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Reihenweise Vorzüge

Leipzig, 23. August 2007, 20:32 | von Millek

Heute Morgen kam mir Paco aufgeregt entgegen. Seine Aufregung hatte zwei Gründe. Erstens hatte er Angst, seinen Flug zu verpassen. Es handelte sich, glaube ich, um eine schon länger geplante Reise, und ich wunderte mich, ihn überhaupt noch im Institut anzutreffen.

Zweitens war er im Straßenbild daran erinnert worden, dass diese große Computerspielemesse gerade begonnen hatte. Das versuchte er zu verdrängen, denn er muss nun »wegen dieser vermaledeiten Reise« auf seine Lieblingsdialogfetzen verzichten, Dialoge à la

»Aus der Schweiz kam noch nie ein guter CS-Gamer!«

Ich schenkte ihm kurzerhand meine »Frankfurter Rundschau«. Darin findet sich heute der herrliche Artikel von Arno Widmann, der endlich einmal die Vorzüge der Wagenbach’schen Vasari-Reihe preist, die sich skandalöserweise so schlecht verkauft.

Die Zeitung unter dem Arm, eilte Paco zum Ausgang. Ich schaute ihm nach und fragte mich, wer bei mir zu Hause die FR ins Probeabo genommen hat. Hoffentlich ist es nur ein Probeabo – denn eigentlich braucht man unbedingt den Platz in der Mitte der Sitzreihe eines Flugzeugs, um sich von den Vorzügen der FR überzeugen zu lassen.


Opfer der Mode

Leipzig, 8. August 2007, 19:08 | von Millek

An einem dieser heißen Tage saß ich auf dem Balkon und las in der S-Zeitung. Stefan Ulrich berichtete über die italienische Krawattenkrise, bei der sich das ganze Land über das Für und Wider des Tragens dieses Kleidungsstücks bei sommerlicher Hitze auszulassen schien.

»Sage keiner, die Krawatte sei nur ein lästiges Accessoire. Denn zum einen schützt sie ihren Träger vor Halsentzündungen, zum anderen verrät sie einiges über seine Persönlichkeit.«

Ich dachte an die verschiedenen Krisen der Institutspersönlichkeiten und daran, dass eine Krawattenkrise uns noch nicht untergekommen war. Wie sollte sie auch – sind wir uns doch darin einig, dass die Krawatte zum Abendland gehört wie die klassische Ahmadinejacket auf des Rentners Leib.

Allerdings gelten wir Deutschen (hehe) ja auch nicht als Gestalter, sondern als »Opfer der Mode«, wie es Jens Jessen vor Jahren einmal in der »Zeit« zusammenfasste. Glücklicherweise unterscheidet unsere Sprache nicht zwischen sacrifice und victime, was uns, zumindest für die Art der Opferrolle, eine Wahl lässt.

Da sich nun aber die wenigsten Deutschen überhaupt in einen Mode-Kultur-Kontext hineinziehen lassen, wird uns das Durchleben solcher Krisen leider auf ewig verwehrt bleiben.


Altes Fleisch: Cäsar und die Nazis

Leipzig, 27. Juli 2007, 14:45 | von Millek

Als ich gerade ins Institut zurück kam, lag mir der Mittagstisch noch schwer im Magen. Seine Jacke über die Schulter geworfen, sah ich Paco beim Pförtner stehen. In der Hand hielt er die »Caesar«-Biografie von Hans Oppermann, und endlich, endlich gab er sie mir zurück.

Ich betrachtete sie und erinnerte mich kurz daran, dass ich einmal in einer Festschrift gelesen hatte, Oppermann sei »einer der wenigen nationalsozialistischen Altertumswissenschaftler«. Diese Einschätzung stammt zwar von Parteigenossen, aber gerade deswegen ist das Licht, das sie wirft, besonders schlecht.

Gott sei dank erschien seine »Caesar«-Biografie erst 1968. Sie liefert schöne Details über den Vormarsch des Prokonsuls in Gallien. Gedanklich hält sich Oppermann aber woanders auf. Von der Ernährung der Legionäre schreibt er:

»Fleisch war nur ein Hilfsmittel für den Mangel, und es ist ein Zeichen von Verpflegungsschwierigkeiten, wenn der Soldat darauf angewiesen ist. Mit Recht: als während des schnellen Vormarsches in Frankreich 1940 einige Tage das Brot nicht nachkam, waren wir trotz reichlichen Fleischgenusses dauernd hungrig.« (S. 53 f.)

Das Fehlen weiterer Vergleiche dieser Art lässt hoffen, dass Oppermann den Frankreichfeldzug im Ganzen nicht als experimentalarchäologische Selbsterfahrung missverstand.

Als Experimentalarchäologie für alle, zumindest zum Zukucken, kann auch die viel gerühmte HBO-Serie »Rome« gelten. (Da ja alle die Krteken bereits gelesen haben, verzichte ich an dieser Stelle mal wieder auf Links.)

Leider fehlen der deutschen Synchronfassung die fein austarierten sprachlichen Unterscheidungen zwischen Plebs und Patriziern innerhalb der römischen Nobilität. Aber vielleicht ist das ja nur Teil des Experiments. Auch passt ein lässiges People’s Tribune Mark Antony viel besser zur Rolle als ein etwas angestrengt klingendes Volkstribun Marc Antoooon. An Marcus Antonius Tribunus Plebis möchte ich allerdings auch nicht denken.

