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Kracht, Horzon, Danto

Jena, 19. Dezember 2012, 15:47 | von Montúfar

Als ich gerade Christian Krachts »Imperium« zu Ende gelesen hatte, sah ich in der Danksagung, dass da Rafael Horzon erwähnt wurde. Der hatte ja vor zwei Jahren den Roman »Das Weisse Buch« herausge­bracht, in dem eine Figur namens Rafael Horzon im Berlin der 1990er-Jahre allerlei genialen Unfug anstellt.

Horzon fährt nicht nur eine Zeitlang Pakete aus, zusammen mit einer Figur namens Christian Kracht. Er wird auch Möbeldesigner. Bei der Eröffnungsfeier zu seinem neuen Laden »MOEBEL HORZON«, in dem nur ein einziges Möbelstück, das seit kurzem von Peaches besungene Regal »Modern«, angeboten wird, passiert folgendes:

»Ist das hier eigentlich eine Art Performance?«, fragte mich misstrauisch ein schmächtiger Student, wobei er sich umständlich die Nase putzte. »Und diese Regale, die erinnern mich an diesen Bildhauer … Donald …« »Duck?«, fragte ich arglos. »Und dieses ganze Geschäft, in dem nur ein einziges Regal steht«, fuhr der Student fort, »das ist doch kein richtiges Geschäft! Das ist doch …« »Wissen Sie was«, sagte ich zu ihm und legte ihm väterlich die Hand auf die Schulter, »es gibt ja nun keine objektiven Kriterien dafür, was Kunst ist und was nicht. Und deshalb ist natürlich alles, was ein Mensch zu Kunst erklärt, auch tatsächlich Kunst. Aber genauso gut ist alles, was ein Mensch nicht zu Kunst erklärt, keine Kunst. Und wenn ich diesen Möbelladen nun nicht zu Kunst erkläre, sondern zu einem Möbelladen, dann ist er natürlich auch keine Kunst, sondern ein Möbelladen.«

Damit spielt der Ich-Erzähler Horzon natürlich auf die heute immer noch wirkmächtige Kunsttheorie Arthur C. Dantos an. Verknappend formu­liert, behauptet Danto, dass ein Gegenstand dann zum Kunstwerk wird, wenn ein kunstgeschichtlich beschlagener Kritiker diesen Gegen­stand zu Kunst erklärt. Horzon folgert daraus, dass man dann auch jeden Gegenstand zu dem erklären kann, was er ist, zum Gegenstand.

Das Ergebnis ist ein Roman, in dem eine Figur einerseits Alltagsgegen­stände zu Kunst macht und in dem zitierten Beispiel performance­ähnliche Veranstaltungen zu Nicht-Kunst. Gleichzeitig unterläuft der Text demonstrativ seine Fiktionalität und betont sowieso, dass man es mit der Frage, was Kunst ist, nicht so ernst nehmen sollte. Damit dreht er die kunsttheoretische Schraube, die Danto mit seinen Überlegungen festzurren wollte, um die entscheidende Drehung weiter, die das Gewinde überschnappen und Dantos Theorie ins Leere laufen lässt. Und das alles nicht in Form einer Theorie, sondern als sprachliches Kunstwerk. Sehr gut.
 


Von Hunden und Hesse

Jena, 10. August 2012, 17:19 | von Montúfar

In dieser Woche ist Hermann Hesse seit 50 Jahren tot. Das ist ein Grund zum Feiern und die deutschen Medien tun es ausführlich. Sehr gelungen ist meines Erachtens die Extraseite der »Frankfurter Allge­meinen Sonntagszeitung« mit dem Titel »Mein Hesse-Moment«. Unter einem breiten Balken mit der Inschrift »Sommerpause« berichten sechs namhafte deutsche Autoren von ihren Leseeindrücken mit Hesse. Die Blütenlese könnte wie folgt lauten:

Sibylle Berg gibt zu, dass Hesse kein satisfaktionsfähiger Autor ist, aber seine Wirkung entfalten kann, wenn man ihn als dreizehnjährige DDR-Jugendliche auf dem Weimarer Friedhof liest.

