuch, Hamburger Bürgermeister zu werden … Stuckrad-Barre at his very best.

Übereinstimmendes Weiterlesen bis Berlin, ab und zu hörbare Zustimmung, ohne dass wir uns jetzt erzählen, an welcher Stelle und warum. Eine Idee für Platzkarten der Zukunft: Statt der Option Abteil oder Großraum, Fenster oder Gang gerne wieder die Frage: Mit welchem Buch sollen Ihre Sitznachbarn reisen?