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Voyage Voyage (Teil 4):
Die Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi

Konstanz, 16. Dezember 2009, 10:33 | von Marcuccio

Und auch heuer gab es wieder ein paar schöne Reise-Stücke. Da wäre zum Beispiel Claus Spahns Weinreise durch die Saale-Unstrut-Region (Die Zeit 42, 8. 10. 2009).

Das Highlight dieses Artikels war die unverhoffte Berührung mit einer Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi. Für Freunde der Antonomasie gab es aber erst mal einen O-Ton vom Geschäftsführer des Nietzsche-Weinguts Kloster Pforta (»Wir sind das Kloster Eberbach des Ostens«), wenig später ging es dann um das Für und Wider einer Degustation von Bernhard-Pawis-Weinen beim Winzer selbst oder eben auswärts, zum Beispiel

»auf der Terrasse des Hotels Rebschule bei Naumburg (…), mit herrlichem Blick über die Weinberge. Aber da serviert man ihn auf einer blassgelben Häkeldecke aus wetterfestem Weichgummi, wie sie einst in den Schrebergärten beliebt war.«

Peng, und das Ding ist da, das Ding hat sogar endlich einen Namen, was es bei mir bis hierher noch nie hatte. Mein bescheidenes Sprachzentrum hatte sich schlicht und ergreifend noch keinen Begriff von diesem Ding gemacht, das, meine ich, auch als Unterbau des berühmt-berüchtigten Kännchenkaffees zum Einsatz kommt. Ich glaube sogar, dass ich mich in einem unbeobachteten Augenblick schon einmal getraut habe, so ein Häkeldeckchen aus wetterfestem Weichgummi anzufassen.

Vom natürlichen Weichgummivorkommen ist es dann auch nicht mehr weit bis zum Gustav Seibt für Weinverkoster:

»Die Gastronomie will nicht davon lassen, (…) die Käseplatte zum Wein mit frisch aus der Folie gepelltem Schmelzkäse zu bestücken.«

Die Besichtigung der von Neo Rauch gestalteten Domfenster (»Soviel Pathos spült man am besten mit einem extra säurebetonten Riesling hinunter«) endet dann auf dem Naumburger Weinfest:

»Ein verliebtes Paar teilt sich einen Rotkäppchen-Piccolo. Die Rentnerpaare sitzen sich nicht gegenüber, sondern nebeneinander und starren schweigend in die Probiergläser.«

Sideways an der Saale-Unstrut. Zum Wohl!


Deutschlands erster Supermarkt-Roman

Konstanz, 1. Dezember 2009, 01:35 | von Marcuccio

Vier Äpfel (Cover)Der Kaufland-Tip mit seiner 19-Millionen-Auflage kann doch nicht alles sein, was wir über Super­märkte zu lesen bekommen. Mag sich David Wagner gedacht haben und legt »Vier Äpfel« vor – Deutschlands ersten Super­markt-Roman.

Der Plot ist schnell erzählt: David Wagner kauft sich keine nachtblaue Hose, wiegt aber vier Äpfel ab. Die bringen exakt 1000 Gramm auf die Kundenwaage – und den Gedan­ken: »Vielleicht ist heute ein besonderer Tag.« Nach 77 Seiten stellt sich heraus:

»Wahrscheinlich ist heute doch kein besonderer Tag, denn daß vier Supermarktäpfel zusammen genau tausend Gramm wie­gen, kommt bestimmt gar nicht so selten vor. Äpfel werden sicher auf dieses Gewicht hin gezüchtet und nach der Ernte entsprechend sortiert (…).«

Nach 157 Seiten ist das Buch zu Ende – doch es werden natürlich nicht nur vier Äpfel gewogen. Im Gegenteil.

»Manchmal kommt es mir so vor, als könnte ich mich ans Jagen erinnern, einen Speer in der Hand, unterwegs in der Savanne. Eine Million Jahre Jagen und Sammeln, achttausend Jahre Landwirt­schaft, neunzig Jahre Supermarkt. Kein Wunder, dass ich verwirrt bin, es ging doch alles ziemlich schnell.«

Genau so, möchte ich mal sagen, haben wir uns das mit dem Verbraucher-Feuilleton immer vorgestellt! Wer David Wagners Buch gelesen hat, wird Supermärkte neu entdecken, anders betreten, besser lieben und besser hassen. Ein Roman für …

1. Archäologen   – Die Liste der verschwundenen Supermarkt-Dinge
2. Archivisten   – Mit Liebeskummer in den Laden
3. Biografen   – Generation Granny Smith
4. Ethnologen   – Sex and the Supermarket
5. Galeristen   – Action Painting, Art Basel, documenta
6. Germanisten   – Wie heißt der Hund von Effi Briest?
7. Kunsthistoriker   – Supermarktpointillismus
8. Politologen   – Der Supermarkt als Apartheids-Regime
9. Psychologen   – Das Kunden-Trennholz
10. Romantiker   – Zum Milchschäumer-Vorführen zu mir
11. Serientäter   – Stromberg – die Supermarkt-Version
12. Soziologen   – Bourdieu auf Lebensmittelbasis
13. Systemtheoretiker   – Kein Shampoo für normales Haar
14. Theologen   – Der Supermarkt als Sündenfall