Einen etwas weniger exquisiten Leseplatz hatte Annika Scheffel gefunden: Sie las den »Steppenwolf« auf einer Fähre, ließ ihn aber halb gelesen eben dort liegen. Hesse wirkt anscheinend nicht überall gleich gut.

Auf Clemens Meyer hat er gewirkt, deswegen hat er auch gleich mehrere Hesse-Bücher gelesen, kann sich allerdings an vieles nur noch vage erinnern.

Das Problem möglicher Erinnerungslücken umschifft Jan Peter Bremer. Er hat nämlich noch nie Hesse gelesen. Doch für einen Artikel in der FAS entfernt er sich von einer Hochzeitsgesellschaft (auf Sichtweite, damit seine Freunde ihm winken können, während er Hesse liest) und liest zusammen mit seinem Hund »Die Morgenlandfahrt«. Am Ende steht fest: Sein Hund und er hätten ein »ganz ähnliches Erlebnis« bei der Lektüre gehabt.

Auch Tino Hanekamp gesteht, dass er sich beim Hesse-Lesen wie ein Hund fühlte. Das lag bei ihm aber an der unglücklichen Liebe zu einem Mädchen, das ihm anstatt eines Korbs den »Steppenwolf« gab. Den 50. Todestag seines Autors nutzt Hanekamp deswegen für eine Kontaktanzeige: »Jana Müller, melde dich, es ist noch nicht zu spät!«

Was wird man also antworten in ein paar Jahren, wenn die unvermeid­liche Frage aufkommt: »Was ist dir in Erinnerung geblieben von Hesses 50. Todestag?«
 


Neues von Novalis

Jena, 16. April 2012, 08:40 | von Montúfar

Novalis bleibt auch im Jahr 2012 für Überraschungen gut. In seiner vor kurzem erschienenen und demnächst als Standardwerk anerkannten Biografie zum Nachtschwärmer Friedrich von Hardenberg zeigt der in Australien lebende Germanist Gerhard Schulz, was Novalis nicht alles noch zu aktuellen Debatten beitragen kann.

Da wären zum Beispiel die Neurosciences: Bei seiner ständigen Suche nach Analogien kam Hardenberg zum Beispiel aufgrund einfacher äußerlicher Übereinstimmungen zu der Erkenntnis: »D[as] Gehirn gleicht den Hoden.« Das steht tatsächlich so da, in der HKA, Band 3, S. 444, bei Schulz wird es auf S. 113f. erwähnt, es ist ein heutzutage natürlich eher fragwürdiger anthropologischer Gedanke, der vom Biografen auch gleich ordnungsgemäß wegsortiert wird.

Auch zu nicht mehr ganz so frischen politischen Ereignissen kann ein Blick in das Leben von Novalis neue Einsichten bringen. Von Harden­bergs wissenschaftlicher Qualifikationsschrift, die dieser einreichte, um in den sächsischen Staatsdienst übernommen zu werden, weiß Schulz folgendes zu berichten:

»Das Kollegium könne nun seine Ernennung befürworten, wenn er erklärte, die Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt zu haben. So streng waren auch damals schon die Bräuche, über die Jahrhun­derte später noch ehrgeizige, aber unvorsichtige Staatsbeamte stolpern konnten.« (S. 271f.)

Schon vor über 200 Jahren haben kleine Landadlige also neben ihrer Abstammung gern noch ein zweites hochangesehenes Standbein in der Wissenschaft gesucht. Eines hat sich dabei nicht geändert. Die bürokratischen Mühlen mahlen immer noch langsam. Das Überprü­fungsverfahren dauerte bei Hardenberg so lang, dass dieser darüber verstarb. Immerhin gilt Hardenbergs Arbeit bis heute als eigenständige wissenschaftliche Leistung.