Fleisch jedenfalls ist hier nicht nur Hilfsmittel. Im Gegenteil, es wird in allen Verwendungen und Missbräuchen dargebracht und ist der rote Faden eines materialistischen Subtextes. Folge 11, »Die Beute«, ging den Freiwilligen Jugendwächtern dann zu weit. Sie erhielt keine Freigabe (PDF).

Kann zuviel Fleisch denn Frevel sein?

Na ja – ich geh wieder an die Arbeit, und am Montag, ja am Montag nehme ich Paco mit zum Essen. Dann liegt ihm auch etwas schwer im Magen.

hehehe


SP*N endlich mal wieder

Leipzig, 28. Juni 2007, 21:09 | von Millek

Jungs, Last Boy Scouts,

heute war Spichel-Online seit langem mal wieder von Mehrwert. Auch auf die Gefahr hin, dass IHR alles schon gelesen habt (ich schicke extra keinen Link), schreibt SP*N heute über den ersten Wartenden in der New Yorker iPhone-Schlange:

»Denn der Gute ist gar kein Apple-Aff[i]cionado, sondern ein Wartefreak. Er ist quasi Frontmann von Beruf und war als ›Pro-Linesitter‹ bereits öfters der erste Campierer, wenn es auf etwas zu warten galt.«

Irgendwann wurde es der AP mal zu bunt und sie verordnete ihren Korresp*ndenten, sich einen anderen Gesprächspartner zu suchen, da dieser Typ schon zigmal interviewt wurde (O-Ton: »… is eager to be quoted …«).

Weiter schreibt SP*N:

»Und die AP-Mitarbeiter scheinen sich daran zu halten: Eine Google-Stichprobe ergab, dass es über ihn in Zusammenhang mit der New Yorker iPhone-Schlange bislang keine AP-Meldung gibt.«

Und als Hammer folgt ein lapidar verlinktes: »Das übernehmen andere.« Mit dem Link landet man beim ZDF, wo der Wartende in schöner Ausführlichkeit als Applefreak vorgestellt wird. Hahahahahahahahahaha.

Das war dann wohl actualidad máxima.

Herzlichst,
etc.


Field Marshal Lord

Leipzig, 13. Juni 2007, 12:06 | von Millek

Dass man als junger eloquenter Umblätterer immer passend angezogen sein sollte, steht außer Frage. Um diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, nahm ich mir vor, meine noch mangelhafte Garderobe Stück für Stück zu komplettieren.

Nichts bietet sich besser dafür an als die Artikel eines englischen Versandhauses, das in seiner Eigenwerbung verspricht, zum Auffinden der besten Stoffe durch die ganze Welt zu reisen. Wer kann es sich heute schon noch leisten, in langen Aufenthalten auf fremden Kontinenten Alpakawolle mit der eines Trampeltiers zu vergleichen?

Dieser Ausweis an Tradition im Zeitalter der Massenproduktion erfüllte meine Vorstellung von Qualität. Nicht umsonst bezeichnete Roger de Weck Großbritannien neulich als unerschütterlich und bescheinigte ihm eine Auffassung der Modernisierung, nach der fast alles beim Alten belassen würde.

Wie unerschütterlich alles beim Alten belassen wurde, überraschte mich dann aber doch. In der Bestellmaske stehen nicht weniger als 87 Anreden bereit. Neben wahrscheinlich allen aktuellen und vergangenen militärischen Rängen der »Armed Forces of the Crown« bleiben erwähnenswert: Brigadier – erfährt, leider nur als Verwechslung, in Ostdeutschland große Beliebtheit – und HRH. Letztere Anrede verdanken wir sicher einem Prinzen ohne militärische Karriere, der unter keinen Umständen als Mr. bestellen wollte.

Bei so viel Vergangenheit dachte ich an Hastings. Gewillt, meine Order als Lucky Bastard zu tätigen, suchte ich vergeblich und wählte ein schlichtes Herr.


Kaffeehaus des Monats (Teil 4)

sine loco, 6. Juni 2007, 03:50 | von Millek

Wenn du mal richtig Zeitung lesen willst:

Relax, Conakry.jpg

Conakry
Das Relax bei km 17.

(Die Zeitungen liegen schon auf dem Tisch.)


Soweit okay

Leipzig, 23. Mai 2007, 14:06 | von Millek

Seid ihr o.k.? Das frage ich mich schon mindestens drei Monate. Dabei weiß ich nicht, ob es sich um eine regionale Besonderheit unserer schönen Stadt handelt oder ob die neue Verwendung des Wörtchens nun bundesweit gilt.

Wo es anfing, habe ich vergessen. Seitdem passiert es mir immer wieder: Ich treffe auf einen alten Bekannten und wir beginnen ein Gespräch. Mindestens jede zweite Phrase meiner Beiträge wird mit einem o.k. bestätigt.

Leider ist es nicht das o.k. von »o.k., dann also um drei bei Dir« auch nicht das o.k. von »o.k., wir versuchen’s noch mal« und kein »o.keeee., das habe ich nicht gewusst«. Nein, es ist das kurze und knappe o.k. von »o.k. weiter im Text, o.k. auch richtig, o.k. setzen«. Wohlwollende Zustimmung sieht anders aus.

Ich denke nicht, dass das o.k. ist, und Gabriel im Übrigen auch nicht.

Zur Beruhigung bleibt zu sagen, dass eben dieses o.k. bisher noch keine Schranken übersprungen hat und eisern bei alten vielleicht aber auch bei zukünftigen Bekannten herumlungert.