1. Der Supermarkt für Archäologen

So ein Kundenleben fängt im Einkaufswagen-Kinderklappsitz an. Und hört mit einem Rollator, der gleichzeitig Warenkorb ist, auf. Dazwischen geht in jeder Generation eine ganze Supermarkt-Kultur verschütt. David Wagner (Jg. 1971) hat mal ein paar Dinge ausgegraben, die allein schon, seit wir dabei sind, von der Bildfläche verschwunden sind:

  • der Schutzkarton, der die Zahnpastatube bis zum Paradigmenwechsel zwischen Metall- und Plastiktube umgab (98)
  • Kassenzettel ohne Produktzuordnung der Preise: »es stand ja nichts drauf, nur Zahlen, in einer langen Kolonne untereinander, es fehlte die Information, welcher Preis sich auf welches Produkt bezog« (150)
  • Preisetiketten auf den Produkten: »Am Rand stand DM, das D über dem M und links daneben, in größeren Ziffern, der Preis. (…) Der Umriß dieser Etiketten sah einer bestimmten Sorte von Verbundpflastersteinen ähnlich, die nicht selten vor den Geschäften (…) verlegt waren.« (144 f.)
  • die Etikettierpistole, »die wie eine Weltraumwaffe aussah, aber bloß kleine Preisschilder ausspuckte« (144)
  • »der lange Samstag«! (101)

2. Der Supermarkt für Archivisten

»geträumt, mit meinem Einkaufswagen gegen einen anderen Einkaufswagen zu stoßen, in dem genau die gleichen Lebensmittel liegen wie in meinem.« (13)

Liebeskummer als Lizenz für das enzyklopädische Verfahren – was Moritz Baßler mal zu Stuckrad-Barres »Soloalbum« notierte, gilt auch für den Ich-Erzähler der »Vier Äpfel«. Er kauft ein, und sie ist weg. Und doch mit jedem Griff ins Regal präsent: »dass ich noch immer das Waschpulver kaufe, das L. gekauft hat«. Oder: »meine Marken sind noch bei mir, L. ist es nicht.« (69)

L. heißt der Einfachheit halber übrigens wirklich L., also (phonetisch) elle. Vordergründig wird eine gescheiterte Beziehung besungen, hintergründig wandern lauter Dinge ins kulturelle Archiv nach dem Motto: »Zahnpastatreu bin ich nie gewesen«. Und dann folgt ein astreiner Lebenslauf, erzählt anhand von Zahnpastasorten. (99) Popliteratur lebt!

3. Der Supermarkt für Biografen

David Wagners Supermarkt-Inspektion ist DIE apokryphe Schrift zur Generation Golf! Einfach weil die »Vier Äpfel« ein paar Dinge über­liefern, die in den Illies-Evangelien schlichtweg fehlen. Zum Beispiel die Geschichte vom Apfel, der alt wurde.

Ja, Granny Smith (78 f.) war wirklich einmal so ›in‹ wie die 1980er makellos und giftgrün waren. Vielleicht auch nur als »Idee eines Apfels (…) – die Vorstellung, die ein Innenarchitekt von einem Apfel hat, der zu einer reinweißen Einrichtung passen soll«. Und deswegen war, wie David Wagner richtig notiert, Granny Smith natürlich auch die passende Apfel-Marke zu den Esprit und Benetton tragenden Neubaumädchen.

Heute, wo ein Apfel gar nicht streuobstgleich genug sein kann, wirkt der Granny Smith nur noch wie ein Schatten seiner selbst und wird denn auch in der Obsttheke »viel seltener und weniger prominent platziert«. Aber apfelkonsumgeschichtlich war er wahrscheinlich einfach eine notwendige Entwicklungsstufe: Man wollte und musste sich die Emanzipation vom Schrumpelapfel der Eltern und Großeltern leisten, da war ein gefühlter Retorten-Apfel gerade gut genug. Ob Granny Smith genauso Chancen gehabt hätte, wenn wir das mit Oma Schmidt schon damals gewusst hätten:

»Erst anderthalb Jahrzehnte später ist es mir gelungen, das Wort Granny, das ich als eine Kurzform für Großmutter kannte, auch als Bestandteil des Apfelnamens zu verstehen. All die Jahre hatte ich es einfach bloß als einen Klang wahr- und hingenommen (…).«

(Me too.)

4. Der Supermarkt für Ethnologen

Wagners Einkaufs-Ich ist Supermarkt-Single und wird es lange bleiben, denn

»tatsächlich (…) habe ich noch nie jemanden im Supermarkt kennengelernt. Ich habe Bekannte getroffen, ja vielleicht ist mir auch mal die Begleitung eines Bekannten oder der Freund einer Freundin vorgestellt worden, noch nie aber habe ich jemanden einfach so kennengelernt.« (13)

Eigentlich ist der Supermarkt ein absolut flirtfeindlicher Ort. Denn es gehört zur »Konvention des Supermarktverhaltens, (…) alle anderen zu übersehen, durch sie hindurchzublicken« (31).

Aber ein Bereich birgt dann doch so etwas wie Flirt-Potenzial, und das ist die »Kassenbrandung« (allein schon das: ein Wahnsinnswort), also da, wo das Einkaufen ins Bezahlen ausläuft und die Kundenströme in mehr oder weniger starken Wellen aus dem Laden schwappen. Wo die »Kassenloreley (…) über Wellen und Strom auf ihrem Terminalfelsen sitzt«. An ihr zerschellen männliche Kundenfantasien wie ein Ei auf einem Fels. Zumindest, wenn man den seitenlangen Bewusstseins­strom liest, mit dem Wagners Supermarkt-Held sich in eine Art Warteschlangen-Tagtraum hineinmanövriert:

»meine Lieblingskassiererin (…) lächelt mich an, obwohl ich noch gar nicht an der Reihe bin, sie hat mich erkannt. (…) Ich habe mich schon einmal gefragt, ob ich sie mit einer Auswahl besonders ausgefallener Produkte beeindrucken könnte.«

Usw. usf. Irgendwann zieht sie gefällig seine Waren über den Scanner, alles super, und er innerlich schon bei der Frage: »Will es vielleicht mein Schicksal, dass ich heute hier um ihre Hand anhalte? Könnte ich dann endlich L. vergessen?« Da bringt sie den Satz, der einem Flirtstorno gleichkommt. Sie fragt ihn, »ob ich eine Kundenkarte hätte, immer fragt sie mich nach dieser Karte und immer schüttele ich den Kopf«.

Was für ein Moment der Desillusion, bis zum nächsten Einkauf, der ihn wieder glauben macht, in einer besonderen Beziehung zu seiner Lieblingskassiererin zu stehen. So viel fruchtlosen Frauendienst hat man lange nicht gelesen in der deutschen Literatur. Man könnte auch sagen: David Wagner verlegt die Hohe Minne an die Supermarktkasse.

5. Der Supermarkt für Galeristen

»Was sich nicht bewährt, verschwindet aus den Regalen, was sich nicht verkauft, fliegt aus dem Sortiment. Der Supermarkt ist ein Museum der Dinge und Marken, die sich gehalten haben, ja, der zeitgenössischste Ausstellungsraum überhaupt.« (96)

Und von wegen nur Eat Art! In David Wagners Supermarkt ist Action Painting angesagt: »Mit dem rechten Vorderrad meines Einkaufswagens fahre ich nun absichtlich durch den Sahnefleck, ziehe eine dünne Linie auf den Supermarktboden.«

In der Sonderpostenzone lauert das documenta-Déjà-vu: Ein »Stapel weißer Kartons (…), die sich mitten im Gang auftürmen«:

»In ihnen befinden sich Tresore, einer von ihnen steht zur Ansicht. Sieht aus wie einer der kleinen Safes, die in Hotelkleiderschränken eingebaut sind, denke ich und daß ich nicht wüßte, was ich in einen Safe aus dem Supermarkt hineinlegen sollte.«

Sperrige Aktionsware, mit der man wenig anfangen kann? Im Prinzip müsste dieser Turm voller Tresore nur zum Einsturz gebracht werden, dann wäre die documenta-Imitation perfekt. Das Supermarkt-Pendant zur Art Basel kann, schon vom Prestige her, natürlich nur die Frischfischtheke sein:

»Ein ganzer, rauchblau glänzender, gar nicht kleiner Lachs liegt da neben Forellen und Doraden. Die meisten Fische kann ich nur deshalb benennen, weil neben ihnen kleine Schildchen im Eis stecken (…). Es ist also fast wie in einer Gemäldegalerie (…).« (41)

Hier wie dort mag sich die dicksten Fische geschmacklich wie finanziell nicht jeder leisten. Aber nur mal kucken kann ja auch schon schön sein.

6. Der Supermarkt für Germanisten

Ganz genau: Rollo darf hier nicht hinein! Aber es gibt an manchen Unis ja diese berüchtigten Leselisten und Leselisten-Prüfungsfragen à la: »Wie heißt bei Theodor Fontane der Hund von Effi Briest?«

»Literaturwissenschaft auf Kreuzworträtsel-Niveau« nannte das der »Spiegel« damals, und die Fangfrage für das Prüfungsthema »Vier Äpfel« wird einmal sein: »Was kauft David Wagners Ich-Erzähler eigentlich alles ein?« Es sind mitnichten nur vier Äpfel! »Zählen Sie also bitte aus dem Kopf lückenlos alle Produkte auf und bestehen Sie damit die Zwischenprüfung.«

7. Der Supermarkt für Kunsthistoriker

»L. und ich besuchten einmal ein Museum, in dem neben anderen kuriosen Dingen auch alte Konservendosen ausgestellt wurden. Die Exponate durften angefasst werden (…).« (33)

Im Grunde sind Supermärkte, was Vielfalt, Buntheit, Fülle angeht, Wunderkammern! Es begegnen einem:

  • … Parallelexistenzen von Lebensmitteln »in verschiedenen Aggregats­zuständen«: »Erbsen in Dosen und Tiefkühlerbsen und, fast vergessen, weil so unpraktisch, getrocknete Erbsen zum Einweichen vor dem Kochen«
  • … allerlei Assoziationen entlang des kulturellen Archivs: die Tiefkühltruhe als Schneewittchensarg, Spinat als Soylent Green … (17)
  • … und die absolut geniale Idee, dass es eigentlich nur eine ästhetische Form der Supermarktaneignung gibt: »Die Regale um mich herum sind ein einziges verschwommenes Farbenmehr, es bräuchte, so ein Bild könnte mir gefallen, einen Supermarktpointillisten, um sie zu malen«. (106)

Dass Wagner an dieser Stelle des Buches natürlich längst selbst der Supermarkt-Seurat ist, den er einfordert – geschenkt: 144 Kurzkapitel auf 159 Seiten werfen viele kleine Schlaglichter auf das Paradigma Supermarkt. In der Summe vielleicht wirklich so was wie ein pointillistisches Sittengemälde. Alles wird punktuell, quasi im Vorbeigehen und insofern sehr supermarktstimmig erzählt/gemalt.

8. Der Supermarkt für Politologen

Apartheid ist vielleicht das falsche Wort, aber David Wagners Super­markt-Held bekennt sich offensiv zur Warentrennung (Food vs. Non-Food), vor allem zu »den Drogerieartikeln, die ich nie im Supermarkt kaufe, weil ich sie nicht neben Wurst, Zitronen und Honig in meinem Wagen liegen haben will« (93).

Das Verbrauchervolk weiß er dabei auf seiner Seite: »Scheint so, daß es nicht nur mir so geht, viele Kunden trennen diese Einkaufssphären. Wie könnten sonst neben all den Supermärkten so viele Drogerie­märkte existieren?« (93)

9. Der Supermarkt für Psychologen

Schon wieder dieser Psychostress, bei jedem Einkauf die gleiche »beklemmende Verlegenheit«, dem Kunden, der an der Kasse hinter einem kommt, das Ding, für das so viele keinen Namen haben, vor die Waren zu legen!

»Schöner wäre es doch, wenn wir alle gemeinsam einkaufen und essen würden, ein Wunsch, bei dem es sich vermutlich um einen Höhlenatavismus handelt. Ich würde das große, zusammen erlegte Mammut lieber teilen und ein großes Festmahl feiern, statt dessen muss ich kleinlich Warentrenner legen.«

Tja, früher wären solche Typen in Woody-Allen-Filmen untergekommen. Heute werden sie von der Supermarktseelsorge direkt bedient: Bei der Schweizer Coop-Kette (Claim: Für mich und dich) haben sie die Kassen-Toblerone überhaupt nur für Therapiefälle wie ihn bedruckt. Nach der einen Seite steht ein freundliches: »Für mich.« Und nach der anderen: »Für Dich.« Diese Mischung aus Seelen-Wellness und We-are-Family-Marketing, das dürfte die Zukunft sein.

10. Der Supermarkt für Romantiker

David Wagner ist wirklich ein »Proust der Warenwelt« (Wolfgang Schneider/Börsenblatt), was die Poesie von Mangogabeln, Staubsau­gerbeuteln oder Tiefkühltorten angeht. Meine romantische Lieblings­szene aber ist und bleibt das Date mit dem »Chrommilchschäumer« aus dem Sonderpostenregal:

»Zweimal habe ich ihn überhaupt nur benutzt, das erste Mal, als er neu war, das zweite Mal, als L., die ich gerade wiedergetroffen hatte, mit zu mir kam und ich ihr imponieren wollte. Ich stand am Herd und bewegte das Sieb sehr schnell durch die warme Milch auf und ab, so produzierst du also diesen tollen weißen Schaum, sagte L. und lachte und meinte dann, für mich mußt du das nicht machen, ich mag gar keine Milch.« (100)

11. Der Supermarkt für Serientäter

»Angenommen, ich war einmal pro Woche, früher mit meiner Mutter oder Großmutter einkaufen, dann war ich es mit fünfundreißig, fast sechsundreißig schon fünfundreißig-mal-zweiundfünfzig-mal, jedenfalls war ich in meinem Leben schon viel öfter im Supermarkt als in der Kirche.« (63 f.)

Dieses Buch sensibilisiert für so manches, nicht nur für die eigene Supermarkt-Sozialisation (Höllentrip bei Feinkost Zipp als Assoziation zur Wölfin an der Kasse auf S. 149), sondern auch für sämtliche Supermarkt-Beziehungen, die man in seinem Einkaufsleben schon so hatte:

David Wagner erinnert sich »an Rewe, Edeka, Coop, Metro, Aldi, Spar, Superspar, Reichelt, Franprix, Champion, Tesco, Kaisers, Bio Company, Price Chopper, Wal-Mart, Plus, Extra und an einen in Rumänien mit dem für meine Ohren sonderbaren Namen Angst.« (33) Hätte Wagner das Ganze noch ein bisschen umfassender sortiert und kapitelweise präsentiert – Rebecca Casatis Roman über einen Fick durchs Alphabet hätte sich ein Supermarkt-Fetisch-Ableger zugesellt.

Und warum hatten wir eigentlich noch nie eine richtig gute Supermarkt-Soap? Kenne ich nur keine oder gab es auch keine? Im Übrigen bin ich mir sicher, dass ein Stromberg auch als Filialleiter zur Hochform aufgelaufen wäre (im Übrigen hätte auch seine Büro-Jalousie Platz gehabt – kein Marktleiterkabuff ohne diese Spionage-Lamellen!).

Ernie wäre wohl wechselweise für die Pfandflaschenannahme und das Zurückrangieren der Einkaufswagen (vom Parkplatz in den Laden) zuständig. Erika die altgediente »Frischfleischfachkraft« und gute Seele des ganzen Supermarkts, die vertretungsweise auch Kühlregal auffüllen und Kasse kann. Dort säße in der Hauptsache natürlich Tanja, während ihr Ulf die Getränkeabteilung (Biernachschub und so) versorgt, wo er sich so richtig gut mit Ernie zoffen kann, denn der braucht ja immer eine Vertretung an der Leergut-Annahme, wenn er wieder Einkaufswagen einsammelt.

Und Stromberg? Streut jeden Tag Gerüchte, dass der vollautomatische Pfandautomat bald kommt, die Frischfleischtheke in SB umgewandelt wird usw. usf. Kunden? Hätte ein Supermarkt mit der Stromberg-Crew eigentlich kaum noch nötig.

12. Der Supermarkt für Soziologen

»In fremde Einkaufswagen zu starren gilt als ähnlich ungehörig, wie während der Wartezeit an einer roten Ampel in den Innenraum eines in der Nebenspur stehenden Wagens zu sehen.« (135)

Allein schon für diesen Intimsphärenvergleich muss man David Wagner lieben! Zeig mir, was du in den Wagen legst und ich sag dir, wer du bist. Wo bzw. wie sonst sollten sich die feinen Unterschiede besser studieren lassen. Wer zum Beispiel kauft so was:

»Eine Halbliterflasche frischgepresster Kiwi-Orangen-Saft aus der Kühltheke, zwei Fenchelknollen, eine Tüte Biomöhren, zwei Flaschen stilles Wasser mit Orangenaroma und Naturjoghurt im Glas.« (130)

Natürlich, klischeemäßig, eine Frau. Und tendenziell sexy: »ich rieche, ich kenne es, ihr Parfüm. Ich nehme Fahrt auf und eile dem Duft der Frau hinterher.« Anderer Einkaufswagen, andere Kundin. Sie bestellt Leberwurst an der Bedientheke:

»Im Einkaufswagen der Leberwurstfrau liegen zwei Packungen Knäckebrot, Kartoffeln, Margarine und eine Salatgurke. Sieht nicht so aus, als kaufte sie für eine Familie ein. Prompt stelle ich mir vor, wie sie am Abend an ihrem Esstisch im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt und isst, wahrscheinlich gegen sieben, vielleicht auch erst um acht.

Und ich stelle mir weiter vor, wie sie ganz spät in der Nacht, sie kann nicht schlafen und weiß nicht warum, in ihre kleine Küche geht und sich noch einmal eine Scheibe Knäckebrot mit Leberwurst schmiert, die Kaloriengrenze, die sie sich für jeden Tag setzt, hat sie damit wieder weit überschritten, ihr Gewicht zu halten fällt ihr schwer.« (46 f.)

Bei Max Frisch hieß es ja auch immer: »Ich stelle mir vor«, »Ich probiere Geschichten an wie Kleider«. David Wagner überträgt das Prinzip auf die dritte Person, sein Supermarkt-Held probiert an seinen Mitkunden die Weight-Watchers-Version von »Mein Name sei Gantenbein« aus.

Und auch das ist eine soziologische Erkenntnis: Wer über den Ladenbereich hinaus an Einkaufswagenladungen dranheftet, landet ganz schnell bei den »Randgruppen, die abseits der Supermärkte und ihrer Parkplätze mit Einkaufswagen unterwegs sind« (65).

13. Der Supermarkt für Systemtheoretiker

»Während des Einkaufens entwickelte L. gern Theorien« (75)

Shampoo-Shopping bitte immer nur im Drogeriemarkt (siehe Supermarkt-Apartheid). Und da passiert es: Unter »den hundertneunundachtzig verschiedenen Pflegeprodukten« findet der Erzähler eines Tages sein Stamm-Shampoo nicht mehr (115 f.):

»Wahrscheinlich wurde die Flasche, an deren Aussehen ich mich gerade erst gewöhnt hatte, schon wieder neugestaltet und ich erkenne sie nicht mehr. Aus der Pflegelinie, die ich davor verwendet habe, verschwand eines Tages das Shampoo für normales Haar. Erst dachte ich, es wäre nur nicht da, aber als ich die Woche darauf und später noch einmal und dann auch in anderen Drogeriemärkten danach suchte, fehlte es immer. Es gab das Shampoo für normales Haar nicht mehr.«

Luhmann hat nie über den Supermarkt der Gesellschaft geschrieben, leider. Denn David Wagner gibt allen Anlass für die Frage: Sieht die funktional differenzierte Gesellschaft ein Haarwaschmittel ohne Spezialfunktion überhaupt noch vor?

»Ich hätte mich für eine der Spezifikationen entscheiden müssen, von denen mir aber keine zusagte. Mein Haar braucht weder mehr Volumen noch einen Schutz vor Schuppen, und ich möchte auch kein Shampoo, auf dem ich lesen muß, dass ich sprödes oder schnell fettendes Haar habe. Ich will ein Haarwaschmittel für normales Haar.«

Das Sortiment als autopoietisches System. Ähnliche Auflösungs­erscheinungen des unmarkierten Normalzustands ja auch bei der Palette der ganzen Fleisch-, Kirsch-, Eier- und Cocktail-, Strauch-, Biostrauch-, Biokirsch- usw. -Tomaten (64). Von der Ausdifferenzierung ganzer Subsysteme (siehe wieder oben) ganz zu schweigen:

14. Der Supermarkt als Sündenfall

Das seltsame Verhalten Sahnebecher kaufender Kunden:

»Ich höre ein dumpfes Platschen, schaue auf und sehe, daß ein Becher Schlagsahne auf den Fußboden gefallen und aufgeplatzt ist. Er muß dem Mann mit dem Einkaufskorb vor der Kühltheke aus der Hand gerutscht sein, er sieht betroffen nach unten. Langsam, die Sahne fließt behäbig, wird der weiße Fleck neben seinen schwarzen, glänzenden Schuhen immer größer. Der Mann bückt sich, hebt den tropfenden Behälter auf, schaut sich verstohlen um, stellt ihn zurück ins Kühlregal und nimmt sich einen anderen, unversehrten Becher. Er kontrolliert das Haltbarkeitsdatum (…), legt ihn (…) zu zwei Weinflaschen und einem Radicchio-Salat und entfernt sich (…).« (28)

Eine Schlüsselszene des ganzen Supermarktromans! Aus Sicht der Moral-Theologie auf jeden Fall symptomatisch für die Ursünde aller Super- und modernen Warenmärkte überhaupt: die Anonymität. Anonymität schützt nicht nur Betrugsversuche des Systems Supermarkts am Kunden.

Anonymität deckt auch den Betrug des Kunden am Supermarkt. Und keiner redet hier von Diebstahl! Der zurückgestellte Sahne-Sabberbecher. Der Beutel Mozzarella, der kurz vor der Kasse doch noch auf der Strecke geblieben ist (›Wir machen doch kein Caprese!‹) und jetzt auf dem Sonderpostentisch (zwischen Skisocken!) versauert. Die Flasche Chardonnay, die irgendjemand im Weichspülerregal entsorgt hat. Lauter schöne Supermarkt-Findlinge.

Auch deswegen ist so ein gelegentlicher Supermarkt-Relaunch immer ein Traum: Wenn dann Wiedereröffnung ist und so ein ganzes Sortiment mal wieder kaufsündenfrei auf Kante steht … und kein erratischer Block, nirgends. Wahnsinn! Das Einkaufsparadies.


Eine sehr schöne dunkle Jacke

Konstanz, 15. November 2009, 20:01 | von Marcuccio

Deutschland wird auch in Stilfragen am Hindukusch verteidigt, findet Kurt Kister mit Blick auf den neuen Verteidungsminister und seinen gerade absolvierten Afghanistan-Besuch. Der Beitrag beginnt so richtig gut im Bunte-Style …

»Er trug eine sehr schöne dunkle Jacke von Loro Piana, natürlich 100 Prozent Kaschmir, mit elfenbeinfarbenem Innenfutter.«

… reiht sich dann goldrichtig ins Genre der KT-Hagiografie ein:

»Die Hände hat er in die Hüften gestützt, das subalterne Offiziersvolk im Tarngewand umgibt ihn in einer distanzwahrenden, ehrfurchtsschwangeren Korona. Natürlich ist es nur Licht, das von außen auf den Baron fällt, aber er sieht auf dem Foto trotzdem so aus, als leuchte er selbsttätig von innen.«

… und wagt dann einen, wir denken an die Wendung vom »Baron aus Bayern«, gar nicht so pindarischen Sprung zum Brioni-Kanzler Gerhard Schröder:

»Die Angelegenheit war deswegen so bemerkenswert, weil dieser Politiker und dieser Anzug nicht zusammenpassten. Einer von beiden war dem anderen ein Fremdkörper. Poltrige Männer mit nach oben gedrehten Nackenlocken gehören nun einmal nicht in Brioni und in Versace, nur wenn sie bei den Sopranos eine Nebenrolle spielen.«

Ein weiterer Stopp bei Peter Struck (»fuhr gerne Motorrad und rauchte Pfeife. So sah er auch am Hindukusch aus«), aber dann sind wir auch schon angekommen, beim schönsten Satz des ganzen Artikels:

»Im Rückblick auf 30 Jahre bundesdeutscher Wehrgeschichte von Manfred Wörner bis zu Karl-Theoder zu Guttenberg ist erkennbar, dass die Bundesrepublik souverän geworden ist – zumindest was die Klamotten angeht.«

Ganz am Schluss wird Guttenberg zum Ehrenmitglied im Queen’s Own Corps of Guides ernannt, und das liest sich dann wirklich so, wie wenn Christian Kracht immer noch Asien-Korrespondent des »Spiegel« wäre.

Usw.


Vier Nachrufe und ein Todesfall

Konstanz, 7. November 2009, 16:49 | von Marcuccio

Bestattungskultur und Feuilleton, das latente Novemberthema. Todesfall der Woche natürlich Claude Lévi-Strauss (»Strooß« in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens; »Strauß« wie Franz Josef in der ARD-Tagesschau). Im Perlentaucher vom Donnerstag hieß es:

»In der FAZ erhält Claude Levi-Strauss ein dreiseitiges Staatsbegräbnis«

Und das war doch mal ein schönes Stück Teaser-Text. Mir gefällt wirklich nur dieses Bild, dieses Bild vom

»FAZ-Gegenstück eines Staatsbegräbnisses«

oder, platztechnisch gesprochen: »Titelfoto und dann ganze drei Feuilletonseiten«.

Und dann fällt mir Volker Hage ein, der neulich (wie angekündigt) sein Spektrometer literaturkritischer Textsorten vorgelegt hat. Das Buch enthält auch vier exemplarische Nekrologe. Wenn man Hages Nachrufe jetzt mal mit der Perlentaucher-Bestattungsmetaphorik kurzschließt, lassen sich folgende Ereignisse rekonstruieren:

Max Frisch († 1991) – bekam seinerzeit auch ein Staatsbegräbnis (4 Seiten in der ZEIT),

Jurek Becker († 1997) – eine ganz normale Erdbestattung (1 Seite im »Spiegel«),

John Updike († 2009) – eine Totenwache bei SPON.

Für Ulrich Plenzdorf († 2007) – aber blieb nur ein anonymes Urnen-Schließfach im »Spiegel«-Register (»Gestorben«).

 


Vossianische Antonomasie (Teil 8)

Konstanz, 5. November 2009, 23:50 | von Marcuccio

 

  1. der Proust des Plattenbaus
  2. die Rosa Luxemburg des Mittelalters
  3. der Umberto Eco des Wilhelminismus
  4. der Porsche Cayenne unter den Schuhen
  5. der Wladimir Kaminer der deutschen Ästhetik-Kongresse

 


Martin Walser für Nichtraucher

Konstanz, 25. Oktober 2009, 08:15 | von Marcuccio

Einen besseren Künstlernamen für ihren Kurzauftritt bei den Baden-Württembergischen Literaturtagen hätte sie sich gar nicht zulegen können. +++ Jetzt spricht Michaela (31): das Mädel, das Martin Walser rausschmiss +++ Oder so ähnlich. Jedenfalls: Nach seiner Lesung neulich kehrte Martin Walser noch im Café Wessenberg ein:

»Michaela Mädel (31) war die Bedienung an diesem Abend und erinnert sich an den Moment, als Martin Walser zur Zigarette griff. ›Als ich gesehen habe, dass er sich eine Zigarette anstecken will, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass das Rauchen hier nicht erlaubt ist. (…) Ich hatte Herrn Walser zu dem Zeitpunkt gar nicht erkannt. Als er auf meine Aufforderung nicht reagierte, habe ich nochmals erklärt, dass es sich hier um ein Nichtrauchercafé handele und er doch bitte die Zigarette ausdrücken möge.‹

Danach, so Zeugen, wurden sowohl Walser als auch die Servicekraft lauter, es kam zum Streit. Michaela Mädel: ›Am Ende sagte ich, dass es wohl besser ist, wenn er jetzt einfach das Lokal verlassen würde.‹« (Südkurier vom 23.10.2009)

Vor Ort schlagen die Walser-Wellen hoch: Entschuldigungsbrief des Wirts (bekennender Walser-Hasser) an den OB, neue Nichtraucherdebatte in der Stadt und Leitartikel zum Thema »Gelten für Promis eigene Gesetze?«


Kaffeehaus des Monats (Teil 48)

sine loco, 24. Oktober 2009, 18:16 | von Marcuccio

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Heck-Art, Chemnitz

Chemnitz
Das HECK-ART in der Mühlenstraße.

(Die Kulturseite der »Freien Presse« hat Ruhetag, aber es gibt eine hervorragende Mandelschnitte, und wer sich vom Gunzenhauser bis hierher durchgefragt hat, hat eigentlich auch schon Chemnitz gesehen.)
 


Abonniert haben wir

Konstanz, 20. Oktober 2009, 23:25 | von Marcuccio

Sehr schön. Peter von Matt, Germanist mit dem besten Buchtitel des Jahres (»Wörterleuchten«) feiert die Zeitung! Im aktuellen NZZ Folio (10/2009, S. 63–64) geht es erst mal um Leser-Blatt-Bindungen: »Abonniert haben wir …«

Wir erfahren: Im Hause von Matt liest man die

  • Zeitung für Deutschland (FAZ)
  • Zeitung für die Schweiz (NZZ)
  • Zeitung für Zürich (Tages-Anzeiger)
  • – und die Zeitung für den Zug:

»Für längere Zugreisen kaufe ich regelmäßig die International Herald Tribune, da finde ich in jeder Nummer etwas, das ich sonst nirgends bekomme.«

Dann geht es um Ansprüche:

»Die Zeitung ist für mich eine Art Sparringpartner für meine Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit meiner Welt. Ich will von einer Zeitung gefordert werden. (…) Ich werde nur gefordert, wenn mir etwas begegnet, was meine momentane Kompetenz ein bisschen übersteigt. Das ist die Aufgabe der Zeitung. Sie muss sich bemühen, nicht einfach Leser, sondern gute Leser anzusprechen.«

… um Begeisterung:

»Dass ich zwei grosse Blätter vor mir habe, ist eine geniale Erfindung. Ich kann da etwas ganz lesen, dort nur den Lead oder die beiden letzten Sätze. Und dann kann ich umblättern. Das kann ich so bei keinem anderen Medium. (…) Ich kann vorwärts und rückwärts lesen, ich kann Sachen herausreissen, habe die Möglichkeit eines durchaus gestalterischen Umgangs mit der Information.«

… und um die Idee von Verbindlichkeit:

»(…) ich kann mir auch vorstellen, dass ich mich daran gewöhnen könnte, Zeitungen nur noch online zu lesen. Bloss weiss ich da nie genau, was die bringen und was nicht. Die gedruckte Zeitung ist da verbindlicher, da weiss ich: Das ist alles, was sie an diesem Tag zu sagen haben.«

Usw.


Oskar Lafontaine als Umblätterer

Konstanz, 5. September 2009, 09:49 | von Marcuccio

Das Praktische am Wahlkampf ist ja, dass jetzt wieder diese ganzen Interviews aus den Abgeordnetenbüros kommen, mit Fotos direkt vom Politikerschreibtisch. Uns von der Partei der Zeitungswähler interes­siert da natürlich vor allem, welches Presse-Portfolio so ausliegt. Lafontaine hat griffbereit:

Obenauf die Junge Welt
dann die taz,
erst dann Neues Deutschland,
und zuunterst die Süddeutsche.

Ob sich das Quartett nach Zeitungsformat, Weltanschauung oder Leseritual stapelt, haben die Regionalzeitungskorrespondenten leider nicht gefragt. Vorn auf dem Tisch übrigens ein Buch namens »Die Linke Versuchung«, rechts hinter Lafontaine, auf dem Regal, winkt Papst Benedikt von einem Foto.


Tarantino und das deutsche Dorf am Piz Palü

Konstanz, 26. August 2009, 09:58 | von Marcuccio

»Schneefall im Hochsommer«, das ist eigentlich schon das Höchste, was man von einer NZZ-Überschrift im August erwarten kann. Im zugehörigen Artikel ging es um eine Ausstellung, hinter der ich ja zuerst eine Jörg-Fauser-Werkschau vermutete:

»Schnee. Rohstoff der Kunst«

Im VLM Bregenz gab es dann einen großen Bergfilm-Tag, gezeigt wurden: »Die weiße Hölle vom Piz Palü« & »Der weiße Rausch« – dazu die Stills live kommentiert von Mathias Fanck, der über seinen Groß­vater Arnold Fanck aus dem Nähkästchen plauderte (»Warum er rauchte, verstehe ich bis heute nicht«).

Durch Fanck kamen übrigens auch Luis Trenker und Leni Riefenstahl zum Film. Was jetzt vielleicht ein pindarischer Sprung ist, aber auf jeden Fall Quentin Tarantino gefreut haben dürfte, der laut »Spiegel«-Interview von neulich zwar offiziell nur Riefenstahl die Regisseurin verehrt, aber, wer weiß, bestimmt auch Leni das Skihaserl aus den Fanck-Filmen ganz gut findet.

Wie er überhaupt von der deutschen Bergfilmhoheit ganz fasziniert scheint. Hätte er sonst extra »ein deutsches Dorf« an den Fuß des Piz Palü geschmuggelt? Es ist die Szene in den »Inglourious Basterds«, die Claudius Seidl als Engadin-Urlauber filetiert hat, um richtig­zustellen, »dass am Fuß des Piz Palü vielleicht Pontresina liegt, aber bestimmt kein deutsches Dorf«. Deutsches Dorf vielleicht nicht, aber ein Ur-Ort deutschen Bergfilmschaffens eben irgendwie doch. Also wohl ein typischer Tarantino-Gruß an die Kino­geschichte.